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Theodor W. Adorno zum 100. Geburtstag  
  Theodor Wiesengrund Adorno gilt als einer der vielseitigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Er wirkte als Hochschullehrer, Autor höchst komplexer, "dunkler" philosophischer Texte, Vertreter der Frankfurter Schule der Kritischen Theorie, Musiktheoretiker, Essayist, Komponist und Gesellschaftskritiker, der die spätkapitalistische Industriegesellschaft heftig attackierte. Vor 100 Jahren, am 11. September 1903 wurde das philosophische Multitalent in Frankfurt geboren.  
"Verkehrte Welt" des Kapitalismus
Bild: dpa
Theodor Wiesengrund Adorno
Als Hauptübel der kapitalistischen Produktionsweise sah Adorno den Austausch von menschlicher Arbeitskraft und Geld. Hier folgte er den Thesen von Karl Marx, der diesen Austausch als "verkehrte Welt" bezeichnete; verkehrt deswegen, weil konkrete menschliche Qualitäten gegen das abstrakte Mittel Geld getauscht werden.

Eine Gesellschaft, die bereit ist, alles zu tauschen - so der Vorwurf Adornos - fördere die egoistische Gewinnsucht des Einzelnen; menschliche Qualitäten wie Freundschaft, Hilfsbereitschaft oder Altruismus werden vernachlässigt.
Antiquiertes Denken?
Die gesellschaftskritische Position Adornos wirkt heute antiquiert. Der Niedergang der marxistischen Theorie und die Hochkonjunktur der Erlebnis- und Spaßgesellschaft haben Adorno zugesetzt. Auch die philosophische Postmoderne hat ihn zum toten Hund erklärt und wirft ihm Larmoyanz, Masochismus und übertriebenen Pessimismus vor.
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Ein Opfer der Biografen
Wenig Resonanz kommt auch von der zeitgenössischen akademischen Philosophie. Es sieht so aus, als werde Adorno als Philosoph kaum mehr wahrgenommen. Bezeichnend ist, dass im Jahr seines hundertsten Geburtstages Biografisches im Vordergrund steht. Die wichtigste Publikation dürfte wohl Stefan-Müller-Doohms umfangreiche Biografie sein. Der in Oldenburg lehrende Philosoph dokumentiert erstmals detailliert die Lebensgeschichte Adornos. Die Absicht des Autors besteht darin, "das Kraftfeld" zu skizzieren, das sich zwischen Adornos Leben und Werk erstreckt.

Stefan Müller-Doohm: "Adorno. Eine Biographie", erschienen im Suhrkamp Verlag (2003, ISBN: 3-518-58378-6). Auch Die 20-bändige Ausgabe der Werke Adornos ist im Suhrkamp Verlag erschienen.
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Die Jugend- und Studienjahre
Bild: dpa
Das Archivbild vom 28.05.1968 zeigt (v.l.) den Schriftsteller Heinrich Böll, Theodor W. Adorno und Verleger Siegfried Unseld bei einer Veranstaltung in Frankfurt.
Geboren wurde Theodor W. Adorno am 11.September 1903 als Sohn eines vermögenden jüdischen Weinhändlers und einer adeligen Sängerin. Adornos Kindheit war wohl behütet; besonders wichtig waren ihm Musik und Literatur.

Daneben wandte er sich der Philosophie zu, die er an der Universität in Frankfurt am Main studierte. Besonders faszinierten ihn die Gespräche mit Siegfried Kracauer, Walter Benjamin, Ernst Bloch und Georg Lukacs.

1922 lernte er den um acht Jahre älteren Max Horkheimer kennen. Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft und Zusammenarbeit.
Gastspiel in Wien - Dozentur - Exil
Nach einem kurzen Gastspiel in Wien, wo Adorno bei Alban Berg Komposition studierte, habilitierte er sich in Frankfurt am Main und erhielt einen Lehrauftrag, der ihm nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten entzogen wurde.

Adorno emigrierte nach England, dann nach New York, wo ihm Max Horkheimer eine Stelle am Institut für Sozialforschung verschaffte. Später zog er gemeinsam mit Horkheimer nach Los Angeles, wo er mit Thomas Mann, Bertolt Brecht und Arnold Schönberg zusammentraf.
Die Rückkehr nach Deutschland
Adorno war von der amerikanischen Kultur und Forschungstradition wenig angetan - 1949 kehrte er nach Frankfurt am Main zurück, lehrte an der Universität und am Institut für Sozialforschung.

In diesen Jahren erschienen die "Dialektik der Aufklärung", an der Adorno gemeinsam mit Horkheimer mehrere Jahre in den Vereinigten Staaten gearbeitet hatte, und die "Minima Moralia".
Die "Dialektik der Aufklärung"
In der "Dialektik der Aufklärung" beschreiben Horkheimer und Adorno den ambivalenten Charakter der Rationalität:

Einerseits als emanzipatorisches Element, das zur Befreiung des Menschen aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit dient, andererseits als Mittel der Unterdrückung der Sinnlichkeit, der Emotionalität und des Triebpotenzials der Menschen.
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Die "Minima Moralia" - in Form von Aphorismen
In diesem Werk, das in Form von Aphorismen vorliegt, präsentiert Adorno "Reflexionen aus dem beschädigten Leben". Es ist der Versuch, seine radikale Gesellschafts- und Kulturkritik möglichst vielen Lesern zugänglich zu machen. Leitmotive sind Gedanken über die Barbarei des Nationalsozialismus, die Einsamkeit des Emigranten oder die Auswüchse der amerikanischen Kulturindustrie.
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Komplexe Spätwerke - philosophische Hauptwerke
Neben seinen Vorlesungen an der Universität arbeitete Adorno bis zu seinem Tod im Jahre 1969 an seinen philosophischen Hauptwerken - der "Negativen Dialektik" und der "Ästhetischen Theorie".

Es sind dies höchst komplexe, schwer lesbare Werke, die sich der kurz gefassten Wiedergabe entziehen. So kreist die "Negative Dialektik" um die Möglichkeit, Widersprüche als solche bestehen zu lassen, ohne den Begriff der Versöhnung zu bemühen.

In der "Ästhetischen Theorie" betont Adorno den subversiven Charakter der Kunst, die sich gegen die Vereinnahmung durch die Kulturindustrie wehrt.
Vom Glück des Denkens
Die Schriften Adornos vermitteln ein düsteres Bild des Philosophen. Dennoch ist auch die Rede von Glück. Ein besonderes Glück verschaffte Adorno der Prozess des Denkens, in dem das beschädigte Leben die Ahnung eines nicht entfremdeten Lebens verspürt. "Das Glück, das im Auge des Denkenden aufgeht" - so schrieb er - "ist das Glück der Menschheit."

Ein Beitrag von Nikolaus Halmer für die Sendung "Salzburger Nachtstudio" (Mittwoch, 10. September 2003, um 21.00 Uhr) in Radio Österreich 1.
->   Radio Österreich 1
->   Ausführliche Informationen in der freien Enzyklopädie wikipedia.org
->   Biografische Zeittafel zu Adorno (Uni Graz)
 
 
 
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01.01.2010