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Contergan-Wirkstoff wird zum Hoffnungsträger  
  Der Einsatz des Schlafmittels Contergan führte vor 40 Jahren zur Missbildung Tausender Neugeborener. Heute wird sein Wirkstoff "Thaliomid" immer mehr als Mittel im Kampf gegen bestimmte Krebsarten eingesetzt.  
Missbildungen bei 12.000 Neugeborenen
Der Name Contergan steht für den größten Medizinskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ab 1957 war das als hoch wirksam und ungiftig gepriesene Schlafmittel werdenden Müttern rezeptfrei verkauft worden. Tatsächlich aber führte der Wirkstoff Thalidomid bei weltweit 12.000 Neugeborenen zu Missbildungen der inneren Organe und der Extremitäten.

Im November 1961 zog der Hersteller das Medikament zurück. Mehr als 40 Jahre später erlebt die Skandal-Substanz eine Renaissance: Beim Kampf unter anderem gegen Knochenmarkkrebs, Mundgeschwüre und entzündliche Hauterkrankungen setzen Mediziner große Hoffnungen in Thalidomid.
Therapeutischer Nutzen lange nicht erforscht
Das katastrophale Image des Medikaments war der Hauptgrund dafür, dass sein therapeutischer Nutzen lange Zeit nicht konsequent erforscht wurde. Denn die ersten Hinweise auf die positiven Potenzen des Wirkstoffs gab es bereits drei Jahre nach seiner Verbannung vom Arzneimarkt.

1964 sah ein Arzt einer Jerusalemer Lepra-Station keinen anderen Weg, einem Schmerzpatienten zu Schlaf zu verhelfen, als ihm von einem Restbestand Contergan ein paar Tabletten abzugeben - mit erstaunlichem Erfolg, wie der Leipziger Wissenschaftler Kurt Eger berichtet: "Der Patient fand nicht nur Schlaf, sondern erfuhr auch Besserung."
Wirkstoff "Thalidomid" gegen Lepra
Nach Angaben des Professors für Pharmazeutische Chemie war dies der Auftakt für eine grundsätzliche Neubetrachtung des Medikaments. Denn die Immunreaktion des Körpers, die bei Lepra-Patienten zu Erblindung, Gewebsentartung und dem Abfallen von Beinen und Armen führt, konnte mit Thalidomid gestoppt werden.
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In den USA zugelassen
In den USA ist die Substanz mittlerweile offiziell zur Behandlung einer bestimmten Komplikation von Lepra zugelassen. Und in Deutschland wird unter anderem an den Universitäten Leipzig, Frankfurt/Main und Heidelberg fieberhaft daran gearbeitet, die positiven Effekte von Thalidomid zu nutzen und die negativen zu beseitigen.
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Auch als Substanz für Krebstherapie
Die Wirkung der Substanz beruht vor allem auf ihrer Fähigkeit, die Neubildung von Blutgefäßen zu stören. Möglicherweise habe genau dieser Effekt zu den Missbildungen der so genannten Contergan-Kinder geführt, sagt Professor Eger.

Beim gesunden Erwachsenen sei das Wachstum von Blutgefäßen dagegen abgeschlossen: "Neubildungen sind bei ihm also krankhaft." Daher biete sich Thalidomid für die Krebstherapie an. Denn das Wachstum von entartetem Gewebe lasse sich unterbinden, indem die Neubildung von Blutgefäßen verhindert und so der Tumor nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen versorgt werde, erklärt der Experte.
Kampf gegen bösartige Tumoren: Multiples Myeolom
Am viel versprechendsten scheint der Einsatz des Contergan-Wirkstoffs beim so genannten Multiplen Myelom zu sein. An diesem besonders bösartigen Tumor, der Knochenmark und Knochen zerstört, erkranken jährlich 500 bis 600 Menschen in Österreich.

Bisher besteht die einzige Überlebenschance für die Patienten in der Übertragung von Blutstammzellen, der eine hoch dosierte Chemotherapie vorangehen muss. Doch für die Behandlung kommen in der Regel nur zehn Prozent der Patienten in Frage, nämlich jüngere Menschen mit einem genetisch passenden Spender in der Familie.
Wirksamkeit hat sich bestätigt
Der Heidelberger Onkologe Hartmut Goldschmidt konnte nun in mehreren Studien zeigen, dass Thalidomid die Tumoraktivität bei 50 Prozent und in Kombination mit einer Chemotherapie sogar bei 80 Prozent der Myelom-Patienten reduzieren kann.

"Die Wirksamkeit des Medikamentes hat sich bestätigt", sagt Goldschmidt. Zwar lasse sich der Krebs damit nach wie vor nicht heilen, doch könne bei weit fortgeschrittener Erkrankung das Leben um viele Monate verlängert werden. Goldschmidt will auf dieser Grundlage nun nach weiteren Ansatzpunkten für die Entwicklung neuer Strategien gegen das Myelom suchen.
Niemals wieder an Schwangere verschrieben
Doch selbst wenn Thalidomid die Zulassung für die Tumortherapie erhalten sollte, wird die Erinnerung an den Contergan-Skandal immer für eine wesentliche Einschränkung sorgen: Schwangeren Frauen darf das Präparat niemals verschrieben werden.

Froben Homburger/AP
->   Informationsforum für Contergan-Geschädigte
->   Arbeitsgemeinschaft Multiples Myeolom
->   Deutsche Gesellschaft für Onkologie
->   Uni-Klinikum Heidelberg, Hämatologie, Onkologie und Rheumatologie
 
 
 
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01.01.2010