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Beinharte Kalkulation - Was Elektronen über die Härte aussagen  
  Wenn Marmor, Stein und Eisen bricht, zerbirst der Diamant noch immer nicht: Aus dem Alltag sind wir sehr gut mit der physikalischen Härte vertraut. Wissenschaftler haben mit dieser Eigenschaft jedoch ihre liebe Not. Denn bislang gab es keine einheitliche Theorie, mit der man die Festigkeit eines gegebenen Materials prognostizieren konnte. Chinesische Wissenschaftler entwickelten nun eine Formel, die anhand weniger atomarer Kenngrößen die Härte von Kristallen vorhersagen kann.  
Das Forschungsergebnis von Faming Gao und seinen Mitarbeitern der College of Materials Science and Engineering der Yanshan University befriedigt damit einen langersehnten Wunsch aus der Zunft der Materialwissenschaften: Die Rückführung der - makroskopisch erfahrbaren - Härte auf Eigenschaften, die aus der Welt der Elektronen stammen.
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Die Studie "Hardness of Covalent Crystals" von Faming Gao et al. erschien in der Zeitschrift "Physical Review Letters" (Band 91, 015502 (2003)).
->   Zum Original-Abstract
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Wissenschaft: Den Schleier der Natur lüften
Wissenschaft kann als ein Prozess angesehen werden, bei dem Generationen von Forschern die Natur in den Zeugenstand bitten, um ihr ihre Geheimnisse ablauschen. Zu dumm nur, dass die Natur sich in diesem Wechselspiel gerne ziert und einen undurchsichtigen Schleier von vieldeutigen Fakten über das Blickfeld der Wissbegierigen legt.
Wärme als spezielle Form der Bewegung
Mit welcher Methode man diesen Schleier am besten lüftet, ist eine Frage, über die sich immer schon hervorragend streiten ließ. Eine endgültige Antwort darauf gibt es jedenfalls bis heute nicht.

Wann dieser Schleier bei bestimmten Fragen gelüftet wurde, darüber lässt sich schon eher Einigkeit erzielen. Bei der physikalischen Eigenschaft der Wärme gelang das etwa bereits im Jahr 1620:

Der britische Naturforscher Francis Bacon gebrauchte damals in seinem Hauptwerk "Novum Organum" folgende erstaunlich moderne Formulierung: "Die Wärme selbst ist in ihrem Wesen nach nichts anderes als Bewegung... Wärme besteht in wechselnder Bewegung der kleinsten Teilchen der Körper." Das würden auch die Physiker der Gegenwart durchaus so stehen lassen.
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Reduktion gilt als Erfolg
Interessant ist hierbei vor allem die Wendung "nichts anderes als": Eigenschaften gelten dann als besonders gut erklärt, wenn sie auf einfachere Prinzipien zurückgeführt werden können. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer "Eigenschaftsreduktion". Dass dieses Ansinnen (vor allem außerhalb der Physik) Grenzen hat, liegt auf der Hand: Kritiker nennen eine unzulässige Erweiterung des Reduktionsprinzips daher spöttisch als "nothing else buttery".
->   Mehr zu den Formen des Reduktionsmus (wikipedia.org)
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Härte ist nichts anderes als ... was?
Vor ganz ähnlichen Problem steht man seit geraumer Zeit in Bezug auf die physikalische Härte. Prüfverfahren zur Bestimmung der Materialhärte gibt es zuhauf, nur in der Theorie haperte es bislang. Denn eine einfache Begründung der Härte a la Francis Bacon schaffte bis jetzt noch kein Forscher.

Zwar vermutete man bereits, dass etwa die Art der Bindung, der Ionenradius oder die Packungsdichte im atomaren Bereich einen Einfluss auf die Härte haben, eine exakte Formulierung dieses Zusammenhangs war jedoch noch ausständig.
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Härtemessungen
Die bekannteste Härtemessung ist vermutlich die Ritzhärte nach der Mohsschen Härteskala. Die Skala umfasst zehn Klassen, die jeweils nach häufigen Mineralen bestimmt sind, jedoch keine physikalisch-lineare Härteskala darstellen. Vom weichsten zum härtesten Mineral umfasst die Mohssche Härteskala Talk, Gips, Calcit, Flussspat, Apatit, Orthoklas, Quarz, Topas, Korund und Diamant. In der physikalischen Werstoffprüfung bedient man sich selbstverständlich exakterer Methoden, die sich z.B. auf Eindringtiefen oder Eindruck-Flächen beziehen.
->   Die härtesten und weichsten Elemente
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Chemische Bindungen geben Aufschluss
Diese Hürde nahm nun ein Forscherteam um Faming Gao mit Bravour. Wie die chinesischen Wissenschaftler in ihrem Aufsatz in den "Physical Review Letters" berichten, zogen sie für ihre Berechnungen drei Kenngrößen heran:

Die Elektronendichte, die Bindungslänge und der Grad der kovalenten Bindung erwiesen sich als ausreichend, um die Härte von 14 verschiedenen Kristallen vorherzusagen. Die Ergebnisse stimmten mit den experimentellen Daten - innerhalb einer Fehlergröße von zehn Prozent - gut überein.
Die Bausteine der Theorie
Die theoretische Grundüberlegung der asiatischen Forscher: Härte kann als Eigenschaft von chemischen Bindung angegeben werden, die äußeren Verformungen widerstehen. Infolge dessen sollten mehr, kürzere und dichtere Bindungen in der Materialstruktur die Härte positiv beeinflussen.

Weiters sollten Materialien mit einem geringen Ionencharakter ebenfalls zu einer höheren Härte führen, da kovalente Bindungen nach den Gesetzen der Chemie stärker sind als etwa Ionenbindungen.
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Chemische Bindungen
Der wichtigste Unterschied zwischen kovalenten und Ionen-Bindungen besteht in der Art und Weise, wie Elektronen zwischen Bindungspartnern aufgeteilt werden. Bei ersterer teilen sich Atome ein oder mehrere Elektronenpaare, bei letzterer werden die Elektronen zur Gänze abgegeben bzw. aufgenommen. Eine brauchbare Maßzahl für den Ionencharakter einer Bindung ist die von Linus Pauling eingeführte Elektronegativität. Als Daumenregel gilt, dass Atome, die im Periodensystem rechts oben stehen (wie z.B. Fluor), hohe Elektronegativitäten aufweisen und daher eher zu Ionen-artigen Bindungen neigen.
->   Mehr dazu (Uni Heidelberg)
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Materialwissenschaftler im Glück
So wurde etwa mit der entwickelten Formel die Härte der superharten Verbindung BC2N abgeschätzt, was den vorhandenen Materialdaten exakt entsprach.

Die Fachwelt zeigt sich aufgrund der Ergebnisse jedenfalls optimistisch: Julien Haines von der Universite Montpellier bezeichnete die neue Formel gegenüber dem Online-Magazin "Physical Review Focus" als "wirkungsvolle und nützliche Technik zur Vorhersage der Materialhärte".

Gerbrand Ceder vom MIT betonte hingegen den Erkenntniswert der Forschungsarbeit: "Jedes Mal, wenn eine Verbindung zwischen einer makroskopischen Eigenschaft und berechenbaren Größen gelingt, dann ist das ein Schritt vorwärts."
->   Mehr zum Thema Materialwissenschaft im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010