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Die Achillesferse des Herzens  
  Baseball ist nicht gerade als die gefährlichste Sportart der Welt bekannt. Dennoch kam es in der Vergangenheit zu einer Reihe rätselhafter Todesfälle, die einzig durch den Aufprall der Bälle auf der Brust - von ohnehin geschützten - Spielern ausgelöst wurden. US-Forscher sind diesen sehr seltenen Fällen plötzlichen Herztodes nun auf der Schliche - und warnen vor der "Achillesferse des Herzens", die sich auch abseits des Sportplatzes zeigt.  
Der medizinisch korrekte Begriff des Phänomens lautet "commotio cordis" - eine "Herzerschütterung", die schon durch sehr geringe Krafteinwirkung ausgelöst werden kann. In der aktuellen Ausgabe des "New Scientist" werden die exakten Umstände beschrieben, die zu den letalen Folgen führen können.
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Der Artikel von Douglas Fox ist unter dem Titel "Lethal impact" im "New Scientist" (Ausgabe vom 30. August 2003, S. 38-39) erschienen.
->   New Scientist
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Eine Reihe unglücklicher Todesfälle
Obwohl "commotio cordis" äußerst selten auftritt, hat eine US-Studie immerhin 128 Fälle zusammen getragen: bei den meisten waren Base-, Fuß- oder andere Bälle im Spiel. Zu besonders unglücklichen Todesfällen kam es aber auch im Zuge einer Schneeballschlacht, durch einen Hund, der freudig auf sein Herrchen sprang, und den Versuch, Schluckauf mittels gut gemeintem Klaps zu beheben.

Mark Link vom Tufts New England Medical Center in Boston hat die tödliche Herzerschütterung nun genauer mit Hilfe von Schweinen untersucht. Er beschoss den Brustbereich der Borstentiere mit Basebällen in genau definierten Zeitabständen innerhalb ihres Herzrhytmus und beobachtete die Wirkung.
Risiko ist bloß 15 Millisekunden lang
Sein Schluss: Man muss schon außerordentliches Pech haben, dass sich der Aufprall in irgendeiner Weise negativ auswirkt - sowohl die Zeit als auch der Ort müssen haargenau zueinander passen.

Das Risiko ist seinen Studien zufolge innerhalb eines bloß 15 Millisekunden langen Zeitfensters während des Herzschlags am größten, der Ball muss direkt über dem Herzen einschlagen - und zwar bei einer Geschwindigkeit von genau 65 km/h. Auch der Schutz der Brust - gleichgültig ob beim Menschen oder bei den Versuchsschweinen - könne daran nichts ändern.
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Commotio cordis
Zur commotio cordis kommt es, wenn ein Schlag das Präkordium - also den Teil der Brustwand vor dem Herzen - genau in der verletzlichen Phase der Repolarisation (unmittelbar vor dem Peak der T-Welle) im Zuge des normalen Rhythmus trifft. Folge davon sind häufig schwer wiegende Herzrhythmusstörungen, wie Kammerflimmern mit nachfolgendem Herzstillstand.
->   Mehr über die Herzerschütterung (Tufts)
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Nachlade-Prozess im Herzen
Jeder Herzschlag, so der "New Scientist", wird durch einen Ionenfluss durch Kanäle ausgelöst, welche die Membranen von Herzgewebszellen kreuzen und ihre Spannungsunterschiede verändern. Bevor die nächste Kontraktion stattfinden kann, sorgen Pumpen in den Membranen üblicherweise für die Wiederherstellung der Ionen-Niveaus.

Dieser "Nachlade-Prozess" findet aber nicht gleichzeitig im ganzen Herzen statt - in der linken Herzkammer, die das sauerstoffhältige Blut von den Lungen in den Rest des Körpers pumpt, beginnt er auf der einen Seite und setzt sich auf der anderen fort. Wenn die Kontraktion nun vor dem Ende der Ladung ausgelöst wird, kann es zu den Herzstörungen kommen.
Vorzeitige Kontraktion
Und genau hier ortet Mark Link die Gefahr von Basebällen oder anderen Gegenständen, wenn sie auf die Brust treffen: schon leichte Schläge können seiner Ansicht nach eine Veränderung des Blutdrucks in der linken Herzkammer verursachen, die den Herzmuskel dehnt. Das scheint die Potassium Ionen-Kanäle zu öffnen und eine vorzeitige Kontraktion auszulösen.

Link fand auch heraus, dass eine bestimmte Substanz die Herzerschütterung verhindern kann, indem sie die Ionen-Kanäle blockiert.
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Der "New Scientist" bezieht sich auf eine Studie des Herzspezialisten Barry Maron von der Heart Institute Foundation in Minneapolis und seinem Team, die 2002 im "Journal of the American Medical Association" (JAMA) erschienen war. Sie ist unter dem Titel " Clinical Profile and Spectrum of Commotio Cordis" im "JAMA" (Bd. 287, S. 1142-1146, Ausgabe vom 6. März 2002) erschienen.
->   Original-Abstract
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Keine bestimmte Prädisposition
Die schlechte Nachricht des Mediziners: Es scheint keine bestimmte Prädisposition für die "commotio cordis" zu geben - sie kann jedem und jeder unter den beschriebenen ungünstigen Umständen passieren. Jüngere sind allerdings eher gefährdet, da sie einen elastischeren Brustkorb als Ältere haben.
Defibrillatoren würden helfen
Das einzige, was nach Ansicht von Link bei einem akuten Anfall von "commotio cordis" helfen könnte, wäre ein Defibrillator - der ist in den beschriebenen Fällen aber eher selten in Reichweite. Mit ein Grund dafür, warum bloß 16 Prozent der Patienten laut Studie überlebten.
->   Tufts New England Medical Center
->   science.ORF.at-Archiv zum Thema "Herz"
 
 
 
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01.01.2010