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DNA-Reparatur: Wenn "Notfall-Spezialisten" eingreifen  
  Pro Sekunde ereignen sich im menschlichen Organismus mehrere Millionen Zellteilungen. Dabei wird dank spezieller Enzyme auch das Erbgut verdoppelt. Beschädigungen der DNA blockieren diese so genannten DNA-Polymerasen allerdings und würden die Zellteilung verhindern, könnte die Zelle nicht auf bestimmte "Notfall-Spezialisten" zurück greifen, die auf die Überwindung derartiger Blockaden spezialisiert sind. Neue Einblicke in diesen lebensnotwendigen Mechanismus haben nun deutsche Forscher gewonnen.  
Helle Ulrich und Philipp Stelter vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg berichten in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature" von der Entdeckung eines Signalweges, der die Aktivität der "Notfall-Spezialisten" reguliert und so die Genauigkeit der Erbgutverdopplung mitbestimmt.
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Der Artikel "Control of spontaneous and damage-induced mutagenesis by SUMO and ubiquitin conjugation" ist erschienen in "Nature", Bd. 425, Seiten 188-191, vom 11. September 2003 (doi:10.1038/nature01965).
->   Der Originalartikel in "Nature" (kostenpflichtig)
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Erbgut-Verdopplung dank DNA-Polymerasen
Für die Verdopplung unseres Erbgutes sind spezielle Enzyme verantwortlich, die so genannten DNA-Polymerasen. Ihre Kopiergenauigkeit trägt entscheidend zur akkuraten Weitergabe der genetischen Information einer Zelle bei.
Zu große Toleranz: Mutationen möglich
Bild: Max-Planck-Institut fuer terrestrische Mikrobiologie
Hefezelle bei der Zellteilung (DNA blau eingefärbt)
Beschädigungen der DNA blockieren jedoch diese Enzyme und würden die Zellteilung verhindern, wenn die Zelle nicht über eine Reihe anderer DNA-Polymerasen verfügen würde, die auf die Überwindung derartiger Blockaden spezialisiert sind.

Diese "Notfall-Spezialisten" sind jedoch wegen ihrer Toleranz gegenüber beschädigter DNA weniger genau und können dadurch unerwünschte, im schlimmsten Falle krebsauslösende Mutationen verursachen.

Die Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe von Helle Ulrich forschen dazu an der Bäckerhefe, einem einzelligen Pilz, um herauszufinden, wie sich Zellen vor den Folgen von DNA-Schädigungen schützen.
Zwei Stränge erlauben Reperatur
Da die DNA ein doppelsträngiges Molekül ist, trägt sie sämtliche Information in zweifacher Form. Dies ermöglicht es, Schäden in einem der beiden Stränge fehlerfrei mit Hilfe der Information des intakten gegenüberliegenden Stranges zu reparieren.
Kritische Situation bei Teilung der Stränge
Kritisch wird die Situation für eine Zelle dann, wenn sich während der Replikation die beiden Stränge voneinander trennen. Denn die für die Replikation verantwortlichen DNA-Polymerasen können geschädigte Abschnitte nicht überwinden. Bleibt jedoch die DNA-Replikation stecken, kann sich die Zelle selbst nicht mehr vermehren.
Notprogramm durch alternative DNA-Polymerasen
In diesem Fall steht der Zelle allerdings ein Notprogramm zur Verfügung. Dieses erlaubt ihr, trotz des DNA-Schadens die Verdopplung des Genoms zu vollenden. Dazu übernehmen alternative DNA-Polymerasen zeitweilig die Replikation, die weniger "penibel" sind und es hinsichtlich ihrer Kopiervorlage nicht so genau nehmen.
Weniger genau - höhere Fehlerrate
Diese "Notfallkopierer" arbeiten allerdings auf Kosten der Genauigkeit, denn ihre Toleranz gegenüber DNA-Schäden erkaufen sich diese Enzyme durch eine wesentlich höhere Fehlerrate beim Kopieren

So entstehen durch ihre Aktivität Mutationen im Genom, die in höheren Organismen eine unkontrollierte Vermehrung der Zelle auslösen und damit einen wesentlichen Beitrag zur Krebsentstehung leisten können.
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Notfall-Polymerasen als zweischneidiges Schwert
Die Notfall-Polymerasen sind also ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite sorgen sie dafür, dass eine Zelle sich selbst unter ungünstigen Bedingungen noch erfolgreich vermehren kann. Auf der anderen Seite nimmt der Organismus damit unerwünschte Mutationen in Kauf, die in der Zukunft Gesundheit und Funktionstüchtigkeit seiner selbst sowie seiner Nachkommen beeinträchtigen könnten.
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Genaue Kontrolle der "Spezialisten"
Bild: Max-Planck-Institut f¿r terrestrische Mikrobiologie
DNA-Replikation in einer Zelle
Deshalb ist es nicht überraschend, dass eine Zelle den Einsatz dieser Spezialisten sehr genau überwacht und sie nicht unkontrolliert agieren lässt. Wie genau dies geschieht, ist bislang nur in Ansätzen geklärt.

Philipp Stelter und Helle Ulrich haben nun einen Signalweg entdeckt, der bei Bedarf die schadenstoleranten Polymerasen aktiviert und so die Replikation geschädigter DNA ermöglicht.

Eine Schlüsselrolle spielt demnach das Protein PCNA: Verknüpft sich dieses mit einem so genannten Ubiquitin-Molekül oder auch einem ähnlichen Protein namens SUMO, so werden die Notfall-Polymerasen zur Mitwirkung an der Replikation herangezogen.

Zum Bild: (A) Eine DNA-Polymerase (grün) in Begleitung des Hilfsfaktors PCNA (gelb) wird durch einen Schaden, dargestellt durch einen roten Stern, beim Kopieren der DNA behindert. (B) Das Protein Ubiquitin (grau) wird an den Faktor PCNA angehängt und aktiviert damit eine schadenstolerante Notfall-Polymerase (blau). (C) Die Notfall-Polymerase ist jetzt in der Lage, die DNA über die beschädigte Stelle hinweg zu kopieren, läuft dabei allerdings Gefahr, durch den Einbau falscher Informationen an der geschädigten Stelle eine Mutation zu verursachen.
PCNA für Effizienz und Genauigkeit
Die Ergebnisse erlauben Rückschlüsse auf jene molekularen Vorgänge, die die stabile Weitergabe genetischer Information von Zellgeneration zu Zellgeneration beeinflussen.

Offensichtlich helfen die Modifikationen am PCNA-Protein der Zelle, sowohl die Effizienz als auch die Genauigkeit der Replikation von unversehrter oder beschädigter DNA zu steuern und damit differenziert auf verschiedenste Umweltbedingungen zu reagieren, heißt es in einer Aussendung des Max-Planck-Instituts.
Möglicher Ansatz für Krebsbekämpfung
Die Marburger Forscher hoffen nun einen Weg gefunden zu haben, der in Zellen die Entstehung unerwünschter Mutationen verhindert, ohne dass dadurch wichtige fehlerfreie Reparaturvorgänge beeinträchtigt werden. Das könnte ein wichtiger neuer Schritt zur Bekämpfung der Krebsentstehung sein.
->   Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Tubulysine: Vom Kompost in die Krebsforschung (11.3.03)
->   Asymmetrische Zellteilung: Mechanismus geklärt (10.3.03)
->   Protein zur Zellteilungs-Kontrolle entdeckt (7.10.02)
 
 
 
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01.01.2010