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Pinguin bringt Standardmodell ins Wanken  
  Das so genannte Standardmodell der Elementarteilchen umfasst alle bekannten Bausteine der Materie. Sein Anspruch ist hoch: Es versucht immerhin, sämtliche bekannten Prozesse der Elementarteilchenphysik zu beschreiben. Nun wird es möglicherweise durch einen Pinguin ins Wanken gebracht. Damit ist allerdings kein Bewohner des Südpols gemeint, sondern ein spezielles Zusammenspiel beim Teilchen-Zerfall, dessen Diagramm-Form an den tierischen Namensgeber erinnert.  
Die betreffenden Forschungsergebnisse wurden auf der Physiker-Tagung "Lepton Photon 2003" am Fermi National Accelerator Laboratory in Batava (Illinois) präsentiert, wie in "Science Now" berichtet wird.
Standardmodell erklärt offene Fragen
Das Universum hat seine Geheimnisse längst nicht alle preisgegeben. Physiker versuchen dennoch, zumindest theoretische Erklärungen für viele Phänomene wie etwa Dunkle Materie oder die Tatsache, dass Materie Masse besitzt, zu finden.

Grundlegend ist hierbei auch das so genannte Standardmodell der Elementarteilchen, welches diese fundamentalen Bestandteile aller Materie und ihre Wechselwirkungen vereint - und beispielsweise Masse mit dem (bislang unbewiesenen) "Gottesteilchen" Higgs-Boson erklärt.
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Das Standardmodell der Elementarteilchen
Das - keineswegs als endgültig zu betrachtende - Standardmodell ist eine Sammlung von Theorien über die bis heute bekannten bzw. theoretisch angenommenen Elementarteilchen und die zwischen ihnen wirkenden Grundkräfte. Mit Ausnahme der Gravitation lassen sich alle subatomaren Erscheinungen in dessen mathematische Formulierungen eingliedern.

Demnach ist alle Materie aus 12 Fermionen aufgebaut, die sich in je sechs schweren (Quarks) und leichten (Leptone) Elementarteilchen einteilen lassen. Diese wiederum können in verschiedenen Erscheinungsformen (so genannten Flavors) vorkommen: Im Falle der Leptonen sind das unter anderem Elektron, Neutrino und Myon. Die schweren "Gegenstücke", aus denen die Protonen und Neutronen des Atomkerns bestehen sind die sechs Quarks, die - je nach ihrem energetischen Zustand als "up", "down", "charm", "strange", "top" und "bottom" bezeichnet werden.
->   Weitere Informationen in www.physik-uni-muenchen.de
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Ein Pinguin schafft Probleme
Bild: Science Now/ Thorsten Ohl (TU Darmstadt)
Dabei sprechen Experten gerne vom "derzeit gültigen" Modell - denn so gesichert, wie mancher dies gerne hätte, ist das Standardmodell tatsächlich nicht. Und immer wieder tauchen Forschungsergebnisse auf, die das komplexe System ins Wanken bringen wollen.

Nun geschieht dies erstmals durch einen spezielles Mitglied im Teilchen-Zoo, einen Pinguin. Als Pinguin wird allerdings nicht ein Teilchen bezeichnet, sondern das Zusammenspiel mehrerer Zerfalls-Ereignisse, deren Diagrammform ihrem tierischen Namensgeber ähneln soll (siehe Darstellung rechts).

Die Forscher haben sich den Zerfall eines Teilchens namens B-Meson genauer angesehen, das aus einem so genannten bottom-Quark sowie irgend einem Antiquark zusammengesetzt ist. Um dieses bottom-Quark geht es - es zerfällt nämlich spontan in zwei sehr massereiche Objekte:

Zum einen in ein top-Quark (das schwerste dieser fundamentalen Bestandteile von Materie), zum anderen in ein W-Boson. Beide - W-Boson und top-Quark - werden wiederum in drei strange-Quarks umgewandelt. Stellt man diese Zerfalls-Ereignisse in Diagrammform dar, so erhält man den Pinguin.
Wie oft tauchen die Pinguine auf?
Das Standardmodell der Elementarteilchen liefert genaue Vorhersagen darüber, wie oft und in welchem Zusammenhang diese Pinguine auftauchen.

Hier aber kommen die großen Teilchenbeschleuniger ins Spiel, genauer gesagt: eine zur japanischen Forschungsorganisation KEK gehörende Anlage in Tsukuba. Seit Beginn der Forschungen vor vier Jahren wurden dort mehr als 150 Millionen B-Mesonen erzeugt und deren Zerfall genau untersucht.
Gemessener Wert lag zu niedrig
Dabei geht es auch darum, wie genau die Quarks in weitere Quarks zerfallen - unter anderem in einer speziellen Form, sin2beta genannt.

Die neuen Forschungsergebnisse sind es, die nun auf der Tagung so manchen Fachkollegen offenbar richtiggehend geschockt haben, wie Ikaros Bigi von der University of Notre Dame in "Science Now" berichtet.

Demnach war der für sin2beta gemessene Wert weit niedriger, als laut Standardmodell zu erwarten wäre. Die Abweichung deutet darauf hin, dass bislang unentdeckte Partikel diese Form des Teilchen-Zerfalls fast unmerklich ändern - und damit auch den Wert von sin2beta.
Erster Schritt hin zur "neuen Physik"?
Damit aber eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten, die gerne auch mit dem Terminus der "neuen Physik" umschrieben werden: Denkbar wäre etwa eine Art "Spiegelreich", in dem jedes Teilchen des Standardmodells einen "supersymmetrischen" Partner hat. Die Größe des - mittlerweile recht ansehnlichen - Teilchen-Zoos müsste auf einen Schlag verdoppelt werden.

Die "Supersymmetrie" als von einigen Experten bereits favorisierte Erweiterung des Standardmodells bleibt aber fürs erste, was sie ist: eine reine Hypothese. Denn das liebgewonnene Modell lässt sich so schnell nicht umwerfen - dafür werden eine Menge mehr Studien zum Zerfall der B-Mesonen nötig sein.

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Die Tagung "Lepton Photon 2003"
->   KEK
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01.01.2010