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Die Geografie der wissenschaftlichen Zitierung  
  Vergleicht man wissenschaftliche Publikationen mit Texten des Alltags, so sticht sofort ein Unterschied ins Auge: Erstere bedienen sich des so genannten Zitats - einer reglementierten Form des Verweises, der Quellen belegen und die Herkunft von Theorien transparent machen soll. Ein britischer Forscher hat sich nun die Mühe gemacht, die geografischen Muster der Zitierungen von 1981 bis zur Gegenwart freizulegen. Das Ergebnis: Die publizistische Wahrnehmung ist in der Wissenschaft äußerst ungleich verteilt. Die USA dominieren mit großem Abstand vor dem Rest der Welt. Und auch dort konzentrieren sich die Verweise auf einige wenige Ballungsräume der Forschung.  
Michael Batty vom Centre for Advanced Spatial Analysis in London bediente sich für seine Analyse einer Datenbank, in der die meistzitierten Forscher der Welt erfasst wurden.

In diesen Ranglisten nehmen die akademischen Edelschmieden aus den USA etwa jene Rolle ein, die Österreichische Athleten im Alpinschisport besetzen. Einzig der Forschungsraum London kann mit der Konkurrenz aus Übersee halbwegs mithalten.
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Der Artikel "Citation Geography: It's About Location" von Michael Batty erschien in der aktuellen Ausgabe des Magazins "The Scientist" (Band 17, Heft 16/10, Ausgabe vom 25.8.03).
->   Zum Original-Artikel in www.the-scientist.com
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Zitate dienen der Transparenz ...
Ohne Zitate wäre die Wissenschaft ein einziges Chaos: Ideen, Hypothesen und Theorien könnten nur selten bis zu ihrem Urheber zurückverfolgt werden, die Publikationslandschaft wäre äußerst unübersichtlich - und der wissenschaftliche Fortschritt folglich deutlich erschwert.
... und einigen anderen praktischen Dingen
Zitate und Quellenverweise werden daher vor allem aus Gründen der akademischen Ordnungsliebe eingesetzt. Aber nicht nur: Ganz nebenbei eigenen sich diese auch als Beleg dafür, dass der Autor die Literatur des jeweiligen Fachgebiets überblickt.

Auf diese Weise ließe sich - theoretisch - akute Ideenarmut durch eine Fülle von Zitaten kompensieren. Außerdem dienen Zitate auch für publizistische Seilschaften mit anerkannten Autoritäten.

Der Vorteil daran: Mit einer schützenden Fußnote im Gepäck lassen sich fachliche Konkurrenten ohne großes Risiko attackieren, denn diese werden sich - angesichts des mächtigen Zitatgebers - Gegenangriffe zweimal überlegen.
Zitate als Messgröße des publizistischen Echos
Abgesehen von solch taktischen Überlegungen eignen sich Zitate auch als Messgröße für das Echo, das ein bestimmter Forscher während seiner Karriere in der Fachwelt ausgelöst hat.

Das amerikanische Institute for Scientific Information (ISI) hat z.B. die Datenbank "ISIHighlyCited.com" erstellt, in der Forscher aus verschiedenen Disziplinen aufgelistet werden, die die weltweit meisten Zitate auf sich gezogen haben.
->   ISIHighlyCited.com
Quantität gleich Qualität?
Ob die Anzahl der Zitate auch etwas über die wissenschaftliche Qualität aussagt, ist genau so Gegenstand von Diskussionen, wie dies etwa bei den "Impact-Faktoren" von Journalen der Fall ist.

Ganz wertfrei kann man die ISI-Daten jedenfalls dazu verwenden, um herauszufinden, in welchem Land, in welcher Stadt und in welcher Institution die meist zitierten Forscher dieses Erdballs sitzen.
->   Mehr zum Impact-Faktor: Kann wissenschaftliche Qualität gemessen werden?
Geografie der Zitate: USA dominiert
Das Ergebnis dieser von Michael Batty erstellten "Geografie der wissenschaftlichen Zitierung" ist eindeutig: Einige Wenige ziehen den Großteil der publizistischen Aufmerksamkeit auf sich - und lassen für den Rest nur wenig über.

