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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
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Die Zukunft der Forscherzunft  
  Neue Technologien und Methoden haben die biomedizinische Forschung in den letzten Jahrzehnten revolutioniert. Die Ausbildung der Wissenschaftler hinkt diesen Fortschritten hinterher - das jedenfalls meinen die Herausgeber des britischen Fachmagazins "The Lancet". Ihr gewagter Vergleich: Die akademische Bildung sei im Mittelalter steckengeblieben.  
Die Autoren argumentieren dabei zweideutig. Einerseits stecke die Vermittlung der Wissenschaftskünste noch in den Zwangsjacken des Mittelalters - denn heute seien neben Fachwissen auch Managementqualitäten gefragt-, andererseits wird ein Loblied auf nicht-profitorientierte Forschung gesungen.
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Der Artikel ist unter dem Titel "Is science stuck in the Middle Ages?" in "The Lancet" (Bd. 362, Ausgabe vom 2. August 2003) erschienen.
->   Das "Lancet"-Editorial
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Schlecht vorbereitete Wissenschaftler
Das Wissenschaftssystem habe Ähnlichkeiten mit dem Ausbildungssystem des Mittelalters, so "The Lancet". Zukünftige Handwerker wären damals zum Meister gegangen, hätten ihre Zeit als Lehrling verbracht, ehe sie mit Hilfe ihres eigenen Meisterstücks selbst aufgestiegen wären zu den Könnern ihres Fachs - das Ganze streng überwacht von der eigenen Zunft.

Im Vergleich mit der Gegenwart der Forschung sei dieses Modell sogar noch zu bevorzugen. Denn, so nimmt "The Lancet" auf eine aktuelle Review der amerikanischen "National Academies" Bezug, "die Beziehungen graduierter Studenten zu ihren Mentoren werden weit weniger überprüft oder reguliert". Daraus würden Forscher erwachsen, die schlecht vorbereitet sind auf die Änderungen der Wissenschaft - was letztlich über ihren "Erfolg" entscheide.
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Die "National Academies" haben im Juli 2003 die Review "Large-scale biomedical science - exploring strategies for future research" veröffentlicht.
->   Volltext der Studie
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Immer weniger neue Medikamente ...
Als einen Maßstab für den Erfolg von Wissenschaft ziehen die Autoren die Anzahl neuer Medikamente auf dem Markt heran. In dieser Hinsicht sei eine Abwärtstendenz zu beobachten: so sank zwischen 1996 und 2002 ihre Zahl in den USA von 53 auf 17 und in Europa von 60 auf 19.
... weil Pharmaunternehmen vorsichtiger wurden
Erklärungen dafür gebe es allerdings einige: Die Pharmaunternehmen seien unter Druck ihrer Aktienbesitzer zunehmend vorsichtiger bei der Entwicklung neuer Medikamente geworden - lieber werde das Geld in Marketing-Maßnahmen bekannter und bewährter Mittel investiert.
Riskantere Forschung bei kleineren Biotech-Firmen
Die vergleichsweise "riskante" Erforschung innovativer Produkte, die vormals vor allem von den Großen der Branche erledigt wurde, sei nun mehrheitlich in die Hände kleinerer Biotech-Unternehmen gewandert, oft Spin-Offs von Universitäten, die für die Grundlagenforschung sorgen.

Erst wenn sich ein Arzneimittel als vielversprechend herausstellt, werden die Rechte an ein klassisches Pharmaunternehmen verkauft, das für die weitere Entwicklung zuständig ist. Genau an dieser Schnittstelle würden aber die Probleme für Wissenschaftler lauern.
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Bedarf statt Profit: Medikamente für vernachlässigte Krankheiten
Positiv - und im Kontext überraschend - vermerken die Autoren den Versuch von einem Profit-orientierten Forschungsmodell zu einem bedarfsorientierten zu gelangen, wie es etwa die "Drugs for Neglected Diseases Initiative" beabsichtigt. Sie wurde Anfang Juli 2003 von "Ärzte ohne Grenzen" offiziell in Genf gegründet wurde.

Im Rahmen der - auch von der Weltgesundheitsorganisation WHO unterstützten - Initiative sollen Medikamente gegen vernachlässigte Krankheiten entwickelt werden. Dazu werden Tuberkulose, Lepra, Malaria, die Schlafkrankheit, die Hautkrankheit Leishmaniose sowie die tropische Chagas-Krankheit gezählt. Nur etwa zehn Prozent der Forschungsgelder weltweit werden zum Kampf gegen diese Krankheiten investiert, obwohl sie rund 90 Prozent der Todesfälle ausmachten.
->   Drugs for Neglected Diseases Initiative
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Einsamer Forscher als Auslaufmodell
Forschung heute bedeute den Einsatz zahlreicher Methoden, hohen Aufwand, die Kooperation von sehr vielen Forschern aus unterschiedlichen Bereichen - deren Koordination werde in Hinkunft zu einem wichtigen Teil, wenn nicht zu einer Bedingung einer Wissenschaftler-Karriere.

Der klassische Forscher, der einsam seine Hypothesen im Labor überprüft, sei demzufolge ein Auslaufmodell.
Managementqualitäten gefragt
Was auch seine Auswirkungen auf die Ausbildung haben sollte - Managementqualitäten seien zunehmend gefragt. Leider, so zitieren die Autoren im Lancet die Studie der National Academies, "gibt es keine Korrelation zwischen den Fähigkeiten einer Person als Wissenschaftler und als Manager".
Schritt aus dem Mittelalter
Damit sich dieser Zusammenhang langsam herstellt, sollen die traditionellen Wege der Wissenschaftskarrieren überdacht werden: neben der Wichtigkeit der von Peer-Gruppen bewerteten Publikationen in Journalen soll auch die Anerkennung von Management-Fähigkeiten treten. Dies, so schließen die Herausgeber, könnte ein Schritt aus dem "Mittelalter der Wissenschaft" bedeuten.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   The Lancet
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
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->   Die Geburt der modernen Wissenschaft (10.2.01)
 
 
 
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01.01.2010