News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Stammzellen aus ''Fusion'' von menschlicher Zelle und Kaninchen-Ei  
  Die Forschung an embryonalen Stammzellen ist ob ihrer Gewinnung aus menschlichen Embryonen heftig umstritten. Wissenschaftler suchen daher nach anderen Wegen, um an die begehrte Ware zu gelangen. Nun lassen chinesische Forscher aufhorchen - mit einer Methode, die allerdings ethisch nicht weniger bedenklich erscheint: Sie wollen menschliche embryonale Stammzellen gewonnen haben, indem sie adulte menschliche Zellen mit entkernten Kaninchen-Eizellen verschmolzen.  
Gerüchte über die Arbeit der chinesischen Genetiker um Huizhen Sheng von der Shanghai Second Medical University kursieren unter Wissenschaftlern bereits seit vergangenem Jahr, wie Carina Dennis im aktuellen "Nature" berichtet.

Nun könnte die Debatte um die - nicht unumstrittenen - Forschungen neue Nahrung erhalten, denn nach mehr als zwei Jahren, in denen der Artikel offenbar von diversen Journals abgelehnt worden ist, kommt es doch noch zur Publikation der Ergebnisse von Sheng und Kollegen.
...
Der Artikel "Chinese fusion method promises fresh route to human stem cells" von Carina Dennis ist erschienen in "Nature", Bd. 424, Seite 711, vom 14. August 2003.

Nach Angaben von Dennis wurden die Ergebnisse der Wissenschaftler um Huizhen Sheng bereits online vom Fachmagazin "Cell Research" publiziert. Der Artikel "Embryonic stem cells generated by nuclear transfer of human somatic nuclei into rabbit oocytes" ist auf jeden Fall für die kommende Print-Ausgabe angekündigt (Band 13, Nr. 4, Seiten 251-263).
->   "Cell Research"
...
Stammzellen sollen Medizin revolutionieren
Embryonale Stammzellen könnten die Medizin revolutionieren - sofern sie halten, was sie versprechen: Ihr Potential, sich in jede beliebige Art von Körperzelle zu entwickeln, macht sie für die Wissenschaft so attraktiv. Maßgeschneiderte Therapien zur Behandlung schwerster, bislang nicht heilbarer Erkrankungen sollen dadurch möglich werden.

In Großbritannien etwa wurde erst vor wenigen Tagen die Erzeugung der ersten Zelllinien aus embryonalen Stammzellen bekannt gegeben. Der mögliche therapeutische Nutzen sei "nahezu endlos", hieß es.
->   Briten produzierten Kultur embryonaler Stammzellen (13.8.03)
Umstritten: Verbrauch von Embryonen
Doch die Forschung an den begehrten Zellen wird durch den Umstand erschwert, dass zu ihrer Gewinnung ein menschlicher Embryo - meist "Überrest" einer künstlichen Befruchtung - dient. Daher ist die Arbeit mit den Stammzellen bei Forschern, Politik und Öffentlichkeit heftig umstritten.

Die chinesischen Genetiker um Huizhen Sheng haben nun einen anderen Weg gewählt, um an die begehrten Stammzellen zu gelangen: Die Methode des so genannten therapeutischen bzw. somatischen Klonens.
Umstrittenes ''cross-species reprogramming''
Sie klingt allerdings nicht eben ethisch unbedenklich: Wie in "Nature" berichtet wird, sei es ihnen gelungen, menschliche Zellen zu "reprogrammieren" - und zwar, indem sie diese mit Eizellen von Kaninchen verschmolzen, denen zuvor ihr genetisches Material entfernt worden war.
Kleiner Teil der DNA vom Kaninchen
Aus dieser hybriden Zellform ist demnach eine Art Embryo entstanden, aus dem die Wissenschaftler schließlich Stammzellen gewinnen konnten. Der größte Teil der darin enthaltenen DNA ist menschlich, doch ein kleiner Prozentsatz - die so genannte mitochondriale DNA - stammt aus der Kaninchen-Eizelle.

Nach einem Bericht der "Washington Post" schuf das chinesische Forscherteam mehr als 400 der hybriden Embryo-ähnlichen Zellformen, mehr als 100 davon erreichten das Blastozyten-Stadium, in dem sich Stammzellen zu formen beginnen.
...
Reprogrammieren von adulten Zellen
Das Reprogrammieren von adulten Zellen hin zu einem Embryo-ähnlichen Status könnte embryonale Stammzellen liefern, die bei einer Vielzahl von Erkrankungen Anwendung finden. Zudem besteht dabei theoretisch die Möglichkeit, die Zellen des Betroffenen selbst zu verwenden und auf diese Weise bei einer Therapie jede Form der Abstoßung durch das Immunsystem zu vermeiden. Dafür werden mit der Technik des therapeutischen Klonens eine Zelle und eine entkernte Eizelle verschmolzen (möglich ist auch, den Zellkern in die entkernte Eizelle einzubringen), die entstandene Zelle wird dazu gebracht sich zu teilen - als ob sie ein Embryo wäre. Nach fünf bis sieben Tagen können dann embryonale Stammzellen entnommen werden.
...
Bislang nur bei tierischen Zellen erfolgreich
Dieses Reprogrammieren von adulten Zellen ist bislang nur mit tierischen Zellen gelungen. Frühere Versuche etwa von US-Forschern, die mit einem ähnlichen Ansatz menschliche Zellen mit den Eizellen von Kühen verschmelzen wollten, scheiterten laut "Washington Post".

"Dies ist das erste Paper, das überzeugend zeigt, dass man auch menschliche Zellen reprogrammieren kann", wird nun der Zellbiologe Robin Lovell-Badge vom National Institute for Medical Research in "Nature" zitiert.

Nach Angaben von Sheng gelang das Verfahren mit Vorhautzellen von männlichen Probanden sowie mit Zellen aus der Gesichtshaut einer Frau. Die Spender waren demnach zwischen fünf und 60 Jahre alt, Alter spiele also keine Rolle.
Experten zweifeln an Potenzial der Zellen
Neben den ethischen Fragen, die die Forschungsergebnisse aufwerfen, stehen im Übrigen aber auch die Zweifel einiger Experten: Doug Melton etwa, ein Zellbiologe der Harvard University, zeigt sich in "Nature" überzeugt davon, dass die gewonnenen Zellen sich in verschiedene Zelltypen differenzieren können. Es sei aber unklar, wie lange sie in Kulturen wachsen könnten.

"Es wäre eine große Überraschung, erwiesen sie sich als stabil", so Melton. Viele Interspezies-Hybriden sind demnach häufig instabil aufgrund von Unverträglichkeiten zwischen Zellkern und Mitochondrien verschiedener Arten.
Nächster möglicher Schritt: Einsatz im Tierversuch
Huizhen Sheng freut sich derweil darüber, dass der Artikel nun doch publiziert wurde. Forschungen am Menschen sind ihr zufolge noch lange nicht geplant, ein nächster Schritt könnte der Einsatz der Stammzellen in Tierversuchen sein. Erweisen sie sich hier tatsächlich als wirksam, wird man weitersehen.

Die Bioethik-Debatte rund um Fragen der Stammzellen-Forschung werden die Ergebnisse der chinesischen Genetiker aber auf jeden Fall wieder anheizen.

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Shanghai Second Medical University
->   Alles zum Stichwort Stammzellen in science.ORF.at
->   Alles zum Stichwort Klonen in science.ORF.at
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010