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Vogeldialekt führt zur Bildung neuer Arten  
  Dass Österreicher und Deutsche am ehesten durch die gemeinsame Sprache getrennt werden, ist ein vielzitiertes Bonmot. Tatsache ist, dass Sozio- oder Dialekte den Mitgliedern begrenzter Gruppen vorbehalten sind, während Außenstehende oft nur mehr den berühmten "Bahnhof" verstehen. Interessanter Weise gibt es auch im Tierreich ähnliche Vorgänge: Wie amerikanische Zoologen berichten, haben Witwenvögel so unterschiedliche Dialekte entwickelt, dass sie sich tatsächlich nicht mehr verständigen können.  
Das Besondere daran: Die Sprachbarrieren waren offensichtlich die treibende Kraft für die Bildung neuer Arten.

Michael D. Sorenson und seine Mitarbeiter von der University of Boston konnten damit eine besondere Form der Artbildung nachweisen, bei der keine geografische Trennung der Populationen notwendig ist.
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Der Artikel "Speciation by host switch in brood parasitic indigobirds" von Michael D. Sorenson, Kristina M. Sefc und Robert B. Payne erschien im aktuellen Heft des Wissenschaftsmagazins "Nature" (Band 424, S. 928-31, Ausgabe vom 21.8.2003).
->   Nature
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Theorie der Artbildung entstand erst im 20. Jahrhundert
Einer der Gurus der Evolutionsbiologie, der deutsch-amerikanische Zoologe Ernst Mayr, hat einmal darauf hingewiesen, dass Darwins berühmtestes Buch zwar "Über den Ursprung der Arten" heiße, aber im strengen Sinne genau über den Ursprung der Arten (nämlich die Artbildung) keine Auskunft gebe.

Damit wollte Mayr keineswegs die historische Leistung des britischen Pioniers schmälern, sein Hinweis galt vielmehr der Tatsache, dass die Theorie der Artbildung erst im 20. Jahrhunderts ausgearbeitet wurde.
->   Artbildung bei wikipedia.org
Der klassische Fall: Geografisch getrennte Populationen
Auf den ersten Blick scheint die Sache ja durchaus einfach zu sein: Zwei Populationen trennen sich räumlich, tauschen miteinander kein Genmaterial mehr aus - und irgendwann kommt es zum Aufbau einer genetischen Barriere.

Das heißt, die Mitglieder der verschiedenen Populationen können sich nicht mehr fruchtbar paaren und existieren fortan als getrennte Arten weiter. Das ist der klassische Fall, Biologen nennen so etwas "allopatrische" (griech. f. "von fremder Abkunft") Artbildung.
->   Isolationsmechanismen bei der Artbildung (Uni Hamburg)
Allerdings: Speziation braucht Zeit
Nun geschieht so ein Vorgang nicht von heute auf morgen, sondern eher in der Größenordnung von 100.000 und mehr Jahren. Hätten alle existierenden Arten auf diese Weise entstehen müssen, dann wäre der Evolution vermutlich die Zeit knapp geworden. Es muss also noch andere Artbildungsmodi geben.
Andere Möglichkeit: Trennung trotz räumlichen Kontakts
Einer der Lösungsvorschläge, die in der Diskussion um dieses Thema gemacht wurden, ist die so genannte "sympatrische" Artbildung: Hier bleiben die beiden Populationen im selben geografischen Gebiet und schaffen es auf irgendeine andere Weise, den Genfluss zu unterbinden.

Das Problem daran: Bis jetzt gibt es ziemlich wenige Belege, dass das in der Natur auch tatsächlich passiert.

Wie der amerikanische Biologe Michael Sorenson und sein Team nun zeigten, kann dies über den Umweg der (vor-)sprachlichen Verständigung erfolgen - und zwar bei afrikanischen Witwenvögeln.
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Witwenvögel sind Brutparasiten
Witwenvögel der untersuchten Gattung "Vidua" sind, ganz ähnlich wie der heimische Kuckuck, Brutparasiten. Das heißt, sie legen ihre Eier in das Nest von fremden Vogelarten - in diesem Fall: Prachtfinken - und überlassen den Wirtsvögeln die mühselige Aufzucht und Fütterung der Jungtiere. Nun sind Prachtfinken nicht von Natur aus gutmütig, sondern werden von den Witwenvögeln mit einem Trick getäuscht. Die schmarotzenden Jungtiere weisen nämlich eine Mundzeichnung auf, die jener der Prachtfinken-Jungen zum Verwechseln ähnlich sieht - ein klassischer Fall der so genannten Mimikry.
->   Mimkry bei fachberatung-biologie.de
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->   Formen des Parasitismus (parasitismus.de)
Vögel lernen den Gesang der Wirte
Als Erwachsene imitieren die männlichen Witwenvögel zudem den Gesang ihrer Wirte, der wiederum für die Weibchen als Erkennungsmerkmal von möglichen Paarungspartnern dient. In dieser Konstellation ist nun folgendes Ereignis denkbar:

Legt ein Witwenvogel sein Ei in das Nest eines Wirts, der einen anderen Gesang pflegt, eignet sich die nächste Generation der Schmarotzer ebenfalls eine neue "Sprache" an. Auf diese Weise entsteht eine Paarungsbarriere, die die Entstehung einer neuen Art nach sich ziehen kann.
Vogeldialekt wirkt als Kreuzungsbarriere
Erbgutanalysen von Sorenson und Mitarbeitern an mehreren Arten der Gattung "Vidua" legen nahe, dass genau das bei den Witwenvögeln passiert ist.

Die Arten sind einander genetisch sehr ähnlich, was grundsätzlich auf einen gemeinsamen Vorfahren hinweist. Bei manchen Populationen fanden sich aber subtile genetische Unterschiede:

Die selben genetischen Marker fanden sich just bei jenen Gruppen, die auf den selben Wirts-Arten parasitierten.
Praktischer Nachweis stützt Theorie
Damit gelang einer der seltenen praktischen Nachweise für einen Artbildungstyp, der bislang in Fachkreisen ein eher theorielastiges Image hatte.

Beim heimischen Kukuck (Cuculus canorus) dürften sich nach Ansicht der Autoren solche Vorgänge nicht ereignet haben: Denn hier weisen - im Gegensatz zu den Witwenvögeln - nur die Weibchen eine ausgeprägte Wirtstreue auf.

Robert Czepel, science.ORF.at
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01.01.2010