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Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Medizin und Gesundheit 
 
Substanz in rotem Fleisch als mögliche Krankheitsursache  
  Der bekannte Ausspruch "Du bist, was du isst" bekommt nach Ergebnissen einer aktuellen Studie einen neuen - und eventuell bitteren - Beigeschmack. Wie amerikanische Forscher herausfanden, nimmt der menschliche Stoffwechsel nach dem Verzehr von rotem Fleisch gewisse körperfremde Moleküle auf und lagert diese in verschiedenen Geweben ab. Das könnte unerwünschte Immunreaktionen nach sich ziehen - Zusammenhänge mit verschiedenen Krankheiten werden nicht ausgeschlossen.  
Wie Ajit Varki und seine Mitarbeiter von der University of California ausführen, wurde das Molekül "Neu5Gc" z.B. in menschlichen Krebsgeweben nachgewiesen. Die nun vorgestellte Studie stellt auch insofern ein Kuriosum dar, als die Autoren ihre Ergebnisse z.T. aufgrund ungewöhnlicher Selbstversuche gewonnen haben.
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Die Studie "Human uptake and incorporation of an immunogenic
nonhuman dietary sialic acid" von Pam Tangvoranuntakul, Pascal Gagneux, Sandra Diaz, Muriel Bardor, Nissi Varki, Ajit Varki und Elaine Muchmore erschien als "Online Early Edition" auf der Website der Zeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (DOI:10.1073_pnas.2131556100).
->   PNAS
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Fleisch im Übermaß ist ungesund
Dass der übermäßige Genuss von rotem Fleisch der Gesundheit nicht unbedingt zuträglich ist, weiß man schon relativ lange.

Als die hauptsächlichen "Übeltäter" unter den Inhaltsstoffen hatte man bisher vor allem die gesättigten Fettsäuren im Visier - sowie jene Substanzen, die infolge des Kochvorgangs bzw. der Haltbarmachung von Fleisch entstehen.

So wurde beispielsweise ein Zusammenhang zwischen N-Nitroso-Verbindungen und erhöhtem Krebsrisiko hergestellt. Das Auftreten typischer Wohlstandskrankheiten (Bluthochdruck, Arteriosklerose, Übergewicht etc.) wird - neben anderen Ursachen - ebenfalls mit übermäßigem Fleischkonsum in Zusammenhang gebracht.
->   Fleischverzehr erhöht Krebs-Risiko
Verdächtige Substanz: "Neu5Gc"
Eine kürzlich erschienene Studie lenkt nun die allgemeine Aufmerksamkeit auf eine andere Substanz, die im roten Fleisch vorkommt. Hierbei handelt es sich um das Molekül "Neu5Gc" (von "N-Glycolylneuraminsäure"), das an der Membranoberfläche von gewissen Zellen zu finden ist.

Dieses Molekül kommt allerdings nur im Gewebe von nicht-menschlichen Säugern vor - also etwa Rind, Schwein und Schaf, deren Muskelsubstanz im Küchenlatein als "rotes Fleisch" bezeichnet wird.

Wie Ajit Varki und seine Kollegen nun nachweisen konnten, geht "Neu5Gc" auf eine gar wundersame Reise durch den Körper, wenn es zuvor mit der Nahrung aufgenommen wurde.
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Alle Säuger haben es - nur der Mensch nicht
Der Mensch kann dieses Molekül - etwa auch im Gegensatz zu Schimpansen - nicht herstellen, weil das dafür notwendige Enzym im menschlichen Erbgut mutiert ist. In Fisch, Geflügel, Eiern, Gemüse und Obst kann die Substanz gar nicht oder nur in sehr geringen Mengen nachgewiesen werden.
->   Mehr zu Neu5Gc bei archaeologie-online.de
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Molekül in Krebsgeweben nachgewiesen
Zunächst stellten zwei Co-Autoren der Studie, Pam Tangvoranuntakul und Pascal Gagneux, fest, dass sich im Blut von Testpersonen Antikörper fanden, die selektiv an "Neu5Gc" binden konnten - es musste also eine Immunreaktion gegen dieses Molekül stattgefunden haben.

Außerdem wies Tangvoranuntakul dieses Molekül auch in menschlichen Krebsgeweben nach. Später entdeckte sie, dass es in geringen Mengen auch in gesunden Geweben - wie etwa Blutgefäßen oder Schleimhautzellen - vorkommt.
Substanz via Fleischkonsum in Geweben gelagert?
Diese Ergebnisse brachten die Arbeitsgruppe auf die Idee, dass "Neu5Gc" im Rahmen der Verdauung - irgendwie - in die Körpergewebe aufgenommen werden könnte. Diese Hypothese wurde auch dadurch bestärkt, als menschliche Zellen im Reagenzglas das fremde Molekül ohne Probleme in ihre Membran integrierten.
Ungewöhnlicher Selbstversuch
Um die Hypothese im Experiment zu testen, bot sich daher der Konsum einer hohen Dosis von "Neu5Gc"an. Da die Wissenschaftler keine gesundheitsgefährdeten Nebenwirkungen ausschließen konnten, entschieden sich drei der Autoren für einen Selbstversuch - in der Welt der Forschung ein äußerst unübliches Mittel des Erkenntnisgewinns.
"Neu5Gc" in Körperflüssigkeiten nachgewiesen
Varki, Gagneux und der Co-Autorin Muriel Muchmore tranken aus Schweinefleisch gewonnenes Konzentrat der Testsubstanz und untersuchten dann den "Neu5Gc"-Gehalt in Urin, Blut, Serum, Haaren und Speichel.

Zwei bis drei Tage nach dem Versuch war das Molekül zwar in geringen Mengen - aber doch nachweisbar:

"Es ist vorstellbar, dass die über die Lebensspanne kontinuierliche Aufnahme von Neu5Gc in Körperzellen zu einer Immunreaktion führen kann, die wiederum im Zusammen mit Entzündungsprozessen verschiedener Krankheiten steht", folgert Ajit Varki.
Ursache von Krankheiten? Spekulativ, aber möglich
Die Autoren betonen allerdings, dass eine direkte Verknüpfung von "Neu5Gc" und konkreten Krankheiten noch zu spekulativ sei. Dafür seien großangelegte Studien mit weitaus mehr Testpersonen notwendig.

Doch zumindest hat diese Studie die Aufmerksamkeit auf den Umstand gelenkt, dass Immunsystem und Krankheiten durch inkorporierte Fremdsubstanzen beeinflusst werden können.
->   Homepage Ajit Varki (Univ. Calif.)
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01.01.2010