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"Virtual Reality" erobert den Geschmackssinn  
  Die Virtuelle Realität hat einen weiteren unserer Sinne erreicht: den Geschmack. Japanische Wissenschaftler haben einen Nahrungsmittel-Simulator entwickelt. Mit ausgefeilter Technik schafft es das Gerät, den Geschmack und sogar das Gefühl unterschiedlichster Nahrungsmitteln - vom Keks über Käse bis hin zu Marmelade - nachzuahmen.  
Entwickelt wurde der Simulator von Forschern um Hiroo Iwata von der japanischen Universität Tsukuba, wie das Wissenschaftsmagazin "New Scientist" in seiner aktuelle Ausgabe berichtet.
Letzte Grenze der "Virtual Reality"

Der Geschmacks-Simulator
Die Virtuelle Realität hat die verschiedenen Sinne des Menschen im Wesentlichen bereits "okkupiert". Es existieren Geräte, die Sehsinn, Gehör, Berührungs- und Geruchssinn nachahmen sollen. Einzige Ausnahme bislang: der Geschmack.

Hiroo Iwata und Kollegen haben ihn die "letzte Grenze der virtuellen Realität" getauft - nunmehr ist aber auch diese überschritten: "Der Nahrungs-Simulator ist die erste Medien-Technologie, die in den Mund gesteckt wird", sagt Iwata.
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Komplexes System: Schmecken und Riechen
Die Geruchs- und Geschmacksverarbeitung zeichnet sich durch eine Besonderheit aus: Das Gehirn wertet gleichzeitig verschiedene Informationen aus, die aus den unterschiedlichen Nervenleitsystemen stammen. Daher kann ein Betroffener häufig nicht unterscheiden, welcher seiner Sinne gestört ist. Häufig etwa klagen Patienten über einen Verlust des Geschmackssinns, sie leiden aber in Wahrheit an einer Störung des Geruchssinnes. Denn an Geschmacksempfindungen kennt der Mensch strenggenommen nur fünf: süß, sauer, salzig, bitter und umami. Alles andere riecht man - erst die Geruchswahrnehmung eröffnet also strenggenommen die geschmackliche Vielfalt.
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Kaukraft und chemische Bestandteile für Käse und Co.
Iwatas Team maß zunächst verschiedene Phänomene, die mit dem Kauen auf einem bestimmten Nahrungsmittel zusammenhängen. Einer dieser Parameter ist die Kraft, die benötigt wird, um etwa in ein Stück Brot zu beißen. Ein hauchdünner Sensor im Mund von Probanden hat diese Kraft gemessen.

Biologische Sensoren aus Lipid- und Polymer-Membranen haben wiederum die hauptsächlichen chemischen Bestandteile des Geschmacks von Käse und Co. analysiert und erfasst. Zu guter Letzt wurden auch die hörbaren Vibrationen per Mikrofon aufgenommen, die während des Kauens im Kieferknochen auftreten.
Parameter als "Futter" für den Simulator
Mit all diesen Parametern wurde schließlich der Nahrungsmittel-Simulator gefüttert: Ein mechanischer Bestandteil aus Textilgewebe und Gummiüberzug wird in den Mund einer Versuchsperson eingesetzt. Er soll dem Biss Widerstand entgegensetzen - ungefähr in der gleichen Art und Weise, wie ein entsprechendes Nahrungsmittel dies täte.

Kaut jemand auf dem Gerät, so registriert ein Sensor die Kraft dieses Beißens und ein Motor sorgt für die beispielsweise einem Löffel voll Marmelade oder einem Keks angemessene Resistenz.
Tuben spritzen Geschmack auf die Zunge
Natürlich fehlt hier immer noch das Wichtigste: der Geschmack an sich. Dafür sind kleine Tuben da, die eine Mischung verschiedener Geschmacksrichtungen auf die Zunge spritzen. Die Chemikalien stimulieren die fünf Geschmacksempfindungen, die man kennt: süß, sauer, salzig, bitter und umami.

Gleichzeit spielt ein winziger Lautsprecher das Geräusch des kauenden Kieferknochens in das Ohr des Benutzers.
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Geschmack: Süß, sauer, salzig, bitter und umami
Sie sorgen für Genuss oder Abneigung: die kleinen Geschmacksknospen auf der Zunge, die für die Wahrnehmung des Geschmacks verantwortlich sind. Wenn diese Zellen zum Beispiel Zuckerstoffe binden, wird die Nahrung als süß empfunden. Besitzen sie einen Rezeptor für Glutamat, das in Fleisch vorhanden ist, entsteht der Geschmackseindruck umami. Die Geschmacksstoffe lösen einen chemischen Reiz aus, der in elektrische Erregung umgewandelt wird und dem Gehirn signalisiert: da schmeckt etwas süß, sauer, salzig, bitter oder umami.
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Noch fehlt allerdings der Geruch
Nach Angaben von Hiroo Iwata ist es den Forschern bereits gelungen, diverse Nahrungsmittel - darunter Käse, Kekse, Backwaren und japanische Snacks - zu simulieren. Ein wichtiger Bestandteil fehlt allerdings noch, um den Simulator wirklich abzurunden: ein Zusatz, der den passenden Geruch in die Nase sprüht.

Die Wissenschaftler sehen für ihr Gerät auf jeden Fall auch Anwendungsgebiete. Der Simulator eigne sich etwa ür Nahrungsmittel-Designer, meinen sie. Auf diese Weise könnte auch nachvollzogen werden, welche Schwierigkeiten ältere Menschen beim Kauen von bestimmten Lebensmitteln haben.

Und nicht zuletzt kommt auch der Spaßfaktor nicht zu kurz - zumindest für die Entwickler des Gerätes: Der plötzliche Wechsel während der Simulation - etwa vom Käse zur Marmelade - sei "unglaublich lustig", so Iwata.
->   "New Scientist"
->   University of Tsukuba
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01.01.2010