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Mädchen und Buben: Gleich wichtig  
  Die modernen Reproduktionstechnologien helfen dem Schicksal immer öfter nach. Zwar verboten, aber technisch möglich: die Wahl des Geschlechts der neuen Erdenbürger vor der künstlichen Befruchtung. Die Ängste vor den Auswirkungen dieser und ähnlicher Selektionen sind groß. Ob sich die Eltern im hypothetischen Fall eher für Buben oder eher für Mädchen entscheiden würden, hat nun eine britisch-deutsche Studie untersucht. Die Conclusio: in der Geschlechter-Balance würde alles beim Alten bleiben.  
Unterschiede zwischen Deutschen und Briten
Bei Umfragen unter mehr als 1.000 Männern und Frauen drückten die Engländer eher den Wunsch nach einem bestimmten Geschlecht ihrer Kinder aus, die Deutschen machten tendenziell keinen Unterschied.

Insgesamt zeigten sich die Briten eher von der Idee angetan, das Geschlecht ihrer Kinder mit Hilfe der neuen Reproduktionstechnologien zu wählen.
Die Studien
Die beiden Studien sind unter den Titeln "Preconception sex selection for non-medical reasons: a representative survey from Germany" bzw. "... a representative survey from the United Kingdom" in "Human Reproduction" (Bd. 18., S. 2231 bzw. 2238, Ausgabe vom 25. September 2003) erschienen.
->   Human Reproduction
Moralische, rechtliche und soziale Probleme
Der deutsche Bioethiker Edgar Dahl vom Zentrum für Dermatologie der Uni Giessen fasste die Problematik in einer Aussendung der "European Society for Human Reproduction and Embryology" (ESHRE) zusammen: die freie Geschlechter-Wahl aus nicht-medizinischen Gründen führe zu einer Reihe moralischer, rechtlicher und sozialer Probleme.

Eine der Annahmen sei es, dass dadurch die "natürliche Geschlechterverteilung" durcheinander kommen könnte - und Eltern vor allem ein Geschlecht bevorzugen würden. Um dies zu untersuchen, ließ eine Forschergruppe um Dahl in Telefon-Interviews mehr als 1.000 Männer und Frauen in Großbritannien bzw. Deutschland befragen.
Deutschland: 58 Prozent ist Geschlecht gleichgültig
Die Resultate in Deutschland: 58 Prozent gaben an, dass ihnen das Geschlecht ihrer Kinder gleichgültig sei. 30 Prozent wollten eine gleiche Anzahl von Mädchen und Buben in ihrer Familie.

Vier Prozent wollten mehr Buben als Mädchen, drei Prozent mehr Mädchen als Buben, jeweils ein Prozent plädierten für "nur" Buben oder "nur" Mädchen. Bei den Erstgeborenen plädierten 14,2 Prozent für Buben und 10,2 Prozent für Mädchen, dementsprechend hatten über drei Viertel keine Präferenzen, was deren Geschlecht betrifft.
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Auch einfache Technik weckt Wunsch nach Auswahl nicht
Der konkrete Vorgang künstlicher Befruchtung ist alles andere als ein Kinderspiel. Interessant ist, dass die Befragten selbst in der hypothetischen Situation einer ganz einfachen Technik ("Schlucken Sie eine blaue Pille für einen Buben, eine rote für ein Mädchen") 90 Prozent kein Interesse daran hatten.
->   Möglichkeiten und Grenzen der Reproduktionsmedizin (1.7.02)
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England: 68 Prozent wollen gleich viele Buben und Mädchen
Die Ergebnisse in Großbritannien: 16 Prozent gaben an, dass ihnen das Geschlecht ihrer Kinder gleichgültig sei, 68 Prozent wollten eine gleiche Anzahl an Buben und Mädchen. Sechs Prozent plädierten für mehr Buben als Mädchen, vier Prozent für mehr Mädchen als Buben, vier Prozent bzw. drei Prozent für "nur" Buben bzw. "nur" Mädchen.

Immerhin 16 Prozent hätten als Erstgeborenen lieber einen Sohn, zehn Prozent eine Tochter, den restlichen 74 Prozent war dies gleichgültig. Und: Mehr als ein Fünftel gab an, im Falle eines maximal fünfteiligen Zyklus von künstlicher Befruchtung sich für die Wahl des Geschlechts zu entscheiden.
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Geschlecht: Eine soziale Konstruktion
In einem begleitenden Kommentar ruft Karen Lebacqz, feministische Bioethikern an der Pacific School of Religion in Berkeley, Kalifornien, die aus den Sozialwissenschaften bekannte Unterscheidung von "sex" und "gender" in Erinnerung - ersteres als das biologische Geschlecht, zweiteres das gesellschaftlich konstruierte. "Warum fürchten wir uns vor einem unausgewogenen Verhältnis der Geschlechter?", fragt sie. In vielen Gesellschaften gebe es interessante Adaptations-Mechanismen, wenn es zu einem Überhang eines (biologischen) Geschlechts kommt: etwa die Erlaubnis der Polygamie oder das Erziehen ein männliches Kindes zu einem Mädchen. An einer derartigen Nicht-Balance sei prinzipiell nichts Falsches - warum aber ist es dennoch so ein Thema?

Dies habe damit zu tun, dass mit der Ungleichheit der Geschlechterverteilung auch eine solche der sozialen Macht imaginiert werde. Würden etwa 95 Prozent der Bevölkerung, lieber ein Mädchen als einen Buben zu bekommen, würde es wohl öffentlichen Protest geben - aber nicht wegen der Unausgewogenheit der Geschlechterverteilung, sondern wegen der Angst, dass "Frauen die Weltherrschaft übernehmen könnten", so Lebacqz.
->   Karen Lebacqz, Pacific School of Religion
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Kein Überhang eines Geschlechts
Die Unterschiede zwischen Deutschen und Briten in dieser Hinsicht sind also klar: Letztere sind eher von den Segen der Reproduktionstechnologien angetan als erstere. Zwar entscheiden sie sich lieber für ein bestimmtes Geschlecht (eher zugunsten der Buben), ihr ausgeprägter Wunsch nach einer "ausbalancierten" Familie würde aber ebenso wie bei den Deutschen keinen Überhang eines Geschlechts ergeben.
Keine Unterschiede zwischen Vätern und Müttern
Nach Auskunft des Forscherteams um Edgar Dahl gibt es keinen signifikanten Unterschied in der Einstellung von potenziellen Vätern und Müttern - auch wenn diese jeweils leicht ihr eigenes Geschlecht bevorzugen.

"Fast sieht es so aus, als ob die Paare ein Geschäft machen: 'OK - wir bekommen zwei Kinder - einen Buben für dich und ein Mädchen für mich'", so Dahl.
->   ESHRE
->   Zentrum für Dermatologie, Uni Giessen
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Erstes Designer-Baby in England geboren - zur Lebensrettung (20.6.03)
->   "Designer-Babys": Wer soll über Leben entscheiden? (Gastkommentar Markus Hengstschläger 26.2.02)
->   Designerbabys" und "Kinder nach Maß" (Gastkommentar Markus Hengstschläger, 23.11.01)
 
 
 
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01.01.2010