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Irak-Krieg: Berichterstattung kritisch durchleuchtet  
  Der Krieg im Irak ist offiziell seit Anfang Mai vorbei, von Frieden kann bislang allerdings nicht gesprochen werden. Die Politik der USA und ihrer Verbündeten war und ist umstritten - nicht zuletzt auch die Rolle der Medien bei dem Konflikt. Britische Medienwissenschaftler haben nun das Verhalten der TV-Sender während des Kriegs untersucht - und kommen zu sehr gemischten Resultaten.  
Einerseits hätten sich die beteiligten Journalisten tendenziell ihre Objektivität bewahren können, andererseits habe es genug Beispiele "regierungsfreundlicher" und unhinterfragter Nachrichten gegeben.

Die Studie wurde für die BBC von Medienwissenschaftler Justin Lewis und seinem Team der "School of Journalism, Media and Cultural Studies" der Universität Cardiff durchgeführt.
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Die Untersuchung
Für die Studie wurden 37 Schlüsselfiguren des Prozesses befragt: Reporter, Redakteure, Nachrichtenchefs sowie Verantwortliche des amerikanischen Verteidigungsministeriums Pentagon. Zusätzlich wurde die TV- und Radio-Berichterstattung in den USA und Großbritannien sowie vom arabischen News-Sender Al Jazeera analysiert und miteinander verglichen. Eine Reihe von Fokusgruppen untersuchte schließlich die Meinung der Öffentlichkeit über die Berichterstattung.
->   School of Journalism, Media and Cultural Studies
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Analyse der "embedded journalists"
Hauptaugenmerk legten die Forscher auf die Rolle der so genannten "embedded journalists" - die "eingebetteten Journalisten", die im Irak-Krieg als semantische Neuschöpfung das Licht der Medienwelt erblickten.

Mit dem neuen Konzept der Integration von Journalisten in Truppenteile, die ihnen Schutz gewähren sollen, versuchte das Pentagon Offenheit und Transparenz zu demonstrieren.
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Ins Militär "eingebettet"
Rund 500 Journalisten, im Militärjargon kurz "embeds" genannt, bewegten sich mit US- und britischen Truppen und konnten unter Einhaltung gewisser Zensurvorschriften direkt von den Kampfhandlungen berichten.
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Zwar keine plumpen Manipulationen ...
Der Schluss der Forscher: Auf der einen Seite gebe es keine Beweise für plumpe Manipulationen der Journalisten durch das Militär. Zwar berichteten einige von ihnen von direkten Zensurversuchen, doch sei es generell gelungen, die Objektivität ihrer Berichte zu bewahren. Zudem seien diese Berichte vertrauenswürdiger gewesen als jene, die sich durch die offiziellen Presse-Briefings der Militärs ergeben haben.

Auf der anderen Seite gebe es doch eine Reihe bedenklicher Effekte: So sei es den "Embeds" nicht möglich gewesen, die grimmigen und blutigen Seiten des Kriegs zu vermitteln - sie vermieden Bilder, die sie als zu gewaltvoll für die TV-Zuseher einschätzten.
... aber Eindruck von Kriegsfilm statt Krieg
Ein Resultat daraus sei das Gefühl vieler Zuschauer gewesen, dass es sich bei den Berichten von der Front eher um einen "Kriegsfilm" handelte als um Nachrichten aus der Wirklichkeit. Viele von ihnen wollten weniger "Live-Berichterstattung" und mehr Hintergrundinformationen - speziell was die Haltung und Reaktionen der Iraker betrifft.
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Einbettung als (einziges) System der Zukunft?
Sowohl die Journalisten als auch die Zuseher hätten die Wichtigkeit unabhängiger Nachrichten während des Krieges betont, unter den professionellen Medienarbeitern bestehe aber die Angst, dass das US Militär das System der Einbettung in Zukunft als die einzige sichere Option für ihre Arbeit anbieten wird - eine Befürchtung, die durch die Interviews mit den Pentagon-Verantwortlichen genährt wurde.
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Auch BBC "kriegsfreundlich"
Ebenfalls untersucht wurde die Frage, inwieweit der Gesamteindruck der Berichterstattung eher kriegsfreundlich oder -kritisch war - speziell der BBC wurde im Umfeld der "Affäre David Kelly" ein eher regierungskritischer Kurs nachgesagt.

Die BBC entpuppte sich allerdings - so zumindest der Schluss der Forscher - wie die meisten anderen TV-Stationen als tendenziell "kriegsfreundlich". Am wenigsten für den Krieg war nach Angaben der Forscher der britische Channel 4.

Insgesamt hätten britische TV-Stationen bei weitem neutraler über den Krieg berichtet als ihre amerikanischen Kollegen, bei denen die Pro-Kriegs-Stimmung "offenkundig" gewesen sei.
Anchormen unkritischer als Live-Reporter
Nichtsdestotrotz habe bei einigen Schlüsselthemen auch in Großbritannien die Tendenz des Gleichklanges mit offiziellen Regierungspositionen bestanden. So seien 90 Prozent aller Berichte über Massenvernichtungswaffen davon ausgegangen, dass sie der Irak auch tatsächlich besitzt.

Und auch der Grad des Enthusiasmus der Iraker über die alliierten Invasoren sei in vielen Fällen übertrieben dargestellt worden - und zwar stärker von den "Anchormen" in den Studios als von den Reportern vor Ort.
Falschmeldungen und Informationsquellen
Eine weitere wichtige Frage der Berichterstattung zu Kriegszeiten betrifft die militärischen Informationsquellen und Falschmeldungen. Die Forscher untersuchten vier Fälle solcher Falschmeldungen - darunter eine irakische Attacke auf Kuwait mittels Scud-Raketen: in der Hälfte aller Berichte über den vermeintlichen Anschlag wurden keine Quellen angegeben, nur in zehn Prozent aller Fälle wurden sie in Zweifel gezogen.
->   Universität Cardiff
->   Mehr zum Thema Irak in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010