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Globale Armut weit größer als bisher errechnet  
  Die Armutszahlen, die die Weltbank vorlegt, müssen nach oben revidiert werden. Das fordert der Armutsexperte Thomas Pogge von der Columbia University. Er hält das bisherige Berechnungsschema für unpräzise.  
Armut in Bezug auf Einkommen gemessen
Die Weltbank legt regelmäßig Daten über Verteilung und Ausmaß der globalen Armut vor. Der Philosoph Thomas Pogge hält diese Statistiken jedoch für fragwürdig. Denn die Weltbank misst die Armut in Bezug auf das Einkommen.

Sie legt die Armut mit einer Einkommensschwelle von einem Dollar pro Tag fest, genauer gesagt mit der Kaufkraft von einem Dollar pro Tag in einem bestimmten Basisjahr. Die Kaufkraft wird mit einem Faktor multipliziert, der ausgleichen soll, dass man in Entwicklungsländern mehr Kaufkraft hat als zum Beispiel in Österreich.
Falsche Annahmen
Zum einen kritisiert Pogge, dass die Weltbank Kaufkraftparitäten verwendet, die auf der Annahme beruhen, dass man in Entwicklungsländern um dasselbe Geld drei bis sieben Mal mehr kaufen kann als in den USA. Das sei ein Irrtum, denn die Preise seien von Ware zu Ware sehr unterschiedlich. Manche Produkte können in reichen Ländern bis zu hundert mal mehr kosten als in armen Ländern.
Zu viele Waren in der Berechnung
Zum anderen werden die falschen Waren beachtet. "Bei der Bewertung der Kaufkraft der verschiedenen Währungen werden alle möglichen Waren und Dienstleistungen berücksichtigt, von denen die Mehrheit für die Armen natürlich völlig irrelevant ist. Es ist für die Armen irrelevant, wie viele Dienstleistungen, Flugtickets und Handys sie sich kaufen können. All das kaufen sie nicht. Die einzigen Güter, die für die Armen relevant sind, sind Grundnahrungsmittel und die medizinische Grundversorgung", meint Pogge im ORF-Radio.

"Auf die Preise dieser wenigen Bedarfsgüter kommt es an. Man müsste also, um die Kaufkraft von Währungen vernünftig einzuschätzen, speziell für diesen Zweck einer Bewertung der Entwicklung von Armut - sich auf diese Güter und ihre Preise konzentrieren."
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1,2 Milliarden Menschen unter der Armutsgrenze
An der Kaufkraft von einem Dollar pro Tag gemessen, gibt es heute ungefähr 1,2 Milliarden Menschen, die unter der Armutsgrenze leben. Ein Drittel aller Todesfälle sind laut Statistik der World Health Organisation armutsbedingt. Das sind 18 Millionen Menschen, die jedes Jahr aufgrund von Armut sterben. 800 Millionen Menschen leiden an Hunger. 880 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Das hat drastische Folgen: Die Lebenserwartung liegt in Sierra Leone bei 37 Jahren und in Japan bei 81 Jahren - nur um zu verdeutlichen, wie sich die Armut auswirkt.
->   WHO
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Neues Modell sollte von Grundbedürfnissen ausgehen
Der Armutsbegriff muss von menschlichen Grundbedürfnissen ausgehen, so das Modell Pogges. Er ist mit seinem Buch "Global Justice", das im Blackwell Verlag erschienen ist und demnächst auch auf deutsch auf den Markt kommt, zum gefragten Armutsexperten avanciert.

Pogge meint, es müssen Güter bestimmt werden, mit denen diese Grundbedürfnisse gedeckt werden können. Als arm hätte dann zu gelten, wer sich die Kombination dieser Bedarfsgüter nicht leisten kann. Dieses Modell wäre gerecht und würde global eine einheitliche Bedeutung haben.
->   Mehr über das Buch "Global Justice" (Blackwell Verlag)
Ungleichheit steigt
Mit diesem Berechnungsmodell würde die Ungleichheit noch viel deutlicher dargestellt. Die soziale Ungleichheit steigt sehr stark an - sowohl zwischen Ländern als auch zwischen den Menschen weltweit, meint Pogge.

Und zwar insofern, als ein größerer als proportionaler Anteil des Wirtschaftswachstums den Reichen zugute kommt. Die Armen haben nicht einmal ihren proportionalen Anteil am Wachstum - als Zuwachsrate im Haushaltseinkommen. Die globale Ordnung ist ein wichtiger Faktor, der diese Phänomene beeinflusst.

Ein Beitrag von Ulrike Schmitzer für das "Salzburger Nachtstudio" in Ö1
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Salzburger Nachtstudio, am 27.8.2003 um 21 Uhr 01. "Macht und Gerechtigkeit. Neue Herausforderungen globaler Politik". Eine Sendung anlässlich des Symposions "Die globale Frage. Empirische Befunde und ethische Herausforderungen" der Österreichischen Forschungsgemeinschaft.
->   Ö1
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->   Thomas Pogge (Columbia University)
->   Columbia University
->   Weltbank
 
 
 
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01.01.2010