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Krieg: Folge von Dorf-Bildung und sozialer Schichtung  
  Dass Kriege so alt wie die Menschheit sind, ist zwar übertrieben: Anthropologen und Archäologen finden aber immer wieder Jahrtausende alte Zeugnisse dieser organisierten Gewalt. US-Forscher untermauerten nach Ausgrabungen in Mexiko nun die These, wonach "erst" mit der Entstehung von Dörfern die Kriege auf die Welt kamen. In diesen Gesellschaften herrschten größere soziale Unterschiede als bei ihren Vorgängern.  
Organisierte Kämpfe vor mehr als 3.000 Jahren
Bild: PNAS
Die Region von Oaxaca in Mexiko
Die ersten Dörfer entstanden im mexikanischen Oaxaca vor 4.000 bis 3.600 Jahren. Nur wenige hundert Jahre später wurden auch die ersten organisierten Kämpfe zwischen benachbarten Siedlungen ausgetragen.

Dies berichten Kent Flannery und Joyce Marcus von der Universität Michigan in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS). Sie untermauern damit die These, dass organisierte Kriege eine direkte Folge menschlicher Ansiedlungen sind.
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Die Studie ist unter dem Titel "The origin of war: New 14C dates from ancient Mexico" in den "PNAS" (Ausgabe vom 16. September 2003; doi: 10.1073/pnas.1934526100) erschienen.
->   PNAS
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Keine organisierte Gewalt in archaischer Zeit der Nomaden
In den 6.000 Jahren zuvor hatte Oaxaca nachweislich keine organisierte Gewalt erlebt. In jener "archaischen Zeitperiode" gab es nur Nomaden, die in vier- bis sechsköpfigen Familienverbänden und Gruppen von 20 bis 25 Mitgliedern jagten und nach Nahrung suchten, wie die Forscher berichten.
Zeugnisse: Lattenzäune, Stein-Bilder, Totenköpfe
 
Bild: PNAS

(b) und (c): getötete Gefangene mit ihren Hieroglyphen-Namen unter den Füßen bzw. auf der Brust (c auch sexuell verstümmelt), in Stein geritzt, gefunden in San Jose Mogote; (h) Zeichnung eines Gestells mit Schädeln, errichtet etwa vor 1960 Jahren.

Ihre Belege stammen von bekannten Ausgrabungsorten und sind winzige Überreste von Lattenzäunen und Befestigungswällen, Steine mit eingekerbten Bildern von toten und sexuell verstümmelten Gefangenen sowie Zäune und Pfosten mit Totenköpfen von Feinden.
Reichere Umgebung führt eher zu Kriegen
Bild: PNAS
Pfahllöcher im Gestein: Hinweise auf einen der ältesten Verteidigungszäune von Oaxaca,
errichtet vor etwa 3260-3160 Jahren.
Zwar wurden Kriege auch von anderen altertümlichen Gesellschaften schon dokumentiert, räumen Flannery und Marcus ein. Die neuen Daten aber stützten die Theorie, dass Gruppen ohne soziale Unterschiede eher friedlich miteinander umgingen.

Dagegen gab es in einer reicheren Umgebung mit vielen natürlichen Ressourcen und einer sozial unterteilten Gesellschaft demnach häufiger Kriege.
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Gruppen-Logik führt zu Kriegen
Kent Flannery und Joyce Marcus beziehen sich in ihrem "PNAS"-Beitrag auf die interkulturelle Studie "Warless Societies and the Origin of War" des US-Anthropologen Raymond C. Kelly. Ihr zufolge besteht in unsegmentierten Gesellschaften die geringste Kriegs-Wahrscheinlichkeit. Diese Gesellschaften bestehen aus Jägern und Sammlern mit keinem Organisationsgrad über der lokalen Gruppe und zeichnen sich durch wechselnde Familiengrößen und einer geringen Tendenz zu Abstammungs- oder Clan-Bildungen aus. Zwar kämen auch bei ihnen individuelle Morde vor, kaum aber Gruppengewalt.

Im Gegensatz dazu haben Gesellschaften, die sich etwa durch väterliche oder mütterliche Abstammungslinien in verschiedene Gruppen teilen, eine größere Kriegswahrscheinlichkeit. In ihnen herrscht laut Kelly ein Prinzip "sozialer Ersetzbarkeit": Das Töten eines Mitglieds werde als Beleidigung der gesamten Gruppe betrachtet und nicht selten mit der Tötung eines Mitglieds der "Täter-Gruppe" gerächt. Damit beginne eine Logik von "Gruppe-gegen-Gruppe", die auf einem höheren Organisationsgrad der Gesellschaft zu Kriegen eskalieren kann.
->   "Warless Societies and the Origin of War" (University of Michigan)
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Älteste Belege sind über 3.000 Jahre alt
Die ältesten Verteidigungsanlagen - vor 3.260 bis 3.160 Jahren erbaut - fand das Team in San Jose Mogote. Weitere Funde weisen darauf hin, dass solche Anlagen über einen Zeitraum von rund 1.000 Jahren in dem Tal häufiger und dabei immer effektiver und abschreckender wurden.
->   Department of Anthropology, Universität Michigan
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01.01.2010