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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
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Tempel für die Wissenschaft  
  Universitäten und Forschungszentren werden gemeinhin nach ihrem intellektuellen Output beurteilt: Je mehr und höherwertigere Publikationen, desto höher das Prestige der jeweiligen Institution. Doch vorbei sind die Zeiten, in denen nur auf diese Weise das Ansehen gehoben werden konnte. Forschungsinstitutionen, die etwas auf sich halten, beherbergen ihr Personal nicht mehr in schmucklosen Bunkern. Heute legen Star-Architekten Hand an, wenn es um die Errichtung von wissenschaftlichen Zweckbauten geht. Der letzte Trend: Architektonische Strukturen, die der Anpassungsfähigkeit von Organismen nachempfunden sind.  
Die gegenwärtigen Modewörter der Branche lauten daher: Anpassung, Formbarkeit und Flexibilität. Doch so zweckdienlich die schönen neuen Tempel der Wissenschaft auch sein mögen, Erfolgsgarantie für innovatives Forschen liefern sie naturgemäß keine.
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Literatur-Tipps zum Thema
In der aktuellen Ausgabe des Online-Magazins "The Scientist" (Band 17, Nr. 15/11) erschien der Artikel "Buildings of Science" von Denise Scott Brown. Darin nimmt sie kritisch auf einen im Juni dieses Jahres erschienenen Aufsatz ("Tempels of Science") Bezug, in dem von den letzten Trends der Laborarchitektur berichtet wurde.
->   The Scientist
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Klassiker am Pazifik: Salk & Scripps
Bild: Kevin Franks, Salk Intsitue
Salk Institute
Als echte Klassiker Aufsehen erregender Wissenschaftsarchitektur gelten zwei Gebäude, die nur wenige hundert Meter voneinander entfernt im südkalifornischen La Jolla unweit der Pazifikküste stehen.

Das eine geht auf eine Kooperation von Jonas Salk, dem Entdecker des Polio-Impfstoffes, mit dem Architekten Louis Kahn zurück. Ambitioniertes Ziel ihrer Zusammenarbeit in den frühen 1960ern war die Erschaffung eines Gebäudes, dessen Qualitäten selbst einen Pablo Picasso überzeugt hätten.

Das Ergebnis spricht für sich: Die futuristischen Linien des Gebäudes sind auch 40 Jahre nach dessen Eröffnung eine architektonische Sensation.
Das Ideal: Fassade vom Feinsten, Inhalt ebenso
Bild: The Salk Institute - Sloan-Swartz
Salk Institute
Und auch in personeller Hinsicht war in diesem Haus immer das Beste gerade gut genug. Klingende Namen wie Renato Dulbecco, Leslie Orgel, Leo Szilard, Francis Crick, Salvador Luria oder Jaques Monod zählen bzw. zählten zum Stab wissenschaftlicher Mitarbeiter, der heute etwa 850 Personen umfasst.

Schließlich verweist man am Salk Institute auch auf fachliche Reputation: Das Institut rangiere beständig unter den führenden Forschungs-Institutionen der Welt, heißt es in einer Selbstbeschreibung auf der Instituts-Website.

Wirft man einen Blick auf die Publikationslisten der verschiedenen Forschungsbereiche, so scheint diese Einschätzung wohl nicht zu hoch gegriffen.
->   Mehr zur Geschichte des Salk-Institutes
Harmonie mit der Landschaft
Bild: Neurosciences Research Foundation
Neurosciences Institute
Nicht minder ambitiös ist die Architektur des Scripps Neurosciences Institute, in dem ein Team um den Nobelpreisträger Gerald Edelman den Ursachen des Bewusstsein auf die Spur kommen will.

Der 1995 errichtete 16 Millionen Dollar-Bau wurde von dem Architektenduo Tod Williams und Billie Tsien gefertigt. Doch im Gegensatz zu dem modernistischen Entwurf von Louis Kahn soll sich die neurowissenschaftliche Forschungsstätte harmonisch in die Landschaft einfügen.
->   Mehr zur Architektur des Neurosciences Institute
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Anleihen bei Mutter Natur
Den neuesten Trends zufolge reicht die architektonische Orientierung an Mutter Natur noch einen Schritt weiter. Vorbild für aktuelle Wissenschaftsbauten ist die erstaunliche Flexibilität von Lebewesen: Genau so wie etwa lebende Zellen nach Bedarf ihre Bestandteile an die aktuellen Umweltbedingungen anpassen können, sollen auch Forschungsbauten den kurzfristig wechselnden Anforderungen des Laboralltags genügen.
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Der Trend: Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
Bild: Stanford University
James H. Clark Center
Das heißt konkret: Keine vorgegebenen Raumstrukturen mehr, sondern Laborkonfigurationen, deren Teile nach Belieben auseinander genommen und zusammengesetzt werden können. Dies wurde beispielsweise im James H. Clark Center realisiert, das vor kurzem an der Stanford University seine Pforten öffnete.

