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Länger Leben durch Diätstress ohne Diät  
  Kalorienreduzierte Kost hat nicht nur Auswirkungen auf die Figur, bei einigen Arten führt dieser "Umweltstress" auch zu einer deutlich höheren Lebenserwartung. US-Forscher sind auf der Spur der zugrunde liegenden Mechanismen und haben nun Moleküle identifiziert, die ganz ohne Diät einen vergleichbare Wirkung zeigen. Bestimmte pflanzliche Inhaltsstoffe können demnach die Lebenserwartung um bis zu 80 Prozent erhöhen - zumindest, wenn es sich um Hefezellen handelt.  
Nach Ansicht der Wissenschaftler zeigt sich hier ein vielversprechender Weg zur Entdeckung und Entwicklung neuer Medikamente für ein längeres Leben und gegen Krankheiten, die mit dem Altern in Verbindung stehen.

Das Forscherteam um David A. Sinclair von der Harvard Medical School in Boston und Konrad T. Howitz von den BIOMOL Research Laboratories stellt seine Ergebnisse im Fachmagazin "Nature" vor.
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Der Artikel "Small molecule activators of sirtuins extend Saccharomyces cerevisiae lifespan" von David A. Sinclair, Konrad T. Howitz und Kollegen wurde als Online-Vorabpublikation veröffentlicht (24. August 2003) und wird in einer der kommenden Print-Ausgaben des Fachmagazins "Nature" erscheinen (doi:10.1038/nature01960).
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Diätstress kann das Leben verlängern
Diverse Studien haben ergeben, dass eine spürbare Reduktion der täglichen Kalorienmenge die Lebensspanne einiger Arten wie Mäuse, Ratten, Fruchtfliegen oder auch Hefezellen deutlich verlängern kann. Bei Säugetieren gehen Wissenschaftler von rund 60 bis 70 Prozent der "normalen" Kalorienzufuhr aus.

Vermutet wird unter anderem, dass durch diese Diät im Körper eine Art milder Umweltstress ausgelöst wird, der vorteilhaften Auswirkungen haben kann - ein Phänomen, das sich Hormesis nennt.

Doch auch wenn sich das Ergebnis auf den Menschen umlegen lässt: Wer möchte schon gerne dauerhaft auf das gelegentliche Stückchen Kuchen oder das Glas Rotwein am Abend (Alkohol enthält tatsächlich relativ viele Kalorien) verzichten?
Pflanzliche Polyphenole als Alternative?
Möglicherweise bietet letzterer nun einen Ausweg, denn das US-Forscherteam hat in Gemüse oder auch Rotwein enthaltene Moleküle untersucht, die - zumindest im Fall der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae - das längere Leben auf ähnliche Weise ermöglichen, und zwar ganz ohne Diät.

Es geht um so genannte pflanzliche Polyphenole, sekundäre Inhaltsstoffe, die lange Zeit als "medizinisch nicht wirksam" galten. Sie geben Pflanzen beispielsweise ihre Farbe oder ihren Geruch. In diesem speziellen Fall aktivieren die Moleküle ein Enzym namens Sir2 in der Hefe.

Sir2 aber wird auch durch eine kalorienreduzierte Diät besonders angeregt und gilt als Ursache für das längere Leben der Hefezellen.
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Parallel zur antioxidativen Wirkung
Mittlerweile ist bekannt, dass viele Polyphenole wie etwa die Gruppe der Flavonoide (Farbstoffe) positive Wirkungen auf den Organismus haben. Sie gelten vor allem als Antioxidantien, d.h. sie schützen den Körper vor gefährlichen Sauerstoffradikalen. Die lebensverlängernde Wirkung der Moleküle sei aber unabhängig von ihren antioxidativen Eigenschaften, so die Forscher in einer Aussendung der Harvard Medical School zur neuen Studie.
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Resveratrol aus Rotwein besonders wirksam
Das im Rotwein enthaltene Polyphenol Resveratrol hat sich der Studie zufolge als besonders wirksam erwiesen. Mit ihm behandelt, lebten Hefezellen ganze 60 bis 80 Prozent länger als ihre unbehandelten Verwandten.
Auch Wirkung bei menschlichen Zellen
In Versuchen mit im Labor kultivierten menschlichen Zellen aktivierte Resveratrol zudem einen ähnlichen Signalweg, genauer gesagt das Enzym SIRT1. Wurden die Zellen mit Gammastrahlen bestrahlt, so überlebten rund 30 Prozent der mit Resveratrol behandelten gegenüber nur zehn Prozent bei den nicht behandelten.
Nachteil: SIRT1 unterdrückt Tumorsupressor
Die Ergebnisse haben allerdings einen Haken: Von dem Enzym SIRT1 ist bekannt, dass es in Zellen ein wichtiges Tumorsupressor-Gen (p53) abschaltet - genauer gesagt: Seine für die Zellen lebensverlängernde Wirkung beruht offenbar zumindest teilweise darauf, dass es dieses Gen deaktiviert.

Doch der Körper benötigt p53, um in stark geschädigten Zellen den natürlichen Zelltod auszulösen. In Krebszellen fehlt dieses Gen funktionell, sie leben praktisch endlos und ignorieren dadurch auch Schädigungen der Chemo- oder Strahlentherapie.

Dies könnte bedeuten, dass durch eine höhere SIRT1-Aktivität die Krebsentstehung gefördert wird - was der Lebensverlängerung wohl eher kontraproduktiv entgegen wirken würde.
Weitere Studien notwendig
Nach Angaben von Studienleiter David Sinclair weisen Tierversuche zwar nicht darauf hin: Labortiere auf Diät leiden demnach seltener, und nicht häufiger an Krebs. Dennoch zeigt sich einmal mehr, dass die Mechanismen des Lebens hochkomplex sind - und die einfache Gleichung "Molekül = länger leben" vielleicht nicht stimmt.

Die "Pille für ein längeres Leben" wird es also so schnell nicht geben, denn eine ganze Menge weitere Studien müssten zunächst die Wirkung der Moleküle bei höheren Organismen wie Mäusen nachweisen, bevor man auch nur an Testreihen mit menschlichen Probanden denken kann. Bis dahin aber schadet das ein oder andere Glas Rotwein sicher nicht.

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Harvard Medical School
->   BIOMOL Research Laboratories
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01.01.2010