News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Experte spricht von neuer Art der Zuwanderung  
  Das Phänomen Zuwanderung wird sich mit der Erweiterung der Europäischen Union völlig verändern, meint der amerikanische Soziologe Richard Sennett. Darauf aber sei Westeuropa nicht vorbereitet, so der Wissenschaftler in einem Interview im Ö1-Morgenjournal.  
Wir sind nicht vorbereitet auf das, was in den nächsten Jahren auf uns zu kommt, sagt Richard Sennett. Wenn Polen und Slowaken nach der Erweiterung der Europäischen Union nach Westeuropa kommen können, werde das das bisherige Verständnis von Migration völlig verändern.
"Keine Fremden im traditionellen Sinn"
"Das werden keine Fremden im traditionellen Sinn mehr sein. Sie werden zu Europa gehören und sie werden Rechte haben. Früher haben wir Einwanderer gesehen als Menschen, die sich entweder illegal im Land aufhalten, oder die um Asyl angesucht haben: Klassische Außenseiter also, outsiders, während das jetzt Insider sein werden, dennoch aber anders als wir."
...
Richard Sennett bei Migrations-Konferenz in Wien
Bäcker von heute müssen kein Brot backen können, sondern lediglich Back-Computer überwachen. Mit solchen Fallstudien aus der modernen Arbeitswelt ist der amerikanische Soziologe Richard Sennett weltberühmt geworden. Seine Bücher wie "Der flexible Mensch" erreichen für einen Wissenschaftler ungewöhnlich hohe Auflagen. Der an der London School of Economics lehrende Soziologe ist zur Zeit Gast in Wien. Bei der mehrtägigen Migrations-Konferenz im Wiener Rathaus hielt er gestern Abend den Eröffnungs-Vortrag.
->   Richard Sennett (London School of Economics)
...
Kultur nicht übertreiben
Die Zuwanderer-Diskussion in den europäischen Staaten würde sich aber viel zu sehr auf die kulturellen Unterschiede konzentrieren. Sennett verweist auf den Streit über die Kopftücher von muslimischen Schülerinnen in Frankreich. Dieses Diskussion werde aber zu kurz greifen, wenn die Straßenkehrer in Paris vielleicht einmal aus Ungarn kommen werden.

"Wir kümmern uns nicht um die eigentliche Realität von 'uns Nahe aber doch von uns verschieden', die ein völlig anderes Problem darstellt. Wir neigen dazu die Bedeutung von Kultur zu übertreiben und das sollten wir nicht."
Neue Zuwanderer verdrängen alte
Was schon gar nicht wahrgenommen werde, sei der Kampf, der zwischen den einzelnen Zuwanderer-Gruppen geführt werden wird, sagt Richard Sennett. Wenn die neuen EU-Bürger aus Ost-Europa den alten Zuwanderern die Jobs wegnehmen werden.

Großbritannien habe in den vergangenen Jahren eine hohe Zahl von philippinischen Krankenschwestern ins Land geholt. Wenn ein paar Jahre nach der Erweiterung die Arbeitsmarktschranken fallen, könnten Krankenschwestern aus Ungarn die philippinischen Krankenschwestern ersetzen, weil Ausbildungskosten wegfallen.

"Diese Art von Veränderung wird es auf dem Arbeitsmarkt geben und das ist der Grund warum wir die falsche kulturelle Sprache verwenden. Wir reden die Pim Fortuyn-Sprache, die nicht der Realität entspricht", sagt Richard Sennett in Anspielung auf den ermordeten niederländischen Rechtspopulisten Pim Fortuyn, dessen Partei mit zuwanderungsfeindlichen Parolen bei den vorletzten Parlamentswahlen großen Erfolg hatte.
Höheres Selbstbewusstsein
Das Phänomen Migration werde sich aber nicht nur für die Zielländer ändern. Auch das Selbstverständnis der Migranten sei einem Wandel unterworfen, sagt Richard Sennett:

Ein polnischer oder slowakischer Zuwanderer werde sein Fremdsein ganz anders erleben, wenn er sich in ein paar Jahren als EU-Bürger in West-Europa völlig legal und frei bewegen kann. Den Wunsch zur, aber auch die Angst vor der Assimilation wird für ihn eine viel kleinere Rolle spielen als zum Beispiel für einen türkischen Zuwanderer.

Matthias Schmelzer, Ö1-Morgenjournal
->   London School of Economics
->   Alles zum Stichwort Migration in science.ORF.at
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010