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Österreichische Krebshilfe warnt vor Hormonersatz  
  Paukenschlag in Sachen Mammakarzinom: Die Österreichische Krebshilfe warnt vehement vor dem höheren Brustkrebs- und Brustkrebssterberisiko infolge einer Hormonersatztherapie nach der Menopause. Österreichs Ärzte sollten alle betroffenen Frauen darüber aufklären. Und: Es sollte versucht werden, den Hormonersatz zu beenden.  
Das stellte die Organisation am Montag in einer Aussendung fest, die von dem Wiener Gynäkologen und Krebsspezialisten Paul Sevelda unterzeichnet wurde.

Der Hintergrund: In der britischen Medizin-Fachzeitschrifte "The Lancet" wurde am 9. August die weltweit größte Untersuchung zur Frage der Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Formen einer Hormonersatztherapie im Wechsel und der Anzahl an Brustkrebserkrankungsfällen und auch der Sterblichkeit an Brustkrebs veröffentlicht.
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Britische Studie: Insgesamt 1.084.110 Frauen befragt
Dabei wurden von 1996 bis 2001 insgesamt 1.084.110 Frauen zwischen 50 und 64 Jahren in Großbritannien im Rahmen des nationalen Brustkrebs-Screening-Programmes befragt, welche Hormonersatztherapie sie durchführen, wie lange und in welcher Dosierung.
->   Kombinierte Hormontherapie erhöht Brustkrebsrisiko (8.8.03)
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Brustkrebsrisiko steigt laut Studie um 66 Prozent
Die Österreichische Krebshilfe: "Bei dieser Untersuchung konnte nun nach einer Beobachtungszeit von 2,6 Jahren gezeigt werden, dass sich das Risiko der Brustkrebserkrankung für jene Frauen, die unter einer Hormonersatztherapie stehen, um insgesamt 66 Prozent gegenüber Frauen, die nie eine Hormonersatztherapie genommen haben, erhöht."

Die gute Nachricht dieser Studie laute, dass für Frauen, welche die Hormonersatztherapie abgesetzt haben, das Risiko nicht mehr erhöht ist. - Ein Absetzen führt demnach also recht schnell zu einer Verringerung der Gefährdung.
Nicht bei jeder Art von Hormonersatztherapie gleich
Diese Risikoerhöhung sei nicht für alle Arten der Hormonersatztherapie gleich. Die alleinige Östrogentherapie, wie sie bevorzugt bei Frauen ohne Gebärmutter (nach vorheriger Hysterektomie) eingesetzt werde, zeige ein erhöhtes Risiko um 30 Prozent und liege damit deutlich besser als die kombinierte Östrogen-Gestagentherapie, die eine "Verdoppelung des Brustkrebserkrankungsrisikos zur Folge hat".

Die Krebshilfe weiter: "Eine Behandlung mit Tibolon (synthetisches, hormonähnliches Produkt) führte ebenfalls zu einer Erhöhung um 45 Prozent, alle übrigen Hormonersatztherapien zu einer Erhöhung von 44 Prozent."
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Je länger, desto höher das Risiko
Das Problem: Für alle Hormonersatztherapien gilt laut der "Lancet"-Studie der Grundsatz, dass mit zunehmender Dauer der Behandlung auch das Risiko für die Erkrankung zunimmt. Diese Risikoerhöhung zeige sich - so die Krebshilfe - nicht wie bisher angenommen erst ab dem fünften Jahr der Einnahme, sondern bereits ab dem zweiten Jahr für die Östrogen-Monotherapie und bereits ab dem ersten Jahr für alle übrigen Hormonersatztherapien.

In Großbritannien errechneten die Wissenschaftler, dass es in den vergangenen zehn Jahren durch die Hormonsubstitution zu 20.000 Mammakarzinom-Fällen mehr gekommen sein dürfte.
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Die Empfehlungen der Krebshilfe
Auf Grund der neuen Erkenntnisse empfiehlt die Krebshilfe jetzt folgende weit reichenden Konsequenzen für Frauen unter Hormonsubstitution bzw. die Information der Betroffenen durch ihre Ärzte:

- Frauen unter einer laufenden Hormonersatztherapie sind über diese Ergebnisse durch ihren behandelnden Arzt zu informieren und es sollte versucht werden, die Hormonersatztherapie zu beenden.

- Eine prophylaktische Hormonersatztherapie bei der beschwerdefreien Frau im Wechsel ist nicht angebracht.

- Bei Frauen mit Wechselbeschwerden, vor allem Wallungen, Nachtschweiß und Stimmungsschwankungen, sollte mit Behandlungsalternativen wie pflanzlichen Produkten, Homöopathie, Lebensstiländerungen und Sport begonnen werden, auch wenn damit gegenüber einer Hormonersatztherapie nicht dieselben Behandlungserfolge zu erzielen sind.

- Eine Hormonersatztherapie sollte erst dann zum Einsatz kommen, wenn sich die Frau nach ausführlicher Information und Aufklärung über das Brustkrebserkrankungsrisiko dennoch auf Grund der Beschwerdesymptomatik zu dieser Behandlung entschließt.

