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Genauso panisch: Menschen und Mäuse  
  Wenn bei großen Menschenansammlungen Panik ausbricht, kann das verheerende Folgen haben - speziell, wenn es nur wenige Fluchtmöglichkeiten gibt. Welche Mechanismen dabei genau ablaufen, ist schwierig zu untersuchen. Ein Forscherteam hat nun das Panik-Verhalten von Mäusen untersucht - und erstaunliche Parallelen mit jenem der Menschen gefunden.  
Bei den Studien der Wissenschaftler um Caesar Saloma von der University of the Philippines ging es um den Zusammenhang von Panik-erfüllten Gruppen und der Architektur, die sie umgibt.

Sie hoffen, dass ihre Ergebnisse zu mehr Sicherheit in öffentlichen Räumen führen wird, wie sie in der aktuellen Ausgabe der "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) schreiben.
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Die Studie ist unter dem Titel "Self-organized queueing and scale-free behavior in real escape panic" in den "PNAS" (Ausgabe vom 23. September 2003; sobald online, DOI: 10.1073/pnas.2031912100) erschienen.
->   PNAS
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Schwieriger Untersuchungsgegenstand
Zum einen ist Massenpanik von der Wissenschaft nicht leicht zu untersuchen, da die entsprechenden Versuchsanordnungen nicht künstlich hergestellt werden können.

Zum anderen kommt sie aber doch immer wieder vor: bei Bränden in Diskotheken, nach Auseinandersetzungen im Fußballstadion - kurz überall da, wo große Menschenmengen durch vergleichsweise wenige Türen oder Tore von der Außenwelt abgetrennt sind.
60 Mäuse mit Wasser-Panik
Caesar Saloma und sein Forscherteam haben das Verhalten panischer Mäuse nun genauestens untersucht. Dabei setzten sie 60 Nager in einen mit Wasser gefüllten Pool, der mit einer trockenen Plattform verbunden war.

Als Fluchtmöglichkeiten dienten Tore, die sich in den verschiedenen Versuchsphasen in Größe und Abstand voneinander unterschieden. Die Anzahl der Mäuse blieb immer gleich - sobald eine Maus flüchten konnte, wurde eine weitere in den Pool gesetzt -, um das Panik-Niveau aufrechtzuerhalten.
Am effektivsten: Ausgänge so groß wie eine Maus
Das Ergebnis: am wirkungsvollsten gelang die Flucht, wenn die Ausgänge genau so groß waren, dass nur eine einzige Maus durchpasste - dann stellten sich die Tiere selbstorganisiert in einer Reihe an.

Sobald die Ausgänge vergrößert wurden, kam es zu einem wilden Durcheinander: die Tiere kämpften miteinander, um schneller in Sicherheit zu gelangen, und verminderten dadurch die Gesamt-Fluchtrate.
Kontraproduktiv: Zu nahe aneinander liegende Türen
Als ebenso kontraproduktiv erwiesen sich Ausgänge, die zu nahe aneinander lagen. Sobald sich nämlich die Halbkreise der um die Tore drängelnden Mäuse überschnitten, sank die Fluchtgeschwindigkeit.

Der Schluss der Forscher: Es reicht bei der Planung neuer Gebäude nicht aus, mehr oder größere Türen einzubauen - diese können im Notfall den Gegenteil des gewünschten Effektes haben.
Ähnlichkeiten zwischen Mäusen und Mensch-Simulationen
Die Ergebnisse ihrer Mausversuche verglichen die Forscher dann mit mathematischen Modellen, die das Verhalten von Fußgängern in Panik-Situationen berechnen: sie waren einander sehr ähnlich.

In beiden Fällen bildeten sich Halbbögen rund um die Ausgänge, kam es zu stark schwankenden Mengen an Flüchtenden, oft bildeten sich auch selbst-organisierte Warteschlangen.
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Die Forscher hoffen, dass auf Basis ihrer Vergleichsstudien Maßnahmen getroffen werden, die die Sicherheit öffentlicher Räume erhöhen.
->   Simulierte Panik macht Neubauten sicherer (26.10.01)
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Vielzahl von Computer-Modellen
In den vergangenen Jahren sind bereits eine Vielzahl von Computer-Modellen entwickelt worden, die das Panikverhalten von Menschen simulieren. Dirk Helbing, Institutschef für Wirtschaft und Verkehr an der Technischen Universität (TU) Dresden, etwa veröffentlichte im Jahr 2000 eine Studie zu dem Thema in "Nature".

"Normalerweise organisiert sich eine Menschenmenge selbst: Die Bahnen dieser sich bewegenden Ströme brechen aber zusammen, wenn es zu einem unvorhergesehenen Ereignis kommt", fasste Helbing seine Forschungen im Frühjahr 2003 zusammen.
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Die Studie ist unter dem Titel "Simulating dynamical features of escape panic" in "Nature" (Bd. 407, S 487 - 490, doi:10.1038/35035023) erschienen.
->   Nature
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Säulen als Wellenbrecher vor Ausgängen
Einer der praktischen Vorschläge, welche die Sicherheit erhöhen sollen: Säulen vor Ausgängen, die als eine Art "Wellenbrecher" fungieren. Die fliehende Masse teilt sich vor ihnen, um durch die Tore dahinter "flüssig" den Raum zu verlassen.

"Aber solche Einbauten sind immer von der erwarteten Menge abhängig", fügte Helbing an. Unter Umständen können 50 Menschen bei räumlichen Engpässen tonnenschweren Druck durch Gedrängel ausüben.
Herdeneffekt behindert Gesamt-Flucht
Ein anderes Phänomen sei der "Herdeneffekt": Oft werden bei Fluchten nicht alle zugänglichen Ausgänge genutzt. Dafür verkeilen sich die Fliehenden an den anderen Türen. "Das führt zu einem "Schneller-ist-langsamer-Effekt"", sagte Helbing.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at
->   Caesar Saloma, University of the Philippines
->   National Institute of the Physics, University of the Philippines
->   Institut für Wirtschaft und Verkehr, TU Dresden
->   Physics of transport and traffic (Uni Duisburg)
->   Tipps zum Verhalten bei Massenpanik
 
 
 
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01.01.2010