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Weblogs: Ideal für selbstorganisiertes Lernen  
  Die Gegenwart und Zukunft von Weblogs - persönliche Online-Tagebücher mit einfacher Software - stehen im Mittelpunkt einer Konferenz in Wien. Der deutsche Medienpädagoge Sebastian Fiedler geht dabei der Frage nach, wie diese neuen Formen des "Personal Webpublishing" die Konzepte von Lehren und Lernen verändern können. Das Resumee seines Gastbeitrags: Weblogs sind ein ideales Werkzeug für selbstorganisiertes Lernen - wenn Lernen weniger als Weitergabe von kodifiziertem Wissen und mehr als Konversation und Bedeutungsstiftung der Lernenden verstanden wird.  
Personal Webpublishing und selbstorganisiertes Lernen
Gastbeitrag von Sebastian Fiedler

Personal Webpublishing- und Weblog-Technologien verbreiten sich seit etwa Jahresbeginn 2000 in den unterschiedlichsten Anwendungsfeldern. Es überrascht daher wenig, dass auch im Bereich Lehren und Lernen einige Pioniere frühzeitig damit begannen, das kreative Potential dieser Technologien auszuloten.
Neue Technologie trifft auf alte Handlungsmuster
Nun wäre es sicher falsch zu unterstellen, dass bestimmte Merkmale der Weblog-Technologien und -Praktiken per se eine Veränderung - oder gar Verbesserung - bestehender Lehr- und Lernprozesse auf den Weg bringen könnten.

Natürlich kann mit neuen Technologien immer auch eine bestehende Praxis modelliert werden. Dass gerade pädagogische Institutionen zu dieser "Integrationsleistung" besonders befähigt sind, wurde in den letzten Jahrzeiten immer wieder eindrücklich unter Beweis gestellt.

Viele zunächst gefeierte Technologien, die mühsam ihren Weg in die Unterrichtspraxis gefunden hatten, wurden durch bestehende Handlungsmuster, institutionelle Rahmenbedingungen, und tief verwurzelte Überzeugungen, wie Lehren und Lernen abzulaufen hat, weitgehend neutralisiert.
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Weblog-Konferenz in Wien
Am 23. und 24. Mai veranstaltet das "Zentrum für Neue Medien" der Donau-Uni Krems im Wiener Tech Gate die Konferenz "Blog-Talk". Sebastian Fiedler spricht dabei über "Personal Webpublising as a reflective conversational tool for self-organized learning".
->   BlogTalk Konferenz 2003
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Expertenwissen trifft auf "mind-pool"
Daher scheint es unbedingt notwendig, die Anwendung von Personal Webpublishing-Technologien im Bereich Lehre und Lernen auch theoretisch, konzeptionell, und normativ zu untermauern.

Während institutionalisiertes Lehren und Lernen immer noch in der ersten Linie auf der Weitergabe von momentan anerkannten "Expertenwissen" basiert, wird immer deutlicher, dass die globale Produktion neuer Bedeutungsmuster und Artefakte stetig zunimmt.

Globale Netzwerke und ein allgemeiner Trend zu digitalen Repräsentationsformen haben dieser fortlaufende Expansion des öffentlich zugänglichen "mind-pools" eine zusätzliche Dynamik verliehen.
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Was ist ein Weblog?
Thomas Burg, Organisator der Weblog-Konferenz und Leiter des Zentrums für Neue Medien der Donauuniversität Krems, hat in seinem Weblog "randgaenge.net" eine kleine Geschichte des Phänomens geschrieben.
->   Thomas Burg: Was ist ein Weblog?
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Achtung auf Konstruktion von Handlungsmustern
Eine mögliche Konsequenz dieser Entwicklung wäre, dass wir unser Augenmerk von der bloßen Weitergabe anerkannter, kodifizierter Wissensbestände hin zu den eigentlichen Prozessen der Konstruktion von Bedeutungs- und Handlungsmustern lenken.

Diese Forderung wurde in den vergangenen Jahrzehnten natürlich immer wieder von Einzelnen formuliert und vertreten, konnte aber gegen den vorherrschenden Wissensbegriff und eine in großen Teilen ritualisierte Praxis des Lehrens und Lernens nicht maßgeblich an Einfluss gewinnen.
Trotz E-Learning: Lernender bleibt Konsument
Darum wundert es auch wenig, wenn so genannte E-Learning-Produkte und -Systeme fast ausschließlich auf mehr oder weniger raffinierte Weise die Weitergabe von Expertenwissen modellieren. Inhalt und Prozess kontrollieren dann Designer und Inhaltsexperten, die entweder vollständig, oder teilweise an die Stelle der traditionell vorhandenen Lehrperson treten.

Grundsätzlich ändert sich jedoch wenig. Experten spezifizieren und kontrollieren Material und Maßnahmen und antizipieren die erwünschten Resultate. Lernen findet dann als Konsequenz dieser Praxis statt. Der "lernende" Mensch bleibt Konsument und Rezipient. Den Lernprozess organisieren andere.
Notwendig: Eine Kunst des selbstorganisierten Lernens
Wenden wir uns aber von dem oben skizzierten Konzept "Wissen als Produkt" ab, dann scheint es schlüssig sich vornehmlich dem Design und der Entwicklung von tools, Methoden, und Umgebungen zu widmen, die Menschen dabei unterstützen in zunehmenden Maß Kontrolle über ihr eigenes Lernen zu gewinnen und ihren eigenen Veränderungsprozess erfolgreich zu gestalten.

