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Wie Babys das Konzept von Objekten erlernen  
  Für einen Erwachsenen sind einzelne Gegenstände wie etwa ein Ball zeitlich und räumlich klar definiert - sie hören nicht auf zu existieren, weil sie kurzzeitig seinen Blicken verborgen sind. Bei Babys ist die Sachlage nicht ganz so klar: Im Alter von sechs Monaten zeigen sie zwar dieses Wissen um das "Konzept eines Objektes". Doch ob die Fähigkeit angeboren oder erworben ist, konnte bislang nicht eindeutig geklärt werden. Eine neue Studie will nun die Lösung gefunden haben: Demnach lernen Säuglinge solche Konzepte schon sehr früh - und zwar alleine durch Beobachtungen in ihrem Umfeld.  
Wie ein Forscherteam um Scott Johnson von der New York University in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) berichtet, haben so genannte Eye-Tracking-Tests des Rätsels Lösung geliefert.
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Der Artikel "Development of object concepts in infancy: Evidence for early learning in an eye tracking paradigm" von Scott P. Johnson, Dima Amso und Jonathan A. Slemmer erscheint als Online-Vorabpublikation in www.pnas.org (doi:10.1073/pnas.1630655100, 26. August 2003).
->   PNAS
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Die Wahrnehmung von Objekten
Wenn ein Ball auf der einen Seite hinter ein Sofa rollt, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er auf der anderen Seite wieder zum Vorschein kommt. Für Erwachsene ist dieses Prinzip klar, doch bei Babys waren sich die Psychologen bislang uneins.
Wann und wie entsteht die Fähigkeit?
Die große Frage lautet: Wann und vor allem wie entsteht das Wissen um Objekte als etwas im räumlichen Sinne Ganzes und im zeitlichen Sinn Permanentes? Lange Zeit glaubte man, Babys würden sich diese Fähigkeit erst durch das unmittelbare Betasten und Greifen von Gegenständen mit den Händen aneignen.

Jüngere Studien allerdings kamen zu dem Ergebnis, dass Säuglinge - schon lange bevor sie greifen können - verschiedenste Objekte auf diese Weise wahrnehmen. Die daraus abgeleitete These: diese Fähigkeit könnte angeboren sein.
Neue Studie: Durch Beobachtung erlernt
Zu einem ganz anderen Schluss kommen nun die Psychologen um Scott Johnson. Demnach handelt es sich zwar um eine erlernte Fähigkeit, doch diese wird viel früher als bislang angenommen erworben - und beruht zudem lediglich auf der visuellen Wahrnehmung der Kleinen.
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Die komplexe Wahrnehmung von Säuglingen
Die Wahrnehmungsfähigkeiten von Babys sind bereits äußerst komplex, wie diverse Studien nachgewiesen haben: Wenige Stunden alte Neugeborene erkennen demnach das Gesicht ihrer Mutter und bevorzugen es gegenüber dem Gesicht einer fremden Person. Sie können zudem Farben unterscheiden, differenzieren zwischen verschiedenen Gerüchen und verfügen schon über Gedächtnis - wenn auch dessen Zeitdauer noch sehr begrenzt ist. Selbst die Geschmackswahrnehmung soll bereits bei der Geburt in wesentlichen Zügen vorhanden sein.

Und für Affengesichter beispielsweise haben die Kleinen eindeutig den besseren Blick: Während sechs Monate alte Kinder im Rahmen einer Studie mit Leichtigkeit sowohl die Züge verschiedener Menschen als auch Affen unterscheiden konnten, hatte sich das Gehirn der erwachsenen Probanden bereits auf die Unterscheidung von Gesichtern der eigenen Art spezialisiert.
->   Mehr dazu: Babys haben besseren Blick für Affengesichter (16.5.02)
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Eye-Tracking-Tests geben Aufschluss
Kognitionspsychologen greifen bei Untersuchungen mit Kleinkindern zu derartigen Fragestellungen gerne auf Eye-Tracking-Methoden zurück: Dabei wird mit speziellen Kameras die Blickrichtung und -bewegung der Babys bei diversen Versuchsanordnungen aufgezeichnet.
Bildschirm zeigt hin und her rollenden Ball
Bild: Bild: PNAS/Scott Johnson
Johnson und Kollegen setzten für ihre Studie eine Gruppe vier und sechs Monate alter Säuglinge vor einen Computerbildschirm.

Darauf zu sehen war ein Ball, der etwa zwei Minuten horizontal hin und her rollte. Danach zeigten die Forscher den Kindern sowie einer Vergleichsgruppe ohne die vorherige "Bildschirm-Erfahrung" eine ähnliche Anordnung - diesmal aber befand sich in der Mitte ein Rechteck, das den Ball beim hin und her Rollen zeitweise verdeckte.
Kamera zeigt "vorausschauende Augenbewegungen"
Eine Kamera, welche die Augenbewegungen der Kleinen via Infrarot-Signal aufzeichnete, lieferte die gewünschten Informationen. Tatsächlich zeigten die vier Monate alten Säuglinge, denen zuvor der Ball ohne verdeckendes Objekt gezeigt worden war, nach Angaben der Forscher deutlich mehr "vorausschauende Augenbewegungen" als ihre Altersgenossen in der Kontrollgruppe.

Bei den sechs Monate alten Kindern ließ sich allerdings ein Effekt durch das vorherige Training nicht mehr nachweisen, wie die Psychologen in den "PNAS" schreiben. Sehr wahrscheinlich deswegen, weil sie bereits mit dieser Fähigkeit ausgestattet seien - zuvor erlernt durch Beobachtungen ihrer Umwelt, meinen die Forscher.
Argument gegen angeborenes Wissen
"Unsere Forschungen liefern die erste schlüssige Dokumentation, wie und wann Säuglinge Konzepte von Objekten lernen - und sie dienen als starkes Argument gegen Theorien, dass das Wissen von Kleinkindern in diesem Bereich angeboren ist", kommentiert Johnson seine Studie in einer Aussendung der New York University.

Zuvor sei angenommen worden, dass Babys im Alter von sechs Monaten nicht genug Zeit gehabt haben könnten, um sich diese Art von Wissen anzueignen. Als "Wirklich staunenswert" bezeichnet Johnson nun, wie schnell die Kleinkinder diese Konzepte "aufschnappen".
Wie sinnvoll sind "stimulierende Spielsachen"?
Neben der wissenschaftlichen Erkenntnis liefern die Ergebnisse auch eine für manche Eltern vielleicht interessante Information, folgt man Scott Johnsons abschließender Interpretation:

"Eine weitere Folgerung ist, dass Kleinkinder nicht notwendigerweise von stimulierenden Spielzeugen oder Übungen profitieren; die meisten Babys werden diese Konzepte sehr schnell durch Beobachtung lernen - eher als durch die manuelle Objekt-Manipulation."

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   New York University Department of Psychology
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01.01.2010