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Gentech-Bakterien als Schutz gegen HIV?  
  Neuer Hoffnungsschimmer im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit AIDS: Amerikanische Forscher haben Schleimhautbakterien der Vaginalflora mit einem Gen ausgestattet, mit dessen Hilfe sie an das gefährliche HI-Virus zu binden vermochten. Die Bakterien konnten daraufhin ihre natürliche Schutzfunktion voll entfalten und die Infektionsrate deutlich reduzieren. Mit dieser völlig neuartigen Strategie könnten sich Frauen in Hinkunft aktiv gegen die Übertragung von HIV schützen.  
Wie das Forscherteam um Peter Lee von der Stanford University berichtet, eignet sich diese Methode im Prinzip auch zur Abwehr anderer Virustypen. Die Versuche wurden bisher im Reagenzglas durchgeführt, Folgestudien sollen nun die Anwendbarkeit am Menschen zeigen.
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Die Studie "Inhibition of HIV infectivity by a natural human isolate of Lactobacillus jensenii engineered to express functional two-domain CD4" von Peter P. Lee et al. erschien in der Zeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (DOI pnas.1934747100)
->   PNAS
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HIV-Übertragung: Frauen besonders gefährdet
Ungeschützter heterosexueller Geschlechtsverkehr ist zwar nicht die einzige, jedoch die weltweit vorherrschende Form der HIV-Übertragung. Frauen sind dabei besonders gefährdet, da das HI-Virus mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von Männern auf ihre Sexualpartnerinnen übertragen wird als umgekehrt.
Kampf gegen das Virus: Impfstoffe ...
Bisher bediente man sich im Wesentlichen zweier medizinischer Strategien, um das HI-Virus vorbeugend an seiner ungehemmten Vermehrung zu hindern.

Zum einen mittels Impfstoffen: Das Problem an diesem Ansatz ist jedoch, dass der Erreger äußerst schnell mutiert - und die angewandten Vakzine demzufolge ihre Wirkung mittelfristig einbüßen könnten.

Ferner konnte gezeigt werden, dass die verschiedenen HIV-Typen mitunter genetisches Material austauschen. Ein Faktum, das die Entwicklung universeller AIDS-Impfstoffe zusätzlich erschwert.
->   HIV-Varianten können genetisches Material austauschen
... und Mikrobizide
Die zweite Strategie setzt auf Mikrobizide, die den Eintritt des Virus in die Wirtszelle durch Wechselwirkung mit Zellrezeptoren verhindern sollen.

Wie Lee und seine Mitarbeiter in ihrem Artikel hinweisen, wirken viele Mikrobizide sehr unspezifisch, was Irritationen im Vaginalgewebe auslösen könne und - unter Umständen - sogar zu einer Erhöhung satt einer Reduzierung der Infektionsgefahr führe.
->   Mehr dazu: Mikrobizide - eine Chance zur HIV-Prävention? (hiv.net)
Neue Strategie nutzt natürlichen Abwehrring
Das Team um Lee stellte nun ein völlig neue - und offensichtlich wirksame Vorgehensweise gegen HIV-Infektionen vor. Die Grundidee der Forscher von der Stanford University:

Man bediene sich einer natürlichen Abwehrschranke des Körpers, statte diese mit einem Genprodukt aus, das selektiv an HI-Viren bindet - und hindere so die Erreger am Eintritt in die Wirtszellen.

Konkret griffen Lee und Kollegen auf das Bakterium Lactobazillus jensenii zurück, das in der Schleimhaut von Vagina und Gebärmutterhals vorkommt. Gemeinsam mit anderen Bazillen der selben Gattung bildet dieses einen natürlichen "Biofilm", der eine erste Schranke für den Eintritt infektiöser Erreger darstellt.
Schleimhautbakterium genetisch modifiziert
Die amerikanischen Mediziner kultivierten Lactobazillus jensenii und fügten in dessen Erbgut ein zusätzliches Gen. Daraufhin stellten die Bakterien das Protein "CD4" her, ein Molekül, das normalerweise an der Oberfläche von gewissen Abwehrzellen des Immunsystems zu finden ist.

Diese Vorgehensweise ist deswegen originell, weil man damit das HI-Virus gewissermaßen mit den eigenen Waffen schlägt: Im Normalfall bindet der Erreger nämlich genau an solche Zellen, die (neben so genannten Korezeptoren) das CD4-Oberflächenmolekül tragen.
->   CD4 und HIV (aidsnet.ch)
Virus auf zweifache Weise angegriffen
Das führt zu einem doppelten Schutzmechanismus: Zum einen binden die HI-Viren an die - freilich nur aus ihrer Sicht - falschen Zellen, was die Infektionsrate reduziert.

Zum anderen produzieren die schützenden Bakterien antivirale Stoffe, wie etwa Milchsäure oder Wasserstoffperoxid, was die gebundenen Viren zusätzlich außer Gefecht setzt.
Infektionsrate um Hälfte reduziert
Das Team um Lee konnte im Laborversuch nachweisen, dass die CD4-Moleküle korrekt an der Oberfläche der Bakterienzellen saßen und tatsächlich die Infektionsrate bei kultivierten Zielzellen um mindestens 50 Prozent reduzierten.

Wie Lee und Mitarbeiter betonen, ließe sich diese Vorgehensweise im Prinzip auch gegen andere Erreger, etwa Papilloma- oder Herpes-Viren, anwenden.
Studien am Menschen sollen folgen
Die Befunde stimmen optimistisch, wenngleich sie nur in vitro gewonnen wurden. Studien am Menschen stehen zwar noch aus, vorausgehende Untersuchungen an Affen haben jedenfalls gezeigt, dass die gentechnisch veränderten Bakterien gut wachsen und Sicherheitsstandards genügen.

Nach Auskunft von Peter Lee möchte man anhand der neuen Erkenntnisse Vaginalzäpfchen entwickeln, die Frauen einen natürlichen Schutz vor Infektionen bieten könnten. Die Dauer der Wirkung sollte dabei im Bereich von Tagen oder Wochen liegen.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Stanford University
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01.01.2010