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Antiamerikanismus - Einst und Jetzt  
  Missverständnisse und Irritationen gibt es zwischen den USA und Europa nicht erst seit der Regierung Bush. Die ersten Ressentiments entstanden nicht allzu lange nach der Entdeckung der "Neuen Welt". Thomas Fröschl vom Institut für Geschichte der Universität Wien setzt sich in einem Gastbeitrag in science.ORF.at mit den historischen und aktuellen Perspektiven des Antiamerikanismus auseinander.  
Antiamerikanismus: Historische Perspektiven und aktuelle Dimensionen
Gastbeitrag von Thomas Fröschl

Am Anfang, an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, stand die europäische Irritation über die bloße Tatsache, dass die Existenz einer "Neuen" Welt jenseits des Atlantik erst so "spät" in den Horizont und in das Bewusstsein der alten Welt geraten ist - verbunden mit der aus damaliger Sicht zentralen Frage, weshalb die Erfüllung des christlichen Missionsauftrags durch die Verbreitung des Evangeliums erst eineinhalb Jahrtausende nach Christi Wirken auch in der amerikanischen Welt ermöglicht wurde.

Im 19. Jahrhundert gab die Mormonenkirche in den USA darauf eine "amerikanische" Antwort - der auferstandene Christus habe sein irdisches Wirken in der Neuen Welt tatsächlich noch einmal wiederholt.
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Ein Thema - zwei Veranstaltungen
Mit dem Thema "Antiamerikanismus" beschäftigten sich in dieser Woche zwei Veranstaltungen: Die "Transatlantic differences" an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und eine Diskussionsveranstaltung des Instituts für Geschichte der Universität Wien im Rahmen der "Science Week".
->   Mehr über die ÖAW-Veranstaltung
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Fördert Amerika die Degeneration?
Zu europäischen Wahrnehmungen und ihren Werturteilen über die Neue Welt gehörte bis weit in das 18. Jahrhundert die nicht eindeutig geklärte Frage, ob die indigenen Bevölkerungen in den Amerikas gegenüber den Bewohnern Europas degeneriert, inferior und minderwertig seien.

Damit im Zusammenhang stand die weitere Frage, ob dieser "viel zu spät aus der Sintflut aufgetauchte und damit noch feuchte" Kontinent (so der französische Naturforscher Graf Buffon im 18. Jh.) nicht zusätzlich die Degeneration der dorthin ausgewanderten Europäer bewirken würde.
Keine eigene Geschichte
Trotz vehementer Gegenwehr von Männern wie George Washington, Simon Bolívar, Thomas Jefferson oder spanisch-amerikanische Jesuiten,
lebt das europäische Verdikt, "die" Amerikaner seien inferior und verdienten deshalb keine Gleichberechtigung mit den europäischen Metropolen, bis heute fort:

Den Euro-Amerikanern wird jede Kreativität, jede eigenständige kulturelle Leistung abgesprochen - was in Amerika geschieht, ist Abklatsch und Widerhall Europas, ist Kopie, unoriginell und Ausdruck einer fremden, d.h. europäischen Lebendigkeit, und auch viele Amerikaner sind bis heute der Meinung, sie hätten im Unterscheid zu Europa keine Kultur und keine Geschichte.
Unterschiedlicher Stellenwert der Religion
Dabei spielen Tradition und Kontinuität im religiös-konfessionellen Bereich eine gegenüber Europa nach wie vor entscheidende Rolle: Schon im 17. Jahrhundert hat die biblisch inspirierte Sprache des Protestantismus in die politische Rhetorik Nordamerikas Eingang gefunden und sie entscheidend geprägt. Hinweise auf die Reden von Abraham Lincoln und Martin Luther King, aber eben auch von George Bush, mögen das belegen.

Dazu kommt, dass die USA während des 19. und 20. Jahrhunderts im Unterschied zu Europa keine großen Säkularisierungswellen erlebt haben; und in diesem (immer noch) mehrheitlich protestantischen Land ist die Kenntnis der Bibel auch größer als in Europa, weshalb die Verwendung einer religiösen Sprache in der Politik in den USA nicht nur ankommt, sondern als selbstverständlich empfunden wird, während religiöse Rhetorik in der Politik in Europa mehrheitlich als unangemessen und fast peinlich empfunden wird.
Kritik ist nicht gleich Antiamerikanismus
Jedoch: Bloße Kritik an den USA und an ihrer (Außen-)Politik ist nicht automatisch "Antiamerikanismus", und auch die inneramerikanische Kritik an den USA ist nicht einfach "antiamerikanisch" - vor allem dann nicht, wenn sie als Teil einer langen Tradition immer wieder die Enttäuschung am Verrat jener Prinzipien der amerikanischen Revolution zum Ausdruck bringt, auf denen das Selbstverständnis der USA bis heute ruht: Demokratie, Freiheit, Menschen- und Bürgerrechte.

Die USA sind ein demokratischer Rechtsstaat, ihr Präsident ist kein absoluter Monarch, und die Regierung des Landes kein totalitäres Regime. "Antiamerikanismus" ist in diesem Kontext die Tendenz, das nicht mehr zu sehen und den USA, aber auch den Amerikanern insgesamt, zu unterstellen, diese revolutionären Prinzipien nicht mehr zu vertreten, sondern mit einer Rhetorik von Demokratie und Menschenrechten bloß die eigenen Herrschafts- und Wirtschaftsinteressen zu verbrämen.
->   Thomas Fröschl am Institut für Geschichte der Universität Wien
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Salzburger Nachtstudio: "Hüben und Drüben"
Dem Thema der Transatlantischen Differenzen widmet sich am Mittwoch (28. Mai 2003) Ulrike Schmitzer im Salzburger Nachtstudio um 21.01 Uhr auf Ö1: Ein Bericht über das internationale Symposion an der Akademie der Wissenschaften.
->   Radio Österreich 1
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->   Science Week
->   Österreichische Akademie der Wissenschaften
->   Institut für Geschichte der Universität Wien
 
 
 
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01.01.2010