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Extreme Frühgeburten nehmen zu  
  In Österreich kommen immer mehr extrem untergewichtige, an der Grenze zur Lebensfähigkeit befindliche Kinder zur Welt. Die Ursachen: zum einen erhöhen medizinische Fortschritte die Überlebenschancen der Frühgeborenen, zum anderen kommt es in Folge künstlicher Befruchtung immer öfter zu Mehrlings-Schwangerschaften - einem Risikofaktor für Frühgeburten.  
Plus von mehr als 50 Prozent in zehn Jahren
Während von 1992 bis 2002 die Zahl der Geburten von 95.302 auf 78.399 gesunken ist (minus 17,7 Prozent) ist im gleichen Zeitraum die Zahl der so genannten Frühchen mit einem Geburtsgewicht von unter 1.000 Gramm von 251 auf 382 um 52,2 Prozent gewachsen.
Grauzone zwischen Fehlgeburt und extremer Frühgeburt
"Wir sind in eine Grauzone vorgestoßen, in der die Grenze zwischen Fehlgeburt und extremer Frühgeburt verschwimmt", erklärte der Geburtshelfer Heinrich Salzer vom Wiener Wilhelminenspital anlässlich eines Symposiums zum Thema "Das extrem kleine Neugeborene", das am Samstag (20. 9.) in Wien stattfindet.
Ursachen: medizinische Fortschritte ...
Dass die Zahl der sehr kleinen Frühgeburten so stark zunimmt, führte der Vorstand der Gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung im Gespräch mit der APA einerseits auf die extremen Fortschritte der Medizin bei der Behandlung der Frühchen zurück.

Vor einigen Jahren galt noch ein Geburtsgewicht von mindestens 1.000 Gramm als Eintrittskarte in das Leben, heute haben selbst Kinder unter 400 Gramm Überlebenschancen.
... und mehr Mehrlings-Schwangerschaften
 
Grafik: APA, Quelle: Statistik Austria/APA

Andererseits gebe es durch die künstliche Befruchtung deutlich mehr Mehrlings-Schwangerschaften, die wiederum einen hoher Risikofaktor für eine Frühgeburt und ein sehr niedriges Geburtsgewicht darstellen.
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Frühchen: Die Frühstarter ins Leben
Im Durchschnitt wiegt ein Neugeborenes in Österreich 3.313 Gramm. Per gesetzlicher Definition ist jedes Kind unter 2.500 Gramm eine Frühgeburt, für die medizinische Praxis ist diese Grenze allerdings irrelevant. Für die Mediziner gilt im Allgemeinen ein Kind mit weniger als 1.500 Gramm als Frühgeburt.

Vor 1980 hatten Frühchen unter 1.000 Gramm kaum Überlebenschancen. Mittlerweile überleben 400 Gramm schwere Winzlinge, die in der 24. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen. Risikofaktoren für eine Frühgeburt sind Unterleibsinfektionen, Gebärmutterfehlbildungen, Muttermundschwäche, Mangelentwicklungen des Fötus sowie Mehrlings-Schwangerschaften, deren Zahl in den letzten Jahren durch die In-Vitro-Fertilisation stark zugenommen hat.
->   Mehr über Frühgeburten (medicine worldwide)
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"Frühstart" führt oft zu Beeinträchtigungen
"Doch viele Kinder bezahlen ihren Frühstart ins Leben mit dem hohen Preis einer Behinderung oder späteren Beeinträchtigung", sagte Lischka. Die Frühchen haben vielfach Probleme durch unreife Organe, etwa Lunge, Leber oder Auge. Es kann zu Blutungen im Gehirn oder im Magen-Darm-Trakt kommen. Dauerhafte körperliche und geistige Behinderungen können die Folge sein.
Körperliche und geistige Behandlung nötig
So zeigten Nachuntersuchungen von extrem kleinen Frühchen (Geburtsgewicht unter 1.500 Gramm) an der Kinderklinik Glanzing, dass rund 40 Prozent in den ersten 24 Monaten physiotherapeutische Behandlung benötigten. Bei 85 Prozent war zusätzlich Ergotherapie wegen einer deutlichen Schwäche im Bereich der Koordination und Feinmotorik notwendig.

In einer weiteren Studie wurde bei Frühgeborenen unter 1.500 Gramm bis zum dritten Lebensjahr meist eine gegenüber der Altersnorm verzögerte geistige Entwicklung festgestellt, beispielsweise im Sprachbereich. In weiterer Folge kann es auf Grund solcher Defizite im Schulalter zu Teilleistungsstörungen kommen.
Schweiz: Keine intensivmedizinische Behandlung ...
In der Schweiz hat man sich auf Grund dieser hohen Chance auf Beeinträchtigung extremer Frühchen im Vorjahr zu einem radikalen Schritt entschlossen: Kinder, die vor der 24. Schwangerschaftswoche auf die Welt kommen, sollen nicht mehr intensivmedizinisch behandelt werden.
->   Schweiz: Keine Intensiv-Betreuung für "Frühchen" (1.8.02)
... kein Vorbild für Österreich
Bei ihnen beschränkt man sich auf palliative Maßnahmen wie die Verabreichung von Morphium zur Schmerzlinderung. "Eine solche Entwicklung gibt es in Österreich nicht", betonte Salzer. "Wir sind durch unseren Eid verpflichtet, jedem lebensfähigen Kind eine optimale Therapie zur Verfügung zu stellen und nach bestem Wissen zu behandeln."
Dennoch extreme Gratwanderung
Jeder einzelne Fall in der Grauzone zwischen Frühgeburt und Abortus werde von Geburtshelfern, Neonatologen und Eltern gemeinsam beurteilt. Dabei geht es darum, die Chancen des Kindes ehrlich und objektiv darzustellen. Dennoch gebe es immer wieder Fälle, die für Ärzte, aber auch die Eltern eine "extreme Gratwanderung" darstellen.

"Als Ärzte stehen dabei vor der Entscheidung Leben zu retten oder unnötiges Leid zu ersparen", so Salzer.
Vorrangig: Vermeidung der Frühgeburten
Dessen vorrangiges Ziel ist es, eine Frühgeburt zu vermeiden. Dazu müssten Komplikationen wie drohende vorzeitige Wehentätigkeit, Infektionen oder Mangelentwicklungen möglichst früh erkannt werden.

So sind beispielsweise Unterleibsinfektionen während der Schwangerschaft eine große Gefahr für die Gesundheit des ungeborenen Kindes. Eine Studie an der Wiener Uni-Klinik für Frauenheilkunde hat erst vor kurzem gezeigt, dass durch ein konsequentes Infektions-Screening die Zahl der Frühgeburten bzw. Spät-Aborten um rund die Hälfte gesenkt werden kann.
->   Wilhelminenspital
->   Mehr zum Thema "Frühgeburten" in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010