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Hormonersatz: Politik reagiert auf warnende Studien  
  Die Diskussionen um den Hormonersatz für Frauen nach dem Wechsel gehen weiter. Nachdem die Österreichische Krebshilfe am Montag vor einem erhöhten Brustkrebs-Risiko gewarnt hatte, mehren sich die Stimmen der Kritiker der Therapie. Und auch das österreichische Gesundheitsministerium wird in Sachen Hormonersatz aktiv.  
Gesundheitsministerium lässt prüfen
"Die Ministerin hat beim Obersten Sanitätsrat ein Gutachten über die Hormonersatztherapie in Auftrag gegeben. Außerdem wurde eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, in der diese Fragen rund um Brustkrebs untersucht werden sollen", teilte eine Sprecherin von Ressortchefin Maria Rauch-Kallat (ÖVP) am Dienstag der APA mit.

Die Ministerin hätte sich beim Forum in Alpbach bereits mit Experten in der Angelegenheit beraten. Die Sprecherin der Ministerin: "Die Ergebnisse der britischen Studie (The Lancet, Anm.) kann man offenbar nicht eins zu eins auf Österreich übertragen, weil in Großbritannien die Hormonersatztherapie auch über Krankenschwestern laufen kann. In Österreich geschieht das nur unter fachärztlicher Aufsicht."
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Hotline ab Mittwoch: 0800/20-16-11
Das Gesundheitsministerium wird zur Hormonersatztherapie ab Mittwoch unter der Nummer 0800/20-16-11 eine Hotline einrichten. Dies kündigte Maria Rauch-Kallat am Dienstag vor Journalisten am Rande des Europäischen Forum Alpbach an. Ab 12.00 Uhr soll die telefonische Hotline ihren Dienst aufnehmen und danach von Montag bis Freitag von 8.00 bis 16.00 Uhr erreichbar sein.
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Die Warnung der Krebshilfe
Die Österreichische Krebshilfe hatte am Montag mit Hinweis auf eine jüngst in der angesehenen britischen Medizin-Fachzeitschrift "The Lancet" erschienenen Studie mit mehr als einer Million Frauen als Teilnehmerinnen vor der Hormonsubstitution gewarnt. Bei den Frauen unter Hormonersatz war es insgesamt zu einer um 66 Prozent höheren Brustkrebsrate gekommen.

Mehr dazu in: Krebshilfe warnt vor Hormonersatz (18.8.03)

Deutschland: Beipacktexte sind sofort zu ändern

Das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat bezüglich der Fach- und Gebrauchsinformationen bereits gehandelt: Bis zum 1. November - so die Süddeutsche Zeitung vom Montag - sollen die Hersteller der Präparate (z.B. Solvay, Wyeth, Schering, Novartis und Novo Nodisk) die in Deutschland vorgeschriebenen Beipacktexte für Präparate zur Hormonsubstitution umschreiben.

Noch eine weitere Maßnahme laut dem Sprecher des Amtes, Bernhard Sachs: "Die Ärzte müssen künftig klarer auf die Risiken der Therapie hinweisen."
Onkologe: Kaum Anwendungen mehr für Hormonersatz
"Ein erhöhtes Brustkrebsrisiko, mehr Herzinfarkte und Schlaganfälle - da bleibt für den Hormonersatz als Anwendungsgebiet nicht mehr viel übrig," erklärte auch der Wiener Krebsspezialist Christoph Zielinski, Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie am Wiener AKH, zu der Warnung, welche die Österreichische Krebshilfe am Montag ausgesprochen hatte.
Unterstützung der Krebshilfe-Warnung
Zielinski, selbst seit Jahren in der Forschung nach neuen Methoden zur Behandlung des Mammakarzinoms engagiert: "Im Grunde bleiben als Indikation für einen Hormonersatz nur noch schwere Hitzewallungen, die mit dem Wechsel auftreten. Da muss man sich schon fragen, ob man die anderen Risiken dafür eingehen will. Ich halte das alles für eine Katastrophe."

