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Atome "schütteln" sich von fest zu flüssig  
  Der Übergang von fest zu flüssig ist hinreichend dokumentiert - zumindest, was den Ausgangszustand sowie das Endprodukt angeht. US-Forscher haben nun erstmals am Beispiel schmelzenden Aluminiums untersucht, wie der Prozess im Detail aussieht. Ihre Aufnahmen, in minimalsten Zeitabständen gewonnen, zeigen, wie sich die Atome des Metalls gleichsam "flüssig schütteln".  
Der Schmelzprozess gilt als eine der einfachsten strukturellen Veränderungen von Materie. Um allerdings die Atome dabei in Echtzeit zu beobachten, braucht es ausgefeilte Techniken. Gelungen ist dies nun einem kanadischen Forscherteam um R. J. Dwayne Miller von der University of Toronto.
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Der Artikel "An Atomic-Level View of Melting Using Femtosecond Electron Diffraction" von R. J. Dwayne Miller und Kollegen ist die aktuelle Covergeschichte des Wissenschaftsmagazins "Science", Bd. 302, Seiten 1382-1385, vom 21. November 2003.
->   Der Originalartikel in "Science" (kostenpflichtig)
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Lange Zeit zu schnell für Beobachtungen

Die atomare Struktur von Materialien kann man heutzutage recht gut untersuchen - mittels so genannter Diffraktionsexperimente. Doch bis vor kurzem konnten auf diese Weise lediglich statische Strukturen - beispielsweise die Anordung der Atome eines Stoffes in festem oder flüssigem Zustand - beobachtet werden.

Davon waren beispielsweise auch die extrem schnell verlaufenden Übergänge in chemischen Reaktionen betroffen. Nur der Anfangszustand sowie das Ergebnis der Reaktionen konnte erfasst werden.

Der Grund: Um die Veränderungen, die der Lösung oder Formierung chemischer Bindungen zugrunde liegen, direkt zu beobachten, braucht es eine immense zeitliche Auflösung. Schließlich vollziehen sich solche Übergänge im Bereich von Femtosekunden.
Wie eine Sekunde zu 32 Millionen Jahren
Eine Femtosekunde aber ist gerade einmal 10 hoch minus 15 Sekunden lang, oder 0,000000000000001 Sekunden. Um es zu verdeutlichen, könnte man auch sagen: Eine Femtosekunde verhält sich zur Sekunde so, wie eine Sekunde im Verhältnis zu 32 Millionen Jahren.
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Nobelpreis für Forschungen im Bereich der Femtochemie
1999 wurde für Forschungen auf diesem Gebiet der Nobelpreis für Chemie verliehen - Ahmed H. Zewail vom California Institute of Technology (CIT) war der Preisträger, der mithilfe der so genannten Femtosekundenspektroskopie die Bewegung von Atomen während chemischer Reaktionen beobachtet hatte. Sein Hilfsmittel: Ultrakurze Laserblitze. Auf seinen Forschungen bauen auch die Arbeiten der kanadischen Wissenschaftler auf.
->   Mehr zum Chemie-Nobelpreis 1999 in www.nobel.se (pdf)
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Mit Laser und "Elektronen-Kanone" im Vakuum
Eine herkömmliche Kamera kann bei dieser Geschwindigkeit nicht mithalten. Das kanadische Forscherteam konstruierte also ein spezielles System. Die Zutaten: ein Laser, eine von ihnen entwickelte "Elektronen-Kanone" sowie eine Vakuum-Kammer.

Ihr Untersuchungsgegenstand der Wahl war ein Leichtgewicht unter den Metallen, das Aluminium.
"Diffraktionsmuster" zeigt die atomare Struktur
Das dahinter liegende System funktioniert folgendermaßen: Die "Kanone" schickt einen Elektronenstrahl aus, der - beim Auftreffen auf das Material - zerstreut wird. Das resultierende "Diffraktionsmuster" zeigt die atomare Struktur des jeweiligen Untersuchungsobjektes, in diesem Fall des Aluminiums.

