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Das soziale Verhalten der Affen  
  Rein genetisch sind Menschen den Affen, wie Schimpansen, nur um Haaresbreite voraus. Diese nahe Verwandtschaft zeigt sich, abgesehen vom Erscheinungsbild, in vielen Verhaltensmustern. So gibt es schon bei den Primaten ein Verhalten, das durchaus mit sozialer Verantwortung zu beschreiben wäre. Wiener Biologen wollen beweisen, dass es sich dabei um mehr als bloße Nachahmung handelt.  
Affen mit Kultur
Affen zeigen durchaus menschliche Qualität und "Tugenden", die man bisher nur wenig erforscht hat. So offenbaren die Primaten z. B. Verantwortung für die Gruppe, wenn sie sich um ganz junge, alte oder kranke Tiere ihres Verbandes kümmern.

Wenig Egoismus zeigen die Affen auch bei der Weitergabe von Wissen und Fähigkeiten. Wissenschaftler sprechen von sozialem Lernen. Die Biologen der Universität Wien folgen bei ihrer Arbeit den Spuren von Jane Goodall, die 40 Jahre mit wilden Schimpansen gearbeitet hat.
->   Universität Wien, Zoologie
Versuche im Labor
Während Jane Goodall ihre Schimpansen über 30 Jahre in freier Wildbahn beobachtet hat und erstmals viele Parallelen zu menschlichen Verhaltensmustern nachweisen konnte, sind die Wiener Wissenschaftler auf Experimente im Labor angewiesen.

Gearbeitet wird mit Weißbüschelaffen aus den Regenwäldern Brasiliens, einer Untergruppe der Krallenaffen, die schon durch ihre geringe Größe ideale Versuchstiere sind.
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Weißbüschelaffen
Callithrix jacchus ist Eichhörnchen ähnlich mit weißen Ohrbüscheln, ihr dichtes, weiches, langhaariges Fell zeigt braune gelblichweiße und orangefarbene Farbtöne. Dicht anliegend erscheint es quergestreift und am Schwanz geringelt. Auf der Stirn fällt ein weißer Fleck auf.
Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet dieses Äffchens reichte vom Staat Maranhao im Nordosten Brasiliens bis zum Rio Sao Francisco. Die Art gelangte durch den Menschen auf die Südseite dieses Flusses und findet sich nun bis zu den Stadträndern von Rio de Janeiro. Das Vorkommen von Callithrix jacchus auf den vorgelagerten Küsteninseln Brasiliens ist mit Sicherheit durch den Menschen verursacht.
Sie leben in Gruppen von zwei bis 25 Tieren zusammen, an deren Spitze meistens ein sozial hochstehendes Männchen und Weibchen stehen. Die Tiere haben eine Lebenserwartung bis zu 20 Jahren.
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Kleines Experiment mit großer Wirkung
Im Schlüsselexperiment wurde den Affen die Aufgabe gestellt, sich ihre Nahrung aus einem schwer verschließbaren Gefäß zu beschaffen.

Im konkreten Fall waren es einfache Filmdosen, die von den Wissenschaftlern mit Mehlwürmern beschickt wurden. In freier Wildbahn, in ihrem angestammten Biotop sind die Tiere bei der Nahrungsbeschaffung kaum mit derartigen Problemen konfrontiert.
Mit der Kraft der Zähne
Nun wurden Dutzende Affen mit der Aufgabe konfrontiert. Das geschah gruppenweise, in ihren natürlichen Familienverbänden. Eine einzige Äffin schaffte es das Behältnis zu öffnen. Sie setzte dabei ihr kräftiges Gebiss ein, mit der schwachen Kraft der Arme allein war da nichts auszurichten.

Es blieb aber nicht bei dieser Innovation - die neuerworbene Fertigkeit wurde innerhalb der Gruppe weitergegeben bzw. von den anderen Tieren imitiert.

Bis auf eine Ausnahme: Das Alpha-Männchen der Gruppe sträubte sich bis heute dagegen, das Verhalten eines ihm untergeordneten Weibchen zu übernehmen, auch wenn ihm so eine Delikatesse versagt bleibt. Ein typischer Fall von männlicher Ignoranz.
Tradition ist Weitergabe von Wissen
Das Entscheidende für die Wissenschaftler in der Causa Mehlwurm/Filmbox war weniger die Innovation an sich, als die Tatsache, dass die neu erworbene Fertigkeit weitergegeben wurde. Sowohl horizontal - also von Familienmitglied zu Familienmitglied - als auch vertikal - von Eltern auf die Kinder.

Die Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von Traditionsbildung. Dabei wäre denkbar, dass eine andere Gruppe einen eigenen, ganz anderen Weg findet, sich die Leckerbissen zu angeln, dabei die Füße verwendet, ein Werkzeug zu Hilfe nimmt, oder was immer.

Wird dieses Wissen weitergegeben, bildet sich eine neue Tradition oder Kultur heraus. Ähnliches wurde bei Schimpansen in freier Wildbahn beobachtet. In geographisch weit auseinanderliegenden Regionen entstanden völlig unterschiedliche Lösungsansätze für ein und dasselbe Problem.
Lernen, Lehren, Nachäffen?
Lernen durch so genannte echte Imitation war in der Wissenschaft bisher einzig dem Menschen vorbehalten. Mit ihrem ungeahnten Talent, sich Innovationen einfach "abzuschauen", haben die Weißbüscheläffchen einiges durcheinander gebracht.

Nun geht es darum, zu beweisen dass Wissen auch ganz bewusst weitergeben wird. Auf jeden Fall, so Ludwig Huber, Leiter der Abteilung für theoretische Biologie am Institut für Zoologie der Universität Wien, hat sich in der Phylogenese der Abstand zwischen Mensch und Affe weiter verringert.

Ein Beitrag von Gerhard Roth für die Sendung "Modern Times" am Freitag, 20. Juni 2003, um 22.35 Uhr in ORF2.
->   Institut für Zoologie an der Universität Wien /Abteilung für Theoretische Biologie
->   Jane Goodall
->   Soziale Verhaltensweisen bei Kapuzineraffen (science.ORF.at, 14.4.2003)
->   Kultur-Fähigkeit älter als bisher angenommen (science.ORF.at, 02.1.2003)
->   Modern Times
 
 
 
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01.01.2010