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Gehirn: Schon Babys haben einseitige Sprachverarbeitung  
  Wenn Menschen mit ihrem Gehirn Sprache verarbeiten, dann ist vor allem die linke Hirnhälfte aktiv. Diese Erkenntnis geht bis auf das 19. Jahrhundert zurück. Offen war bislang die Frage, ob diese Asymmetrie im Gehirn angeboren ist - oder erst im Zuge des Spracherwerbs gebildet wird. Ein internationales Forscherteam konnte darauf nun eine eindeutige Antwort geben: Ersteres ist der Fall, denn bereits Neugeborene reagieren auf sprachliche Reize mit den typisch asymmetrischen Erregungen im Gehirn.  
Wie ein Forscherteam um den Kognitionsforscher Jacques Mehler von der International School for Advanced Studies in Triest berichtet, wurden die Ergebnisse an zwei bis fünf Tage alten schlafenden Säuglingen gewonnen: Ihre Reaktionen auf von Tonbänder stammenden Stimmen unterschieden sich klar, wenn diese vor- bzw. rückwärts abgespielt wurden.
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Die Studie "Sounds and silence: An optical topography study of language recognition at birth" von Jacques Mehler et al. erschien als Online-Vorabpublikation der "Proceedings of the National Academy of Sciences" (DOI pnas.1934290100)
->   PNAS
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Paul Broca - Entdecker eines wichtigen Sprachzentrums
Bereits im Jahr 1861 berichtete der französische Anthropologe und Chirurg Paul Broca, dass bestimmte Sprachstörungen regelmäßig bei Patienten zu beobachten waren, die eine Läsion an der dritten linken Stirnwindung erlitten hatten. Er schloss daraus, dass an diesem Ort der Hirnrinde ein Sprachzentrum vorhanden sein müsse.
Das Paradigma: Funktionale Asymmetrie
Broca hatte Recht. Knapp 150 Jahre später wird Brocas Erkenntnis in die generelle neurobiologische Lehrmeinung eingebettet, dass es im menschlichen Gehirn so genannte funktionale Asymmetrien gibt.

Das heißt, die beiden Gehirnhälften weisen eine gewisse Spezialisierung bei der Erledigung ihrer Aufgaben auf. Die Sprachverarbeitung ist diesem Konzept zufolge etwa primär Angelegenheit der linken Hemisphäre. Dies trifft bei fast allen Rechtshändern und gut zwei Drittel aller Linkshänder zu.
->   Mehr zu funktionalen Asymmetrien (Uni Bamberg)
Angeboren oder erworben?
Wann diese Aufgabenteilung im Gehirn auftritt, war bis dato nicht bekannt. Bisher wusste man lediglich, dass sie bereits bei drei Monate alten Kindern nachzuweisen ist.

Dies lässt aber keine endgültige Entscheidung darüber zu, ob es sich dabei um ein angeborenes oder - im Zuge des Spracherwerbs - erworbenes Merkmal handelt.
->   Mehr zu Gehirn und Sprache (Uni Stuttgart)
Studie: Säuglingen Tonbänder vorgespielt
Ein internationales Forscherteam um Jaques Mehler meint nun die Antwort auf diese Frage geben zu können. Die Wissenschaftler spielten zwei bis fünf Tage alten schlafenden Säuglingen Tonbändern vor, auf denen die Stimme einer Frau zu hören war, die Kindergeschichten vorlas.

Die Babys wurden im Rahmen der Versuche mit der so genannten optischen Topographie untersucht - ein bildgebendes Verfahren, mit dem die Durchblutung in verschiedenen Hirnregionen sichtbar gemacht werden kann.
->   Mehr zur optischen Topographie
Sprache aktiviert ab der Geburt die linke Hirnhälfte
Zum Vergleich spielten die Forscher das Tonband auch rückwärts und verglichen die Ergebnisse zudem mit dem Hirnzustand in Abwesenheit akustischer Reize. Die Ergebnisse waren eindeutig:

Die temporalen Bereiche der linken Hirnhälfte wurden durch die vorwärts abgespulten Bänder signifikant mehr aktiviert als es bei den beiden Kontrollversuchen der Fall war. Damit zeigt das Gehirn von Säuglingen im Prinzip jene Charakteristik, die bereits von Erwachsenen wohl bekannt war.

Mehler und seine Kollegen folgern daraus, dass das Gehirn bereits bei der Geburt so (vor-)organisiert ist, dass es sprachliche Reize asymmetrisch verarbeitet. Mögliche Erfahrungseffekte werden von den Autoren allerdings nicht explizit ausgeschlossen.
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Satzzeichen in der Sprache des Gehirns entdeckt
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01.01.2010