Der Laser wiederum wird verwendet, um das Aluminium zu erhitzen bzw. zu schmelzen. Verschiedene Elektronenpulse könn(t)en währenddessen die gewünschten Aufnahmen liefern. Das ganze muss allerdings äußerst rasant vonstatten gehen.

Das Problem bisher: Elektronen lassen sich, da sie zu den elektrisch geladenen Teilchen gehören und sich gegenseitig abstoßen, nicht wirklich leicht in genügender Anzahl in einen ultrakurzen Puls quetschen, erläutert der deutsche Physiker Dietrich von der Linde in einem Begleitartikel in "Science".
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Elektronen kontra Röntgenstrahl
Diffraktionsexperimente sind im Übrigen auch mit Röntgenstrahlen möglich. Der Wiener Physiker Ferenc Krausz etwa hat mit seinem Team bereits einen Röntgenpuls von der Dauer unter einer Femtosekunde erzeugt. Doch wie Dietrich von der Linde erläutert, bieten gerade die Elektronen einen Vorteil bei der Erkundung atomarer Strukturen: Sie werden sehr viel effizienter gestreut als Röntgenstrahlen.

Der Artikel "A Picosecond View of Melting" von Dietrich von der Linde, Institut für Laser und Plasmaphysik der Universität Essen, ist in derselben Ausgabe des Fachmagazins erschienen.
->   Der Artikel in "Science" (kostenpflichtig)
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Elektronenpulse im Femtosekunden-Abstand
Die speziell konstruierte Elektronenkanone, die die Forscher verwendeten, hat das Problem nun offenbar gelöst, wie die Ergebnisse des Teams beweisen:

Mit mehreren Elektronenpulsen im Abstand von wenigen hundert Femtosekunden gelang es den Forschern, den Wechsel von fest zu flüssig beim Schmelzen des Aluminiums in verschiedenen Stadien zu beobachten.
Aluminium-Atome schütteln sich flüssig
Ergebnis ihrer Arbeit war eine Reihe von Aufnahmen, die - zusammengesetzt - einen "Film" des beobachteten Schmelzprozesses zeigten. Der Feststoff habe sich buchstäblich auseinander geschüttelt, beschreiben die Forscher den Vorgang in einer Aussendung.

Die Atome begannen demach zunächst heftig zu vibrieren und kollabierten schließlich vom zuvor geordneten Zustand eines Festkörpers in den ungeordneten einer Flüssigkeit, erläutert Dietrich von der Linde den Vorgang.

Ein Prozess, der insgesamt lediglich 3,5 Pikosekunden (eine Pikosekunde entspricht 10 hoch minus 12 Sekunden) benötigte.
Vom geordneten zum ungeordneten Zustand
 
Bilder: B. J. Siwick

Die Bilder zeigen die Anordnung von Atomen in einem dünnen Stück Aluminium, das durch einen intensiven und ultrakurzen Laserpuls erhitzt wird. Die Atome beginnen sich zu bewegen, das Metall schmilzt.

Die neue Technik kann nach Angaben der Forscher in Zukunft auch verwendet werden, um "atomare Filme" anderer Prozesse wie etwa chemischer Reaktionen zu erstellen.

"Chemiker denken an Reaktionen in Form von Atomen, die sich bewegen, während Bindungen gelöst und geformt werden", kommentiert Jason Dwyer die Forschungen seines Teams. "Es ist einer der Träume der Chemie, dies wirklich zu beobachten, während es passiert - und jetzt haben wir eine Technik, die uns das tun lässt."

Sabine Aßmann, science.ORF.at
->   Department of Chemistry der University of Toronto
->   Department of Physics der University of Toronto
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   "Röntgen-Schnappschüssen": Wie Lichtpulse Materie magnetisieren (24.4.03)
->   Wiener Physiker bewegen mit ultrakurzem Laserpuls Elektronen (5.2.03)
->   "Attophysik": Erste direkte Beobachtung von Elektronen (23.10.02)
 
 
 
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01.01.2010