Institutionalisiertes Lernen soll damit weder ersetzt noch diskreditiert werden. Nur scheint dringender Bedarf die Kunst des Lehrens (Pädagogik) um eine Kunst des (selbstorganisierten-) Lernens zu erweitern.
Technologie dafür: Personal Webpublishing
Die offenen, kontinuierlich fließenden und großteils nicht voraussagbaren Prozesse des persönlichen Lernens und der Bedeutungskonstruktion finden täglich außerhalb und fern von institutionalisierten Rahmenbedingungen statt.

Ich vertrete die Auffassung, dass gerade in diesem Bereich Personal Webpublishing Technologien ein interessantes und vielversprechendes Instrumentarium bieten, um eine Wandlung hin zu einer Kultur des selbstorganisierten, reflektiven und konversationalen Lernens zu unterstützen.
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"Conversational learning tools"
In Anlehnung an die Arbeiten früher Verteter "konstruktivistischer" Theorien des Wissens und Lernens (z.B. George Kelly, Jean Piaget, Heinz von Glasersfeld) lassen sich personal Webpublishing Technologien als "conversational learning tools" konzeptualisieren, die dazu geeignet sind, sowohl den nach außen gerichteten Austausch mit Menschen und materiellen Ressourcen, als auch eine "innere", reflektive Konversation mit sich selbst zu unterstützen. Für den Aufbau persönlich relevanter Bedeutungsmuster ist es ausgesprochen wichtig, diese beiden Quellen miteinander zu verbinden und aufeinander zu beziehen.
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Persönliche Sprache für eigene Lernprozesse
Fokussierte Reflektionen und die Entwicklung einer persönlichen "Sprache" zur Rekonstruktion und Beschreibung der eigenen Lernprozesse werden aus dieser Perspektive als Voraussetzung für die (Fort-)Entwicklung der eigenen Lernkapazität betrachtet.

In welcher Weise einzelne Merkmale der Technologie und entstehenden Praxis des personal Webpublishing in diesem gedanklichen Rahmen konzeptualisiert werden können ist u.a. Gegenstand meines Vortrags auf der BlogTalk-Konferenz.

Ohne hier näher auf die einzelnen Merkmale der Personal Webpublishing-Technologie und der sie umgebenden Anwendungspraxis eingehen zu können (siehe Links zu weiterführendem Material unten), möchte ich ausdrücklich betonen, dass nicht nur das intentionale Design von konversationalen Lern-Tools und -umgebungen von Interesse ist.
Die Veränderungen ...
Die entstehenden, nur lose gekoppelten Netzwerke von Menschen, die Personal Webpublishing explizit zur Unterstützung ihrer persönlichen Lernprojekte einsetzen, vermitteln erste Eindrücke von den Möglichkeiten einer Kultur individualisierten, selbstorganisierten und vernetzten Lernens.

In diesem Sinne haben Teile der Weblog- Gemeinde bereits damit begonnen, traditionelle Vorstellungen von Lernen und Lehren und deren institutionalisierte Darbietungsformen zu transzendieren.
... haben bereits begonnen
Während überall noch daran gearbeitet wird zentralisierte Lernplattformen, elektronische "Klassenzimmer", und Kursdatenbanken zu bauen, entsteht eine riesige, sich ständig selbstorganisierende, konversationale Lernumgebung, in der die Akteure ihre persönlichen Lerndomänen miteinander konstruieren und fortentwickeln, während sie einander zuhören, beobachten, manchmal direkt in Kontakt treten und Spuren ihrer bedeutungsstiftenden Aktivitäten über Personal Webpublishing-Technologien wieder sichtbar machen.
Das Potenzial von Weblog-Netzwerken
Diese kontinuierlich publizierten Sammlungen digitaler Artefakte können als ein dynamischer Bereich des expandierenden mind-pools beschrieben werden. Die besondere Qualität dieser Artefakte liegt in deren relativ engen Verknüpfung mit ihren Produzenten.

Hinter jedem Personal Webpublishing-Projekt steht wieder ein selbst-reflektive Person, die sich selbst darum bemüht, viable Bedeutungsmuster herzustellen.

Hier liegt das eigentliche Potenzial von Weblog-Netzwerken. Selbstorganisierte Lerner werden schneller das Potential dieser Technologien erfassen, "fremdorganisierte Lerner" werden wohl zunächst Unterstützung brauchen, wenn Sie von den skizzierten Entwicklungen persönlich profitieren können wollen.
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Über den Autor
Sebastian Fiedler studierte Psychologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und der University of Wales, GB, sowie Instructional Design and Technology an der University of Georgia, USA. Im Juli 2000 gründete er "cognitive Architects" und arbeitet seither als freiberuflicher Berater in den Bereichen Web Usability, Informationsdesign, und Educational Technology. Derzeit ist Sebastian Fiedler Doktorand im Fach Medienpädagogik an der Universität Augsburg.
->   cognitive Architects
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01.01.2010