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Diskussion um "Technik als Religionsersatz"  
  Haben die modernen Technologien die "Allmacht Gottes" längst abgelöst? Wie ähnlich oder doch unterschiedlich sind Technik und Religion in ihrem Anspruch und in ihrer Wirklichkeit? Diesen Fragen gingen Vertreter aus Wissenschaft, Kirche und Politik am Mittwoch abend im Wiener Tech Gate nach. Der Technik-Experte Erich Prem berichtet über die Veranstaltung.  
Säkularisierung und Technisierung
von Erich Prem

Peter Fleissner vom Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung der TU Wien wies in seinem Eröffnungsstatement auf den Glauben an Zukünftiges als gemeinsames Prinzip von Technik und Religion hin.

Religion, im speziellen die christliche, könne als ein gesellschaftliches Subsystem von theologischen Inhalten und tradierten Ritualen aufgefasst werden, das von kollektiven Phantasmen getragen wird. Theologie und Kirche vermitteln auf quasi-rationale Weise eine ganzheitliche Interpretation der Welt, in der sich Wünsche, Ängste und Hoffnungen der Menschen ausdrücken.
Religion lässt Gemeinschaft erfahren
Der Gottesdienst ermögliche die Erfahrung von Gemeinschaft und dadurch die wechselseitige Rückversicherung der Richtigkeit des Glaubens. Das Gebet biete eine unwiderlegliche Praxis religiöser Betätigung von hoher Suggestivkraft und Selbstbestätigung.

Entweder Gott erhört mein Flehen - dann gibt es ihn -, oder er erhört es (noch) nicht - dann muss ich weiter beten.
Technik als Heilsbringer
Technik ist laut Fleissner in seiner heilsbringenden Wirkung viel eher einer Bewährung an der Wirklichkeit ausgesetzt. Aber auch hier gelte, dass ein etwaiges Nicht-Funktionieren der Technik vom technikgläubigen Menschen als Aufforderung zu weiterer technischer Verbesserung angesehen wird.

Technik sei in Zeiten der Revolution oft ein wichtiger Heilsbringer gewesen. Lenins Kraftwerke sollten nicht nur im physikalischen Sinn erhellend wirken, sondern den Pathos des Fortschrittsglaubens unterstützen.
->   Peter Fleissner (TU Wien)
Verunsicherung Technik
Renee Schroeder, Professorin für Mikrobiologie und Genetik der Universität Wien, diagnostizierte in ihrem Statement vor allem eine Lücke zwischen den modernen Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften. Das molekularbiologische Weltbild, welches vielen Naturwissenschaftlern ein ausreichend komplexes Betätigungsfeld verschafft, zwinge die Geisteswissenschaften, zumindest teilweise ihre Konzepte dem heutigen Stand des Wissens anzupassen.

Teilweise führe aber eine Ablehnung der modernen Techniken zu einer Verunsicherung des Menschen, zum Abhandenkommen des Sicherheitsfaktors und zu neuen Dogmen, die Stabilität versprechen. Glaube aber sollte sich nicht an Dogmen, sondern an Verantwortung orientieren. In den technischen Wissenschaften kann dies auch die Verantwortung sein, etwas Gutes zu tun - und die Technologien zu nutzen.
->   Renee Schroeder (Embnet Austria)
Keine Reduktion von Religion auf Moral
Für Ulrich Körtner vom Institut für systematische Theologie der Universität Wien sollten Glaube und Religion aber nicht auf Moralfragen reduziert werden. Es gehe auch um den Umgang mit dem eigenen Scheitern, mit Sinnfragen. Solche Fragen brechen im Zusammenhang mit Technologie immer wieder auf.

So habe die moderne Transplantationsmedizin erst das Problem der "Organknappheit" geschaffen, während früher Gottes Wille als Schicksal und als Antwort auf die Sinnfrage als endgültig galt.
Schöpfungsglaube ist keine "Entstehungstheorie"
Religion und Glaube geben laut Körtner eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn menschlicher Existenz, indem sie dem Menschen ein bestimmtes existentielles Selbstverständnis erschließen.

So sei auch der Glaube, dass die Welt und der Mensch Gottes Schöpfung sind, nicht als eine quasi- oder pseudowissenschaftliche Entstehungstheorie misszuverstehen, die in Konkurrenz zu naturwissenschaftlichen Deutungen der Wirklichkeit steht. Vielmehr sei sie Ausdruck eines elementaren Kreaturgefühls. Religion übernehme Führung, wenn es um die Klärung der Frage geht, wie mit moderner technischer Welt gelebt werden kann.
->   Ulrich Körtner (science.ORF.at)
Emotion und Glaubenserfahrung
Joachim Angerer betonte in seiner Stellung als Abt des Chorherrenstifts Geras die emotionale Komponente der Glaubenserfahrung. Technik sei schon immer von Menschen benutzt worden, aber darin liege kein Ersatz für Religion.

Von Religion werde der Mensch als Mensch berührt. Für Angerer gibt es daher keinen Gegensatz von Religion und Technik und auch der härteste Techniker kann an Gott glauben.
->   Stift Geras
Die gesellschaftliche Kraft der Technik
Stadtrat Sepp Rieder (SPÖ) knüpfte an die Rolle des Technikers an, indem er die Frage nach der Technik als gesellschaftliche Kraft stellte. Wenn die Technik als Gestalterin der Entwicklung von Mensch und Gesellschaft neben Kirche, Gewerkschaft oder politischen Parteien trete, so stellt sich auch die Frage nach ihrer Beeinflussung und gesellschaftlichem Interessensausgleich.

Für Rieder ist die Behauptung, Technik ersetze Religion, nicht nachvollziehbar. Vielmehr sei im oft technikfeindlichen Österreich die umgekehrte Entwicklung feststellbar. Die Unwägbarkeiten technischer Entwicklung und Ängste, die von Technikern nicht ausgeräumt werden, bereiten einer Missionierung durch Sekten den Boden. Parallel dazu entstehe aber auch ein neues Bedürfnis nach politischer Intervention.
->   Sepp Rieder (Stadt Wien)
Ungeschorene Technologie ...
In der eher technologischen Runde kam die Technologie fast ungeschoren davon, während die Religion eher in die Defensive gedrängt wurde. Die Rolle der Technologie als Wegbereiterin von Fortschritt und Wirtschaftswachstum und damit Wohlstand wurde kaum hinterfragt.

Vielmehr erscheint Religion als eine Art Hilfsdisziplin der Technik, indem sie der Beantwortung ethischer Fragen dient.
... die auch zum "Schöpfergott Mensch" führen kann
Man kann dabei auch soweit gehen wie Peter Fleissner, indem man der Religion die Rolle zuspricht, tiefliegende Bedürfnisse der Menschen zu formulieren, die dann von der Technik praktisch und konkret befriedigt werden: "Der Schöpfergott wird durch den Schöpfer Mensch abgelöst, der in die Lage kommt, sich seine Wünsche selbst zu erfüllen."
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Über den Autor
Erich Prem ist Lektor an der Universität Wien und leitet ein Unternehmen für Technologiemanagement. Er ist Programm-Manager für das IT-Förderprogramm FIT-IT und seit vielen Jahren am Österreichischen Forschungsinstitut für Artificial Intelligence wissenschaftlich tätig.
->   Mehr über Erich Prem (Uni Wien)
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->   Tech Gate Vienna
->   FIT-IT
 
 
 
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01.01.2010