Diese Aussage gilt gleichermaßen für Ranglisten von Städten, Institutionen und Ländern. Und: In allen drei Fällen kommen die Spitzereiter aus dem US-amerikanischen Raum.
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Top Ten der meistzitierten Forscher: Institutionsrangliste
1. Harvard
2. Stanford
3. UC, San Diego
4. MIT
5. National Cancer Institute
6. UC, San Francisco
7. Cornell
8. UC, Berkeley
9. University College, London
10. CalTech
->   Die komplette Liste
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1.222 Forscher aus 27 Ländern wurden geadelt
1.222 Forscher schafften zum Zeitpunkt von Battys Studie die Aufnahme in die "Highly Cited"-Datenbank. Diese stammen aus 429 Institutionen in 232 Orten und 27 Ländern. Die Herkunft ist allerdings hochgradig konzentriert: Mehr als die Hälfte der Forscher stammen von 50 Institutionen in lediglich fünf Ländern, wobei der Löwenanteil der USA zufällt.
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Top Ten der meistzitierten Forscher: Städterangliste
1. San Francisco Bay Area
2. Boston
3. Washington, DC
4. San Diego
5. London
6. New York
7. Research Triangle Park, NC
8. Chicago
9. Seattle
10. Los Angeles
->   Die komplette Liste
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Relative Entropie als Kenngröße der Konzentration
Als Maß für die Cluster-Bildung der Daten diente Michael Batty die so genannte relative Entropie R nach Claude Shannon - eine Größe, die ursprünglich im Rahmen der Informationstheorie zur Charakterisierung von Botschaften entwickelt wurde.

Diese Maßzahl liegt zwischen den Extremen 0 und 1. Bei völlig gleich verteilten Zitaten ergäbe sich für R der Wert 0, bei der Konzentration der Zitate auf nur eine Stadt (bzw. Land oder Institution) der Wert 1.

Wie zu erwarten, summiert sich die Dominanz der amerikanischen Forschung über diese drei Messebenen: Während R bei den US-Institutionen noch 0,23 beträgt, weist der Wert in der Städterangliste schon 0,36 auf. Nach Ländern gerechnet verbucht die USA dann bereits erdrückende 0,79 für sich.
->   Mehr zur Shannon-Entropie (Principia Cybernetica Web)
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Die Top Ten der meistzitierten Forscher - Länderrangliste
1. USA
2. Großbritannien
3. BRD
4. Kanada
5. Japan
6. Frankreich
7. Schweiz
8. Schweden
9. Italien
10. Australien
20. Österreich
->   Die komplette Liste
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Einzig London hält mit
Einzig der Ballungsraum London hält die europäische Ehre hoch: Innerhalb der Top Ten konnten nur britische Orte bzw. Forschungszentren die amerikanische Phalanx durchbrechen, in der Länderrangliste liegen die Briten daher auch auf Platz 2. Österreich liegt unter 27 erfassten Ländern auf Platz 20.
Blinde Flecken im Datensatz
Batty betont allerdings, dass der ISI-Datensatz systematische blinde Flecken aufweist. So erfasse er keine Literatur außerhalb des englischsprachigen Raums und bevorzuge Vollzeit-Forscher gegenüber Personal mit Lehrverpflichtung.

Wer einen Blick auf die "HighlyCited"-Website wirft, wird noch etwas Wichtiges feststellen: Bei den erfassten Disziplinen gibt es ebenfalls eine Art Cluster-Bildung.

Von 21 Kategorien sind 11 dem Bereich der "Life Sciences" zuzuordnen, aber nur eine den Sozialwissenschaften. Geisteswissenschaften kommen gar nicht vor.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Weitere Details zu dieser Studie auf Battys Website
->   Institute for Scientific Information
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01.01.2010