Die Stellungnahme der Österreichischen Krebshilfe unter dem Wiener Gynäkologen Paul Sevelda sei jedenfalls voll zu unterstützen. Darin wird allen Ärzten empfohlen, Frauen unter Hormonersatz über die neuen Studienergebnisse zu informieren. Es sollte versucht werden, mit einer Hormonsubstitution aufzuhören. Im möglichen Bedarfsfall sollten zunächst alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden.
->   Kombinierte Hormontherapie erhöht Brustkrebsrisiko (8.8.03)
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Weitere warnende Studien
Im "New England Journal of Medicine" (NEJM) erschienen am 7. August gleich zwei Studien, welche für die Hormonersatztherapie und die Hoffnungen, die in sie gesetzt wurden, eine Niederlage darstellten: Die Studie der Women's Health Initiative ergab, dass unter der Verwendung von Östrogen und Gestagen Frauen ein erhöhtes Herzinfarkt-Risiko (plus 24 Prozent) aufwiesen.

In einer zweiten Studie zeigte sich bei bereits herzkranken Frauen, dass eine Hormonsubstitution das Fortschreiten der Atherosklerose nicht bremste. Auch das war den Hormonen ehemals nachgesagt worden.
->   NEJM vom 7. August 2003 (Studien kostenpflichtig)
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Auch international heftige Kritik
Auch international kommt die Hormonersatztherapie bei Frauen nach dem Wechsel immer mehr in Kritik: "Brustkrebs und Hormon-Ersatztherapie: Die Allgemeinmedizin muss die Scherben zusammen klauben", lautete der Titel eines Kommentars des niederländischen Experten Chris van Weel von der Abteilung für Allgemeinmedizin der Universitätsklinik in Nijmegen in den Niederlanden im "Lancet" (9. August).
Vorteile überbewertet, Risiken herunter gespielt
Chris van Weel und die Co-Autoren: "Trotz rigoroser Kontrollen bei neuen Medikamenten - wie konnte heftige Werbung für den Hormonersatz (HRT, Anm.) Millionen Frauen in Gefahr bringen? (...) Als diese Therapie eingeführt wurde, wurden die Vorteile der HRT ins Rampenlicht gestellt, aber die erhöhten Risiken bezüglich Brust- und Gebärmutterschleimhautkrebs - obwohl bekannt - herunter gespielt."
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In dieser Ausgabe war jene Studie ("Side-effects of hormone-replacement therapy") erschienen, in der britische Wissenschaftler unter mehr als einer Million Probandinnen ein erhöhtes Brustkrebs-Risiko durch Hormonersatz nachwiesen.
->   Der Artikel in "The Lancet" (Bd. 362, S. 419, Registrierung notwendig)
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Einfluss der Pharmaindustrie
Die Experten weiter: "Für viele erfahrene Allgemeinmediziner repräsentiert die HRT-Geschichte ein alt bekanntes Muster: Zuerst führen Ärzte mit einem speziellen Interesse an einem Produkt, die auch eine besondere Expertise für sich in Anspruch nehmen, ein neues Produkt ein. Sie setzen es in ein positives Licht und überrennen die skeptischen Allgemeinmediziner mit 'Hinweisen' auf die Positiva. Der große Einfluss der Pharmaindustrie wurde benutzt, um die HRT den Ärzten anzupreisen (finanzielle Unterstützung von Menopausen-Kliniken). Auch die Patienten direkt (Frauenmagazine, Broschüren, Websites) wurden beworben, die Gefahren negiert. Und jetzt, da die Risiken deutlich demonstriert werden, bleibt es den Allgemeinmedizinern und anderen in der Primärversorgung der Patienten Tätigen übrig, das Problem zu lösen."
In Zukunft mehr Vorsicht walten lassen
Die niederländischen Fachleute forderten im "Lancet" genau das, was die Österreichische Krebshilfe am Montag verlangte: Information der Patientinnen und höchste Vorsicht.

Gleichzeitig sollte man in Zukunft bei solchen Entwicklungen sehr zurückhaltend sein: "Bedenken über die Medikalisierung (normaler physiologischer Vorgänge, z.B. von Prozessen des Alterns, Anm.) müssen Beachtung finden. - Speziell wenn es um die Verhütung von Krankheiten bei sonst gesunden Menschen geht.
->   Hormone und Krebs (Österreichische Krebshilfe)
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Studie: Hormontherapie verdoppelt Demenz-Risiko (28.5.03)
->   US-Studie zur Hormonersatztherapie gestoppt (9.7.02)
->   Hormonersatz und Brustkrebs: Ärzte beruhigen (12.6.02)
 
 
 
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01.01.2010