Für den Entwurf zeichneten die britischen Stararchitekten von Foster & Partners verantwortlich, der Blick auf die Glasverschalungen und Stahl-Plattformen lässt vermuten:

Wo Architekten der aller ersten Liga Hand angelegt haben, werden wohl auch die Wissenschaftler der selben Kategorie zuzuordnen sein.
->   James H. Clark Center
Organische Metaphern in Mode
Bild: MPI f¿r Zellbiologie und Genetik in Dresden
MPI in Dresden
Auf organische Metaphern stößt man auch bei den Beschreibungen des neuen Max Planck Instituts für Zellbiologie und Genetik in Dresden.

Denn die Fassade des Gebäudes variiert - je nach Blickrichtung - ihre Farbe: "Obwohl sie eine sterile Form darstellt, so ist sie doch sehr lebendig", zeigt sich der Institutsdirektor Kai Simons begeistert.
->   MPI für Zellbiologie und Genetik in Dresden
Österreichischer Leckerbissen
Bild: Gerald Zugmann
Bürogebäude Seibersdorf
Selbst in Österreich kann man vereinzelt auf wissenschafts-architektonische Leckerbissen verweisen: Für das Forschungszentrum Seibersdorf hat etwa das Architektenduo Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky - besser bekannt unter dem Namen Coop Himmelb(l)au - im Jahr 1995 eine bestehende Halle in ein Bürogebäude umgewandelt.

Der Clou daran: Die offene Innenstruktur fördert die fächerübergreifende Arbeitsweise der forschenden Bewohner im Bereich Systemanalytik und Umwelttechnik. Auch äußerlich besticht der dekonstruktivistische Bau als Kontrapunkt zu den umgebenden Gebäuden, die im schlichten Backsteinstil errichtet wurden.
->   Mehr dazu bei db.nextroom.at
Architektur fördert Gedankenaustausch
Neben der notwendigen baulichen Flexibilität rückte auch am Max-Planck-Institut in Dresden die soziale Interaktion in das Zentrum der Planungen: Wie können Wissenschaftler durch die baulichen Strukturen zur Zusammenarbeit geführt werden?

Die Lösung ist - trendgemäß - am besten durch eine biologische Anleihe zu beschreiben: Sämtliche Gänge münden nämlich in ein großes Atrium, wo befruchtende Diskussionen beim Nachmittagskaffee entstehen sollen.
Hasenställe sind out
Dass Wände und abgeschlossene Räume in der gegenwärtigen Laborarchitektur als "out" zu bezeichnen sind, hat vermutlich auch mit dem symbolischen Selbstverständnis der Auftraggeber zu tun.

Denn schließlich soll innovative Forschung die Grenzen des Wissens überwinden - und da passen einengende Forschungsbunker eben nicht ganz zum intendierten Image.
Erfolgsgarantie gibt es keine
Freilich spielen auch praktische Gesichtpunkte eine Rolle: "Ich war früher in Labors mit zwei bis drei Personen hinter einer verschlossenen Türe - und zwei bis drei hinter der nächsten Türe...miteinander gesprochen hat man nicht", bemerkte kürzlich Barry Dickson vom Wiener Institut für Molekulare Pathologie gegenüber der Zeitschrift "The Scientist".

Im Sinne des Gedankenaustauschs favorisiert daher auch er offene und transparente Räume. Allerdings weist Dickson darauf hin, dass Großraum-Labors zwar die Zusammenarbeit selten verhindern, jedoch auch nicht zwingend fördern müssen. Umgekehrt formuliert heißt das: Wissenschaftliche Erfolgsgarantie kann selbst die modernste Architektur nicht geben.
->   Institut für Molekulare Pathologie Wien
Einstein: Revolutionär im Hinterzimmer
Bild: Albert Einstein Gesellschaft
Haus Kramgasse 49
Forschern, die ihre tägliche Arbeit noch in engen, muffigen Räumen verrichten müssen, kann zumindest der Blick auf die Geschichte eine gewisse Aufmunterung verschaffen:

So entwickelte etwa Albert Einstein seine Spezielle Relativitätstheorie zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter äußerst ärmlichen Lebensverhältnissen. Er arbeitete am Berner Patentamt und wohnte in einer kleinen Wohung in der Kramgasse 49.

Arbeitsplatz wie Wohung waren unscheinbare Gebäude, ganz ohne richtungsweisende Architektur. Seinem Ideenreichtum hat dieser Umstand jedenfalls keinen Abbruch getan.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Mehr dazu bei der Albert Einstein-Gesellschaft
 
 
 
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01.01.2010