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ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Sportliche Höchstleistungen: Doch nicht so viel trinken?  
  "Trinke besser mehr als wenig - und zwar schon bevor du Durst hast." Das sind zwei Binsenweisheiten der Ernährung, die Breiten- und Spitzensportler ihr Leben lang begleiten. Weil sie aber falsch sind, kann dieses in Extremfällen schnell vorbei sein, warnt nun ein Sportmediziner.  
Dieses auf den ersten Blick überraschende Szenario beschreibt der Sportmediziner Timothy David Noakes vom Sports Science Institute of South Africa in der aktuellen Ausgabe des "British Medical Journal" (BMJ).
Hyponatriämische Enzephalopathie
Ausgangspunkt sind mehrere Fälle von Sportlern, die an hyponatriämischer Enzephalopathie - einem Salzmangel im Blut und einer darauf eingetretenen Schädigung des Gehirns - gestorben sind.

Der letzte dokumentierte Todesfall betrifft Cynthia Lucero, eine Teilnehmerin des berühmten Marathons in Boston aus dem Jahr 2002.
->   Erinnerungssite an Cynthia Lucero
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Der Artikel ist unter dem Titel "Overconsumption of fluids by athletes" im "BMJ" (Bd. 327, S. 113-114, Ausgabe vom 19. Juli 2003) erschienen.
->   "British Medical Journal"
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Bis 1960er Jahre wurde wenig getrunken ...
Von der Antike bis in die 1960er Jahre habe das Denken vorgeherrscht, dass Trinken - weil leistungshemmend - während des Wettkampfes nicht zu empfehlen ist, schreibt Noakes.

1969 erschien dann ein wegweisendes Werk der Sportmedizin: "The danger of an inadequate water intake during marathon running" von C.H. Wyndham und N.B. Strydom, das für vermehrte Flüssigkeitszufuhr bei langen sportlichen Betätigungen plädierte.
... danach umso mehr
Noakes beklagt nicht nur den unkorrekten Titel der Studie - so hätten die Autoren gar keine echten Marathonläufer untersucht, welche die übliche Strecke von 42 Kilometern bewältigten -, sondern vor allem die Vorbildwirkung.

Zahlreiche - oft von der Sportgetränke-Industrie finanzierte - Nachfolgestudien hätten die These weiter verfolgt und zu Empfehlungen geführt, die heute ins allgemeine Bewusstsein übergangen sind.
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Lebenswichtiges Wasser
Wasser ist der Hauptbestandteil des menschlichen Körpers, bei Erwachsenen macht es 50 bis 60 Prozent des Körpergewichts aus. Alle Zellen und alle Körperflüssigkeiten wie Blut, Verdauungssäfte, etc. des Organismus enthalten Körperwasser, das als universelles Lösungs- und Transportmittel Grundlage aller physiologischen Vorgänge ist.
->   Forscher entschlüsseln Wassertransport im Körper (19.4.02)
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Vier falsche - aber sehr populäre - Annahmen
Diese Empfehlungen gehen von vier Annahmen aus, die nach Ansicht von Noakes allesamt ohne empirische Grundlage sind:

1) Das gesamte Gewicht, das während der sportlichen Betätigung verloren geht, muss wieder ersetzt werden, da Dehydrierung die größte Gefahr für die Gesundheit darstellt.
2) Das subjektive Durst-Empfinden täuscht den Athleten - d.h. er soll früher trinken, als er selbst Durst verspürt.
3) Der Flüssigkeitsbedarf ist für alle Aktiven mehr oder minder gleich, weshalb sich allgemeine Regeln aufstellen lassen.
4) Viel Trinken kann nicht schaden: So werden Athleten dazu angehalten, das gesamte verlorene Körpergewicht zu ersetzen bzw. die maximal tolerierte Menge von 0,6 bis 1,2 Liter pro Stunde zu trinken.

Zur Betonung: Alle diese Annahmen sind nach Ansicht von Noakes falsch. Weder seien sie Grundlage, um gesundheitliche Schäden zu vermeiden, noch könnten sie dazu dienen, individuelle Leistungen zu steigern.
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Wie viel Wasser ist zu empfehlen?
Der Körper eines normalen Erwachsenen gibt - ohne besondere sportliche Belastung - pro Tag etwa zweieinhalb Liter Wasser über Schweiß, Atemluft und Harn ab und muss diesen Verlust ausgleichen: Eine kleine Menge Flüssigkeit - das Oxidationswasser - produziert er via Stoffwechsel selbst (ca. 0,3 Liter). Rund ein Liter befindet sich in der Nahrung, auch vermeintlich "trockene" Lebensmittel wie Brot enthalten zu etwa 40 Prozent Wasser. Der Rest muss getrunken werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, 1,5 Liter am Tag zu trinken. Nach ihren Referenzwerten sollten Erwachsene insgesamt 35 Milliliter Wasser pro Kilo Körpergewicht aufnehmen, Menschen ab 65 Jahre 30 Milliliter. Mehr als 1,5 Liter zu trinken, ist nur bei außergewöhnlichen schweißtreibenden Belastungen nötig. Auch Magen-Darm-Kranke müssen mehr trinken, um ihren hohen Flüssigkeitsverlust auszugleichen.
->   Trinkempfehlungen für Breitensportler (DGE)
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250 Fälle bereits dokumentiert
Die ersten Berichte von Menschen mit hyponatriämischer Enzephalopathie stammten von Soldaten und Wanderern - nach Angaben von Noakes unmittelbar nachdem sich das Maximal-Trinken-Gebot etabliert hatte.

Mindestens sieben Todesfälle seien mittlerweile dokumentiert, 250 weitere Fälle in der Medizinliteratur beschrieben.
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Hyponatriämie
Hyponatriämie ist die Verminderung der Natrium-Konzentration im Blut (Werte unter 135 mmol pro Liter), meist als Zeichen eines Wasserüberschusses im Organismus. Die Hyponatriämie kann Folge einer hypotonen Dehydratation sein bzw. ungenügender Natrium-Zufuhr oder von Elektrolytverlust durch Nierenfunktionsstörung, Erbrechen oder Durchfall.
->   Mehr über Hyponatriämie (MedizInfo)
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Empfehlung: Bester Ratgeber ist der Durst
Noakes schließt mit einer Warnung und mit einem Verhaltenshinweis. Die Warnung: Übermäßige Flüssigkeitsaufnahme - gleichgültig ob Wasser oder isotonische Getränke - vor, während oder nach sportlicher Aktivität ist unnütz und kann fatale Folgen haben.

Der Verhaltenshinweis: Der beste Ratgeber ist noch immer das eigene Empfinden - getrunken werden soll dann, wenn Durst verspürt wird. Und zwar in der Größenordnung von 0,4 bis 0,8 Litern pro Stunde, je nachdem, wie groß oder schwer der Athlet ist bzw. seine Belastungen.

Auf einen Erfolg kann Noakes bereits verweisen: Der US-Leichtathletikverband USATF hat diese Empfehlungen seit dem Frühjahr 2003 übernommen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Neue Trink-Empfehlungen der USATF
->   Ernährungs-Infos für Sportler (Deutsche Gesellschaft für Ernährung)
->   Energie-Bereitstellung & Flüssigkeitshaushalt (Öst. Apothekerzeitung)
->   Faculty of Health Sciences, University of Capetown
 
 
 
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01.01.2010