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Forscher erkennen Krankheiten im Fruchtwasser  
  Ein Forscherteam um den österreichischen Genetiker Markus Hengstschläger hat eine Methode entwickelt, mit der sich etwa Nerven- oder Muskelerkrankungen von Embryonen durch einfache Fruchtwasseruntersuchungen vorhersagen lassen. Die Wissenschaftler entdeckten, dass sich die Zusammensetzung der Zelltypen im Fruchtwasser in Abhängigkeit eines bestimmten Krankheitsbildes ändert.  
Man schätzt, dass etwa ein Drittel der Krankheiten bereits im Mutterleib behandelbar sind. In Zukunft will man solche Tests flächendeckend zum Einsatz bringen.
Zellen erlauben Rückschlüsse auf Gesundheitszustand
Bei Risikoschwangerschaften oder fortgeschrittenem Alter raten viele Ärzte werdenden Müttern zu einer Fruchtwasseruntersuchung. Damit kann man feststellen, ob das ungeborene Kind eine Chromosomenanomalie (etwa Down-oder Turner-Syndrom) hat. Auch am Wiener AKH werden solche Fruchtwasseruntersuchungen routinemäßig durchgeführt.

Der Genetiker Markus Hengstschläger hat das Fruchtwasser zu seinem Forschungsschwerpunkt gemacht und vor einigen Wochen Stammzellen im Fruchtwasser entdeckt.

Jetzt lässt er mit einer weiteren Sensation aufhorchen: Hengstschläger hat herausgefunden, dass sich bei bestimmten Krankheiten und Behinderungen des Kindes ganz andere Zellen im Fruchtwasser befinden, als bei gesunden Föten.
->   Ethisch unbedenklich: Stammzellen aus dem Fruchtwasser (30.6.03)
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Fruchtwasseruntersuchung und genetische Defekte
Die Fruchtwasseruntersuchung erfolgt in der 15. bis 20. Schwangerschaftswoche. Der Arzt überwacht dabei via Ultraschall die genaue Lage des Kindes und entnimmt mit einer dünnen Nadel etwa 20 Milliliter Flüssigkeit aus der Fruchtblase. Das Fruchtwasser wird anschließend im Labor untersucht. Dabei wird vor allem festgestellt, ob die Maße des Kindes stimmen. Gleichzeitig wird das Fruchtwasser auf etwaige Gendefekte untersucht.

Mit steigendem Alter der werdenden Mutter ist das Risiko für Veränderungen im Erbgut erhöht. Bei der Verdoppelung der Chromosomen im Rahmen der Zellteilung kann es zu Fehlern kommen, die sich auf den Gesundheitszustand des ungeborenen Kindes auswirken. Der Embryo kann schwere Schäden in Form einer körperlichen oder geistigen Behinderung haben - eine der häufigsten ist das Down-Syndrom.
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Lexikon für Krankheiten bei Embryonen erstellt
Das Forscherteam rund um Markus Hengstschläger hat jetzt eine Art Gesundheitslexikon für Krankheiten von Embryonen erstellt. Zuerst wurde ein molekulargenetisches Verfahren entwickelt, mit dem bestimmte Genaktivitäten im Fruchtwasser gemessen werden können.

Dann haben die Forscher das Fruchtwasser von normalen Schwangerschaften, also gesunden Kindern, mit Fruchtwasser verglichen, das von Embryonen mit Fehlbildungen stammt.
Krankheiten verändern Zusammensetzung des Fruchtwassers
Das Ergebnis war verblüffend: Die Zellstrukturen im Fruchtwasser waren unterschiedlich. Bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems etwa fanden die Genetiker eine Anhäufung von Nervenzellen im Fruchtwasser.

Sobald sie übermäßig viele Muskelzellen entdeckten, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Kind mit einer Muskelerkrankung zur Welt kam. Auch Herzfehler, offener Rücken oder offene Stellen am Kopf können mit dieser Methode mit großer Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.

Hengstschläger und sein Team haben alle Zellstrukturen, die im Fruchtwasser vorkommen, genau aufgelistet. Damit können sie ziemlich genau Auskunft darüber geben, ob das ungeborene Kind gesund ist oder eine Krankheit hat.
Therapien schon im Mutterleib

Werden etwaige Krankheiten des Kindes schon während der ersten Schwangerschaftswochen erkannt, so können Therapien und/oder Operationen bereits im Mutterleib durchgeführt werden.

Hengstschläger geht davon aus, dass ein Drittel der diagnostizierten Krankheiten behandelbar sind und das Kind dann mit geringeren Schäden oder sogar gesund zur Welt kommen würde. Medikamente können zum Beispiel über die Nabelschnur verabreicht werden, auch Operationen sind bereits während der Schwangerschaft möglich.

Derzeit können nur die Genetiker im Wiener Allgemeinen Krankenhaus all diese Krankheiten und Behinderungen im Fruchtwasser feststellen. Ziel ist es, solche Tests in einigen Jahren bei Routine-Fruchtwasseruntersuchungen flächendeckend durchzuführen.

Bibiane Presenhuber, ZiB-Wissenschaft
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Markus Hengstschläger
Der Genetiker Markus Hengstschläger ist Leiter des Pränatalmedizinisch-genetischen Labors der Abteilung für Pränatale Diagnostik und Therapie der Universitätsklinik für Frauenheilkunde am AKH Wien. Hengstschläger hat zwei Bücher geschrieben, "Kranke Gene" und "Das ungeborene menschliche Leben und die moderne Biomedizin - was kann, was darf man".
->   Gastbeiträge von Markus Hengstschläger in science.ORF.at
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->   Pränatale Diagnostik und Therapie, AKH Wien
->   www.innovatives-oesterreich.at
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01.01.2010