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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
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Temperaturweltrekord: Dem absoluten Nullpunkt so nah wie nie  
  Der "Iceman" unter den Physikern hat wieder zugeschlagen: Der deutsche Nobelpreisträger Wolfgang Ketterle hat gemeinsam mit Kollegen vom Massachusetts Institute of Technology einen neuen physikalischen Weltrekord aufgestellt. Die Forscher erzeugten mit Natrium-Atomen die tiefsten jemals erreichten Temperaturen - und näherten sich damit dem absoluten Nullpunkt bis auf ein halbes Milliardstel Grad an.  
In der - für Physiker üblichen - Einheit ausgedrückt, liegt die Bestmarke nunmehr bei einem halben Nanokelvin. Damit wurde der bisherige Weltrekord gleichsam pulverisiert, der etwa das Sechsfache betrug.
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Die Studie "Cooling Bose-Einstein Condensates Below 500 Picokelvin," by A. E. Leanhardt, T. A. Pasquini, M. Saba, A. Schirotzek, Y. Shin, D. Kielpinski, D. E. Pritchard und W. Ketterle erschien im Fachmagazin "Science" (Band 301, S.1513-5, Ausgabe vom 12.9.03).
->   Science
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Wissenschaft: Jagd nach Rekorden ...
Die Jagd nach Rekorden ist uns im Sport allgegenwärtig, doch auch in der hehren Physik spielt sie eine nicht zu verleugnende Rolle. Etwa bei der Herstellung der schwersten Elemente oder bei der Anwendung immer höherer Energien im Rahmen von Experimenten mit Teilchenbeschleunigern.

Freilich geht es in der Wissenschaft nicht - wie etwa im bekannten "Guiness Book of Records" - um Bestleistungen als Selbstzweck. Wissenschaftliche Rekorde sind gewissermaßen ein "Spin off", d.h. Nebenprodukt des wissenschaftlichen Erkenntnisstrebens.
... bewirkt technologischen Fortschritt
Nichts desto trotz darf man auch als Physiker einen gewissen sportlichen Ehrgeiz entwickeln. Denn schließlich gilt es, die technologischen Grenzen sukzessive zu erweitern - und schlussendlich dem Menschen nutzbar zu machen.

Wer käme heute etwa noch auf die Idee, dass hinter den elektronischen Lesegeräten in Supermarktkassen Laser-Technologie steckt, die dereinst als weltabgewandte Grundlagenforschung abgetan wurde?
Ein Nanokelvin als "sportlicher" Erfolg
Kein Wunder also, wenn Wolfgang Ketterle die neue physikalische Bestmarke mit einer Anleihe aus der Welt des Sports kommentiert: "Die Grenze von ein Nanokelvin zu unterschreiten ist in etwa damit vergleichbar, eine Meile unter vier Minuten zu laufen."
Praktische Anwendungen des Rekords
Um etwaigen Missdeutungen vorzubeugen, steuert MIT-Forscher und Co-Autor der Studie David E. Pritchard auch gleich die möglichen Anwendungsgebiete bei: "Ultrakalte Gase könnten zu ungeheuren Verbesserung von Präzisionsgeräten, wie etwa Atomuhren oder Gravitations- und Rotations-Sensoren führen."
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Kettler: Nobelpreis für Bose-Einstein-Kondensat
Im Jahr 2001 wurde Wolfgang Ketterle breiteren Kreisen der Bevölkerung bekannt, als ihm gemeinsam mit den Amerikanern Eric A. Cornell und Carl E. Wieman der Nobelpreis für Physik verliehen worden war. Die Auszeichnung erhielten die drei Forscher für die Herstellung eines besonderen Materiezustandes, des so genannten Bose-Einstein-Kondensates (BEC). Die Herstellung von BEC-Zuständen bedarf per Definition extrem tiefer Temperaturen.
->   Physik-Nobelpreis 2001 verliehen
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Die neue Bestmarke: 0,45 Nanokelvin
Auch der aktuelle Rekord entstand bei Forschungen an einem Bose-Einstein-Kondensat. War es 1995, bei der ersten Herstellung eines BEC-Zustandes, noch ein Mikrokelvin (Ein Millionstel Kelvin) gewesen, das man unterschritten hatte, so befindet man sich acht Jahre danach bereits um eine Größenordnung tiefer:

0,45 Nanokelvin lautet nunmehr die Bestmarke. Das ist etwa ein Sechstel des bisher gültigen Rekords.
->   Temperatur und absoluter Nullpunkt (Uni Bonn)
Extreme Kälte: Atome im Schneckentempo
Was eine solch extreme Annäherung an den absoluten Nullpunkt (-273,16 °C) in physikalischer Hinsicht bedeutet, zeigt ein anschaulicher Vergleich: Bei Raumtemperatur bewegen sich Atome mit der Geschwindigkeit eines Düsenjets.

Bei den neuen Rekordtemperaturen sind sie etwa eine Million mal langsamer - und benötigen für die Durchmessung der Distanz von einem Zentimeter mehr als zehn Sekunden.
Der Trick mit der gravito-magnetischen Falle
Unter solchen Bedingungen können Atome allerdings nicht in konventionellen Behältern gelagert werden, da sie sofort an deren Wänden haften blieben.

Davon abgesehen, können Behälter gewöhnlicher Bauart ohnehin nicht bis zu solchen Temperaturregionen abgekühlt werden. Daher mussten die verwendeten Natriumatome durch Magneten im Zustand einer Gaswolke gleichsam gefangen werden.

Wie die MIT-Forscher in ihrem Artikel schreiben, verwendeten sie eine so genannte gravito-magnetische Falle. Wie der Name bereits andeutet, spielen hier Magnetfelder mit Gravitationskräften zusammen, um die Atome in dem gewünschten Zustand zu halten.
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Thema Temperatur bei "Ask Your Scientist"
Auch die science.ORF.at-Serie "Ask Your Scientist" beschäftigt sich gegenwärtig mit dem Thema Temperatur und Wärme: Allerdings bezieht sich die aktuelle Frage auf das andere Ende der Temperaturskala. Sie lautet: Gibt es - neben dem natürlichen Minimum am absoluten Nullpunkt - auch ein natürliches Temperatur-Maximum?
->   Gibt es eine maximale Temperatur?
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->   Mehr zu kalten Gasen und BEC am MIT
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->   Schritt zur Chemie am absoluten Nullpunkt
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->   Mit kalten Gasen zum Quantencomputer
 
 
 
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01.01.2010