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Grazer "Hirnschrittmacher" gibt Neuronen den Takt vor  
  Im Bereich des Herzens sind Schrittmacher schon lange etabliert. Mit Hilfe der elektrischer Stimulation ziehen Mediziner nun auch immer öfter gegen die Symptome der Parkinson-Krankheit ins Feld. Dieser Tage wurde von einem interdisziplinären Team der Grazer Uniklinik für Neurochirurgie und der Neurologischen Uniklinik der erste so genannte Tiefenhirnstimulator an einem steirischen Krankenhaus implantiert.  
Künftig soll von Graz aus der südösterreichische Raum und in Folge auch Patienten aus Slowenien versorgt werden, so Neurochirurg Martin Trummer im Gespräch mit der APA.
Symptome werden deutlich gelindert
"Es handelt sich zwar um einen mehrstündigen Eingriff, aber letztlich können damit die Symptome deutlich gelindert und die Lebensqualität der Patienten wieder wesentlich gesteigert werden", so Trummer.
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System stimuliert bestimmte Areale im Gehirn
Das dazu verwendete einem Schrittmacher ähnliche System stimuliert bestimmte Areale im Gehirn. Dadurch werden die beim Morbus Parkinson typischen Symptome wie Zittern (Tremor), erhöhte Muskelspannung oder -steifheit (Rigor) oder eine Verlangsamung aller Bewegungsabläufe (Bradykinesie) erheblich verringert, erklärt der Chirurg. Darüber hinaus kann die Therapie auch so genannte Dyskinesien (unfreiwillige Bewegungen, die häufig als Nebenwirkung der medikamentösen Behandlung mit L-Dopa auftreten) bessern.
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Großes Maß an Selbstständigkeit für Patienten
"Insgesamt erhalten Patienten, die vor dem Eingriff bereits Pflegefälle waren, wieder ein großes Maß an Selbstständigkeit", so die Neurologin Barbara Melisch.
Zwei Elektroden werden implantiert
Bild: APA/MEDTRONIC
Im Rahmen der Operation werden dem Patienten zwei feine Elektroden über zwei kleine Bohrlöcher im Schädel in eine vorher über Computertomografie (CT) und Magnetresonanz (MR) genau vermessene Zielpunkte im Nucleus subthalamicus implantiert.

"Wir stimulieren bilateral, das heißt in beiden Gehirnhälften", erläutert der Neurochirurg Trummer. Der Eingriff wird bei vollem Bewusstsein des Patienten durchgeführt.

"Der Patient muss immer wieder im wachen Zustand Reaktionstest durchlaufen, damit die exakte Position der Elektroden ausfindig gemacht wird und Nebenschäden wie Sprach- der Sehstörungen verhindert werden", so Trummer.
Kabel verbinden Elektroden mit Stimulator
Die millimetergenau eingepflanzten Elektroden werden über Kabel, die unter der Kopfhaut laufen, mit einem im Schlüsselbeinbereich implantierten Neurostimulator verbunden, der dann mit einer Frequenz von 130 Hertz dauerhaft schwache elektrische Impulse (1,5 bis 3,5 Volt) an den Zielort in den beiden Gehirnhälften abgibt.

Ziel ist es, die unnatürlich synchron arbeitenden Neuronen wieder aus dem Takt zu bringen.
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Parkinson: Verlust von Nervenzellen im Mittelhirn
Ursache der Parkinson-Erkrankung ist der Verlust von Nervenzellen in der so genannten Schwarzen Substanz (Substanzia Nigra), einer Region im Mittelhirn. Die Nervenzellen produzieren Dopamin, einen der wichtigsten Botenstoffe für einen geregelten Bewegungsablauf.

Sind 50 bis 60 Prozent der Dopamin produzierenden Zellen zu Grunde gegangen, machen sich die ersten Krankheitsanzeichen allerdings erst bemerkbar, so die Neurologin Barbara Melisch. Dann geben die Neuronen die Signale nicht mehr nacheinander, sondern gleichzeitig ab. Diese ungewollte Synchronität führt zu einer Überaktivität der Muskel, die beispielsweise das typische Zittern der Extremitäten auslöst.
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Genauer Mechanismus ist unbekannt
Der genaue Wirkmechanismus der Tiefenhirnstimulation ist nicht bekannt, man nimmt jedoch an, dass mit dem implantierbaren Stimulationssystem die überaktiven Nervenzellgebiete in ihrer Funktion wieder normalisiert werden.
Den Bedürfnissen der Patienten angepasst
Der Arzt kann mit Hilfe eines Computers und eines Senders die Einstellung des Schrittmachers verändern, um die Reizung genau den Bedürfnissen des Patienten anzupassen.
Nicht für alle Betroffenen geeignet
Geeignet ist die Tiefenhirnstimulation nicht für alle Parkinson-Patienten: "Es geht uns vor allem um Patienten, deren Symptome durch Medikamente nicht mehr zu kontrollieren sind, das heißt, es kommt zum Auftreten des so genannten L-Dopa-Langzeitsyndroms, bei dem es zu plötzlich auftretenden Wirkungsverlusten oder nicht kontrollierbaren Überbewegungen kommt", so Melisch.

"Selbstverständlich muss die physische Konstitution dem doch langen Eingriff standhalten, die Infektabwehr des Patienten muss ausreichend sein und es müssen bestimmte medizinische Voraussetzungen gegeben sein, wie zum Beispiel ein gutes Ansprechen auf L-Dopa im so genannten L-Dopa-Test", ergänzt Chirurg Trummer.
Erster Eingriff: "Hervorragend verlaufen"
Der Grazer Eingriff - erster Patient war eine 64 Jahre alte Frau, die seit zehn Jahren an Parkinson leidet - verlief laut Ärzteteam hervorragend:

"Seit Beginn der Stimulation sind bei der Patientin keine Überbewegungen mehr aufgetreten, Muskelsteifigkeit, Bewegungsverlangsamung und Zittern sind nahezu verschwunden, die Patientin kann ohne Schlaftabletten schlafen und ihren Alltag wieder alleine meistern".
Methode auch für andere neurologische Erkrankungen
Hergestellt wird das System vom amerikanischen Medizintechnikunternehmen Medtronic mit Sitz in Minneapolis. In Österreich kommt das System bereits in Wien, Innsbruck und Linz zur Anwendung.

Weltweit wurden rund 20.000 Betroffene mit dieser Methode behandelt. "Derzeit wird das Verfahren auch zur Behandlung anderer neurologischer Erkrankungen wie essenziellem Tremor und Dystonien eingesetzt", so Trummer.
->   Grazer Universitätsklinik für Neurochirurgie
->   Neurologische Universitätsklinik Graz
->   Alles zum Stichwort Parkinson in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010