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Ethnologe Claude Levi-Strauss wird 95  
  Claude Levi-Strauss ist ein diskreter Mann, der nur ungern über sich selber redet, da er kein Gefühl von persönlicher Identität hat. Eine ungewöhnliche Erklärung, die jedoch kaum erstaunt. Denn Levi-Strauss, der als bedeutendster Völkerkundler unserer Zeit gilt, hat mit seinen eigenwilligen Ideen und Methoden die moderne Völkerkunde revolutioniert.  

Als Gründer der philosophischen Schule des Strukturalismus wollte der Ethnologe mit diesen Elementen die Denkweisen und sozialen Systeme von Urvölkern erforschen.

Levi-Strauss, der am 28. November seinen 95. Geburtstag begeht, gab den Begriffen "Rasse", "Kultur" und "Fortschritt" eine neue Bedeutung - und den Zivilisationen einen neuen Stellenwert.
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Die These des Strukturalismus
Die These, dass der Mensch unbewussten strukturalen Systemen unterworfen sei, zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk. So analysierte er die Sitten der Naturvölker nach Gesetzmäßigkeiten und versuchte die Strukturen der Riten und Mythen aufzudecken.

Sein Ansatz: Wenn bestimmte Zeremonien bei ganz verschiedenen Völkern immer wiederkehren, "dann müsste es sich um etwas handeln, was nicht vollkommen absurd sein konnte."
->   Mehr zum Strukturalismus bei Wikipedia
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->   Exzerpte aus "Structural Anthropology" (1958)
Archaische Denkweisen
Durch seine rigorose, klassifizierende Logik zeigte er, dass die sozialen und familiären Systeme der Urvölker oftmals komplexer und subtiler waren als unsere - und schreckte viele konservative Ethnologen auf. Denn die "Primitiven" galten vor Levi-Strauss als Völker mit archaischer Denkweise, ohne Schrift und Maschinen.
->   Schlüsselbegriffe in Levi-Strauss' Werk (Uni Heidelberg)
Kritik am Fortschrittsbegriff
Sein Blick auf andere, aber auch auf unsere Zivilisation ist grundlegend anders. Zu einer Zeit, in der "Fortschritt" noch ein unbeflecktes Zauberwort war, formulierte Levi-Strauss tiefe Zweifel.

"Was uns die Reisen in erster Linie zeigen, ist der Schmutz, mit dem wir das Antlitz der Menschheit besudelt haben", schrieb er in "Traurige Tropen", einem seiner Hauptwerke. Was heute fast gängige Meinung ist, galt damals als Kulturpessimismus:

Der Wissenschaftler bezweifelte, dass es weltweit nur einen einzigen Fortschritts-Begriff geben könne und schärfte zugleich den Blick für die Defizite der Moderne: "Ich glaube, dass es einige Dinge gibt, die wir verloren haben und die wir vielleicht versuchen sollten wiederzugewinnen."
->   Lexikalisches zu Levi-Strauss bei Wikipedia
Ethnologe aus Zufall
Zufälle scheinen im Leben des Wissenschaftlers eine große Rolle zu spielen. Er wurde zufällig in Brüssel geboren, weil sein Vater, ein Maler, in Belgien eine Serie von Porträts anfertigen musste und sich mit seiner Frau dort für einige Monate aufhielt.

Und zufällig ist er auch Völkerkundler geworden. "Ich bin ganz zufällig Ethnologe geworden; nicht etwa, weil ich mich für die Ethnologie interessierte, sondern weil ich der Philosophie entkommen wollte", meinte er einst. Philosophie hatte er nur deshalb studiert, weil er eine "Null" in Mathematik gewesen war.
"Schreiben, um Ordnung zu schaffen"
Levi-Strauss ist ein besessener Arbeiter, jedoch nur in seinem Büro. "Ich hasse Reisen" sagte er einst.

"Es gibt Personen, die zwei und drei Jahre zusammen mit einem Volk leben und es beobachten können. Ich nicht. Ich begann mich für die Ethnologie zu interessieren, als sich massenweise Forschungsmaterial anhäufte, dermaßen viel, dass es nicht mehr zu benutzen war. Man musste dringend Ordnung schaffen. Und deshalb begann ich mit dem Schreiben."
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Meister-Eckhart-Preisträger 2003
Und so brachte Levi-Strauss, dem Anfang Dezember als "Forscher, Denker und Schriftsteller von epochaler Bedeutung" in Erfurt der mit 5.000 Euro dotierte Meister-Eckhart-Preis verliehen wird, Ordnung in das Verständnis von Rassen und Kulturen - ohne die Überheblichkeit des "weißen Kulturmenschen".
->   Ethnologe Levi-Strauss erhält Meister-Eckhart-Preis (19.9.03)
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Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at
->   Jacques Lacan - umstrittener Intellektueller (16.11.01)
->   Jacques Lacan vor 100 Jahren geboren (13.4.01)
->   Alles zum Stichwort "Ethnologie" im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010