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Der "Survival Guide" für Schwarze Löcher  
  Für all jene, die per Anhalter durch das Universum reisen möchten, gibt es bereits die bekannte Anleitung in Buchform. Ein wichtiges Kapitel fehlt allerdings im "Hitchhiker's Guide to the Galaxy": Schwarze Löcher und eine Antwort auf die Frage, ob man den Sturz in eines dieser kosmischen Phänomene überleben könnte. Den Berechnungen eines Astrophysikers zufolge sollte man sich das betreffende Schwarze Loch zumindest gut aussuchen - denn nur wenn dieses sehr alt ist, rotiert und vor allem eine immense Masse besitzt, besteht demnach eine Chance.  
Igor Novikov vom Theoretical Astrophysics Center in Kopenhagen plant zwar nicht, in nächster Zeit ein Schwarzes Loch zu besuchen - Berechnungen zu dessen Eigenschaften hat der Wissenschaftler aber dennoch angestellt.

Die - noch nicht offiziell publizierten - Ergebnisse beleuchtet ein aktueller Artikel im Wissenschaftsmagazin "New Scientist".
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Der Artikel "The black hole survival guide" von Marcus Chown wurde am 4. September publiziert und erscheint in der Printausgabe des Magazins vom 6. September 2003. Igor Novikovs Ergebnisse sind derzeit im E-Print-Archiv www.arXiv.org nachzulesen - unter dem Titel "Developments in General Relativity: Black Hole Singularity and Beyond".
->   Abstrakt des Artikels in www.arXiv.org
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Selbst Licht kann ihnen nicht entkommen
Bild: Aurore Simonnet, Sonoma State University
Darstellung einer Aktiven Galaxie mit einem massereichen Schwarzen Loch im Zentrum.
Schwarze Löcher sind Objekte von immenser Dichte. Ihre Anziehungskraft ist infolge dessen so groß, dass nicht einmal Licht ihrer Saugwirkung entkommen kann. Sobald ein bestimmter Punkt überschritten ist, der so genannte Ereignishorizont, gibt es kein Entkommen mehr.

Man stelle sich etwa die Erde auf einen Radius von gerade einmal neun Millimetern komprimiert vor - das Ergebnis wäre ein Schwarzes Loch, allerdings von der eher kleineren Sorte.
Schon zur Zeit Isaac Newtons spekulierte man über die Existenz solcher Objekte, doch erst Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie machten es möglich, sie genauer zu beschreiben: Demnach sind im Inneren von Schwarzen Löchern Raum und Zeit völlig verzerrt.
Zerstört die "Singularität" wirklich alles?
Die uns bekannten Gesetze der Physik lassen sich auf das Innere dieser exotischen Himmelsobjekte kaum noch anwenden. Für die meisten Fachleute gilt allerdings als wahrscheinlich, dass ein Mensch den Sturz in ein Schwarzes Loch wohl kaum überleben könnte.

Im Zentrum der kosmischen Staubsauger findet sich der Theorie zufolge ein Punkt unendlicher Dichte, die Singularität. Astrophysiker gehen davon aus, dass jede Form von Materie durch die dort wirkenden Kräfte zerstört werden müsste.
Vielleicht nicht - wenn das Schwarze Loch rotiert
Vielleicht nicht in jedem Fall, meint nun Igor Novikov. Sein Ausgangspunkt: Ein rotierendes Schwarzes Loch. Schließlich drehen sich auch Sterne und Galaxien, daher besteht durchaus die Möglichkeit, dass Schwarze Löcher dies ebenso tun.
->   Mehr dazu: Staubsauger des Universums (4.5.01)
Folge: Ein zweiter Horizont entsteht
Geht man von dieser Tatsache aus, so sind wiederum Studien des neuseeländischen Mathematikers Roy Kerr von Interesse. Er hat in den frühen 1960er Jahren berechnet, dass durch die Rotation im Inneren der Schwarzen Löcher ein zweiter Horizont entsteht.

