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Nervenzellen werden im Alter "langsamer"  
  Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr? Der Volksmund beantwortet dies eindeutig mit Ja, für die Neurobiologie handelt es sich aber um eine zentrale Frage. Warum die Flexibilität und Plastizität des Nervensystems mit zunehmendem Alter abnimmt, ist jedenfalls nicht klar. US-Forscher sind der Frage nun auf der Ebene der neuronalen Verschaltungen nachgegangen. Ihre Antwort: Alte Nervenzellen werden "langsamer".  
Plastizität von Axonen untersucht
Jeff Lichtman von der Washington University in St. Louis und sein Forscherteam haben dabei die Plastizität von Axonen - den Ausläufern der Nervenzellen - untersucht. Bei jüngeren Labormäusen stellten sie gegenüber älteren Artgenossen eine weit höhere Geschwindigkeit ihrer Ausdehnung und Rückbildung fest.

Die Verbindungen zwischen den Nervenzellen stellten sich in zunehmendem Alter als immer stabiler heraus - was auch eine geringere Flexibilität bedeutet.
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Die Studie ist unter dem Titel "Synaptic dynamism measured over minutes to months: age-dependent decline in an autonomic ganglion" als Online-Vorabpublikation in "Nature Neuroscience" (17. August 2003; doi:10.1038/nn1115) erschienen.
->   Original-Abstract
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Umstrittene Kommunikationskette
Die Vermittlungsstelle zwischen den einzelnen Nervenzellen sind die so genannten Synapsen. Die Botschaften werden vom Axon des "sendenden" Neurons zu den "empfangenden" Dendriten eines anderen übermittelt - und so weiter.

Wie diese Kommunikationskette genau funktioniert, ist eine der faszinierendsten Fragen der Neurobiologie - und vor allem hinsichtlich der Veränderungen, die ein alterndes Gehirn dabei erfährt, eine der umstrittensten.

Erst vor kurzem kamen etwa zwei Studien zu höchst unterschiedlichen Resultaten: die eine hielt die Synapsen im fortgeschrittenen Alter für stabil, die andere plädierte eher für ein dynamisches Modell.
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Darüber berichtete "Science" (Bd. 300, S. 78, Ausgabe vom 4. April 2003) unter dem Titel "Spying on the Brain, One Neuron at a Time".
->   Der Artikel in "Science" (kostenpflichtig)
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Synapsen-Beobachtung transgener Mäuse
Der Neurowissenschaftler Jeff Lichtman und sein Team haben die Axonen nun genauer untersucht. Dabei verwendeten sie transgene Mäuse, deren Nerven-Aktivität dank gelbfluoreszierender Proteine sichtbar gemacht wurde. Über mehrere Monate hinweg machten sie Zeitraffer-Aufnahmen der Bewegungen von Synapsen ihrer Speicheldrüsen.
Schnelle Jung-Axone ...
Das Ergebnis: Axon-Zweige von Jungtieren wachsen häufig innerhalb von Minuten und ziehen sich ebenso rasch wieder zusammen - bei älteren Tieren ist dies nur sehr selten der Fall, ihre Nerven sind vergleichsweise "langsamer".
... und stabile Synapsen-Muster der Alttiere
Und: Die Strukturen der Nervenzell-Verschaltungen sind bei Jungnagern weit flexibler. 80 Prozent der Neuronen von älteren Artgenossen bleiben stabil miteinander verbunden - Neuverschaltungen werden unwahrscheinlicher.

Diese langfristige Stabilität synaptischer Muster könnte laut den Forschern ein Hinweis für die andauernde Gedächtnisleistung erwachsener Nervensysteme sein.
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Axone
Axone, die Nervenzellausläufer oder Nervenfasern, transportieren elektrische Impulse vom Zellkörper weg und übertragen sie auf andere Zellen. Sie sind zumeist baumartig verzweigt und münden in Synapsen, den Verbindungsstellen zu anderen Zellen. Die Axone der Nervenzellen von Säugetieren sind etwa 0,5-10 Mikrometer dick. Die Axonlänge kann je nach Nervenzelltyp sehr stark variieren, von einigen Mikrometern bis über einen Meter Länge.
->   Mehr über Axone
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Experten von Studie angetan
Tobias Bonhoeffer, Direktor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried, hält die Studie laut der Online-Ausgabe von "Science" für "ziemlich wichtig". Sie beschäftige sich mit einer zentralen Frage der Neurowissenschaft - ob Neuronen über die gesamte Lebensspanne hinweg in der Lage sind, aktiv Verbindungen aufzunehmen und wieder zu beenden.

Die Resultate der Studie unterstützen die Annahmen einer zunehmenden Stabilisierung des Gehirns im Alter - über das Ausmaß dieser Entdynamisierung zeigte sich Bonhoeffer jedoch überrascht.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Jeff Lichtman
->   Washington University School of Medicine
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Wenn Mäusen im Alter wieder ein Licht aufgeht (1.8.03)
->   Die molekulare Basis des Gedächtnisses (26.4.03)
->   Im Netzwerk der Erinnerung (26.10.02)
->   Forscher identifizieren "Lern-Protein"
 
 
 
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01.01.2010