- Gegen ein erhöhtes Osteoporoserisiko (Knochenschwund) sind verfügbare Behandlungsalternativen einer Hormonersatztherapie vorzuziehen.
"Kein Anlass für Panik", aber Überdenken
Etwa 20 Prozent der Österreicherinnen in den Wechseljahren zwischen 50 und 70 erhalten nach Einschätzung von Sevelda, Präsident der Krebshilfe, eine Hormonersatztherapie. Die neuesten medizinischen Erkenntnisse seien "kein Anlass für Panik", erforderten aber eine größere Sensibilität von Patientinnen wie Ärzten.

"Alle Frauen sollten über das erhöhte Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, informiert sein und den Nutzen einer Hormonersatztherapie überdenken", sagte der Wiener Gynäkologe und Krebsspezialist. Die Patientin selbst sei die Einzige, "die den Nutzen spürt" und so abschätzen könne, ob eine solche Behandlung wirklich notwendig ist, meinte der Arzt.
Wie viele Frauen brauchen die Therapie wirklich?
Wie viele Frauen die Hormonersatztherapie wirklich unbedingt "brauchen", darüber gibt es Sevelda zufolge bisher keine Daten. Er schätzt aber, dass sich lediglich zehn bis 20 Prozent der bereits in Behandlung befindlichen Patientinnen ohne Hormone so schlecht und so stark in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt fühlen würden, dass die Betreffende trotz Risikos die Therapie fortsetzen möchte.
Breite Information besonders wichtig
Wichtig sei daher die breite Information für die Frauen und Ärzteschaft. Die Entscheidung über die Fortführung der Behandlung obliege, wie schon bisher, der Patientin. Frauen seien hier zu Lande generell gegenüber der Hormonersatztherapie "zurückhaltend", meinte der Arzt.

Auch die Haltung der meisten Mediziner habe sich im Lauf der Zeit gewandelt: "Nach der ersten Euphorie auf dem Stand des Wissens Anfang der neunziger Jahre, wo man glaubte, Hormone tun Gutes und möglichst alle sollten sie erhalten, fiel die Einschätzung der Ärzte Mitte/Ende der Neunziger schon viel differenzierter aus", sagte Sevelda. "Und seit etwa einem Jahr sind selbst die 'Hormonpäpste' umgeschwenkt."
Johannes Huber: Therapieabbruch "weit überzogen"
Der Wiener Gynäkologe und Endokrinologe Johannes Huber hält die Empfehlungen der Krebshilfe, laufende Hormonersatztherapien wegen eines laut Studienergebnissen höheren Brustkrebsrisikos wenn möglich zu beenden, allerdings für "weit überzogen".

Überdies zweifelte der "Hormonpapst" im APA-Gespräch die Übertragbarkeit der diesem Rat zu Grunde liegenden britischen Studie auf Österreich an.
Verweis auf andere Situation
In Großbritannien würden Hormonersatztherapien und ebenfalls solche Studien wie die jüngst im "Lancet" veröffentlichte nicht von Ärzten, sondern von Krankenschwestern durchgeführt, so Huber: "Vom 'niedrigen' Personal und völlig undifferenziert. Davor habe ich schon früher gewarnt."
Keine "maßgeschneiderte" Behandlung
Anders als in Österreich oder Deutschland würden solche Behandlungen nicht "maßgeschneidert" erfolgen. Das Problem sei nicht die Substanz an sich, sondern die Art der Anwendung.

"Es handelt sich daher bei solchen Untersuchungen um Therapiestudien, nicht um Substitutionsstudien", sagte Huber. Letztere würden gerade erst durchgeführt, die Ergebnisse lägen aber noch nicht vor.
"Man muss alle Aspekte genau prüfen"
"Man muss alle Aspekte genau prüfen, warum das Mammakarzinom so im Ansteigen ist", forderte der Mediziner. Dabei dürfe man nicht nur Östrogene im Auge haben.

"45 von 1.000 Frauen erkranken ohne jede Substitution an Brustkrebs. Ein Mangel an männlichen Hormonen ist dabei entscheidend verantwortlich": Durch "Androgenmangel in der Prämenopause" fehlte den betroffenen Patientinnen "in der Brust ein Protektivum".

"Man muss auch Androgene, nicht nur Östrogene untersuchen, das sind zwei Seiten einer Münze." Zur Empfehlung, Hormonersatztherapien abzubrechen: "Das ist genau so, wie wenn man die Behandlung bei einer Schilddrüsenunterfunktion einstellt", meint Huber: "Weit überzogen."
->   Österreichische Krebshilfe
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Studie: Hormontherapie verdoppelt Demenz-Risiko (28.5.03)
->   US-Studie zur Hormonersatztherapie gestoppt (9.7.02)
->   Hormonersatz und Brustkrebs: Ärzte beruhigen (12.6.02)
 
 
 
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01.01.2010