Genau diesen hat auch der Astrophysiker Novikov bei seinen Berechnungen im Blickpunkt: Demnach verwandelt sich dieser zweite Horizont nach einiger Zeit in eine zweite Singularität ("mass-inflation singularity"). Diese aber könnte lebensrettend wirken: Sie wird nach Novikov die erste und gefährlichere Singularität schlucken.
Zu kurze Wirkung der Kräfte
Die Kräfte rund um die übrig gebliebene Singularität könnten aber schlicht nicht lange genug wirken, um ein Objekt zu deformieren, argumentiert der Astrophysiker. Denn: Die Raumzeit ist an dieser Stelle so verformt, dass die Reise hier extrem schnell vonstatten gehen sollte.

"Obwohl man bei der Annäherung eine unendliche 'Gezeitenkraft' verspüren würde, würde man diese lediglich für sehr kurze Zeit spüren", wird Novikov im "New Scientist" zitiert. "Folglich könnte man hindurch reisen, ohne zermalmt zu werden."
Voraussetzung: Wenn es rotiert, alt und sehr massereich ist
Allerdings: Das jeweilige Schwarze Loch müsste man sich schon sehr genau aussuchen. Denn die von Novikov angenommenen Bedingungen entstehen nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen.

Für alle kosmischen Reisenden gilt demnach: Wer ein Schwarzes Loch passieren will, sollte sicherstellen, dass es a) eines von der rotierenden Sorte und b) bereits relativ alt ist (damit die zweite Singularität Zeit hatte, zu entstehen).

Zudem sollte es c) zu den wirklich Großen unter Seinesgleichen zählen - also ein so genanntes supermassives Schwarzes Loch mit mehreren Hunderten Millionen Sonnenmassen sein. Denn die Gravitationskräfte rund um einen solchen Giganten sind wesentlich geringer, als bei den kleineren Vertretern.
Supermassive Schwarze Löcher in jeder Galaxie
Bild: Chandra
Die Aufnahme des amerikanischen Rötgensatelliten Chandra vom Jänner 2003 zeigt das Zentrum der Milchstraße - gekennzeichnet ist das Schwarze Loch, genannt "Sagittarius A".
Um die Theorie auch in der Praxis zu überprüfen, müsste man vermutlich nicht einmal besonders weit reisen - in astronomischen Maßstäben gemessen: Denn Experten vermuten mittlerweile ein solches supermassives Schwarzes Loch im Zentrum aller Galaxien, darunter auch unsere Milchstraße.

Deren Schwarzes Loch "Sagittarius A" könnte tatsächlich ein perfekter Kandidat für die Reise sein - was man allerdings dahinter finden würde, darüber gibt es verschiedene Theorien. Denkbar wäre etwa eine Art kosmischer Tunnel, besser bekannt unter dem Terminus "Wurmloch", der Entfernungen von Millionen Lichtjahren überbrückt.

Und Igor Novikov glaubt, dass die "mass inflation" Singularitäten uns gar in ein anderes Universum führen könnten. Wirklich wissen wird man dies allerdings erst, wenn die erste Reise in ein Schwarzes Loch stattgefunden hat. Die Frage ist lediglich, ob der Betreffende - immer vorausgesetzt, er überlebt die Passage - uns von wo auch immer davon berichten kann.

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Theoretical Astrophysics Center Kopenhagen
->   "New Scientist"
Mehr über Schwarze Löcher in science.ORF.at:
->   Symbiose: Galaxien und Schwarze Löcher (16.7.03)
->   Schwarze Löcher: Erster Blick auf Staubringe (2.7.03)
->   Doppelsystem: Schwarze Löcher tanzen Walzer (22.5.03)
->   Neues zum Schwarzen Loch im Milchstraßen-Zentrum (18.2.03)
 
 
 
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01.01.2010