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Das Geheimnis des wissenschaftlichen Erfolgs  
  Wie kommt man in der Wissenschaft zu Ruhm und Ansehen? Definitives Erfolgsrezept gibt es keines, aber immerhin ein paar brauchbare Daumenregeln: Der prominente US-amerikanische Physiker Steven Weinberg - selbst kein ganz Erfolgloser seiner Zunft - plaudert im Fachmagazin "Nature" in Sachen Karriere aus dem Nähkästchen. Für angehende Forscher hat er vier goldene Ratschläge parat.  
Diese lauten in Kurzfassung - erstens: Niemand muss alles wissen. Zweitens: Die Forschungsgebiete mit dem größten Durcheinander sind die lohnendsten. Drittens: Wissenschaftlicher Erfolg ist die Kunst der geringsten Zeitverschwendung. Und viertens: Die Geschichte des eigenen Fachs lehrt einen, wozu das alles eigentlich gut ist.
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Der Artikel "Scientist: Four golden lessons" von Steven Weinberg erschien im Fachmagazin "Nature" (Band 426, S.389, Ausgabe vom 27.11.03; doi: 10.1038/426389a).
->   Zum Originalartikel (kostenpflichtig)
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Bekannter Buchautor ...
Der breiten Bevölkerung ist Steven Weinberg vermutlich als Autor des bekannten Buches "Die ersten drei Minuten" ein Begriff, in dem vom Urknall und der Kosmoevolution erzählt wird.

Der 1933 geborene US-amerikanische Physiker hat sich jedoch nicht nur als Autor populärer Bücher einen Namen gemacht, sondern genießt auch in der Fachwelt Ansehen.
... und Nobelpreisträger
Seine Karriere führte ihn an die wichtigsten akademischen Hochburgen des Landes, darunter Columbia, Berkeley, M.I.T. oder Harvard.

Wohl nicht zu Unrecht, denn Weinberg ist einer der wenigen, die sowohl in der Physik des Kleinen (Elementarteilchen) als auch in der Physik des Großen (Kosmologie) wertvolle Beiträge lieferten.

Am bekanntesten ist vermutlich die von ihm und Murray Gell-Mann entwickelte Quantenchromodynamik, die heute als fixer Bestandteil des so genannten Standardmodells der Elementarteilchen gilt.

Seine Bemühungen um die Vereinheitlichung von zweien der vier Naturkräfte brachte ihm schließlich 1979 den Nobelpreis ein.
->   Mehr zur Quantenchromodynamik bei Wikipedia
Wissenschaft - "gewaltiger, unerforschter Ozean"
Weinbergs in "Nature" im lockeren Plauderstil vorgetragene Karriere-Tipps beginnen mit seinen Erfahrungen zu Studienzeiten. Selbst dem heutigen Physik-Guru erschien die wissenschaftliche Literatur damals wie ein "gewaltiger, unerforschter Ozean".

Die ozeanische Metapher trifft die Sache recht gut. Denn bekanntlich ist es recht schwierig zu schwimmen, ohne zuvor im Wasser geübt zu haben.

Und das trifft für die Erkenntnistheorie - wo diese Wendung besonders beliebt ist - wie für die Physik zu: "It was sink or swim", beschreibt Weinberg seine anfängliche Situation.
"Niemand weiß alles"
Untergegangen ist er indessen nicht, doch selbst nach dem Studienabschluss hatte er den Eindruck "fast gar nichts über Physik zu wissen". Erfahrenere Kollegen lehrten ihn dabei die erste goldene Regel: "Niemand weiß alles. Und: Man muss auch gar nicht alles wissen."
Woran soll man forschen?
Ausgestattet mit der - karrieretechnisch gewendeten - sokratischen Formel kam Weinberg als Lehrender ans MIT. Dort wurde er mit der nächsten entscheidenden Grundfrage konfrontiert:

Auf welchem Gebiet lohnt es sich zu arbeiten? Einer seiner Studenten war damals der Meinung, dass die Allgemeine Relativität im Gegensatz zur Elementarteilchenphysik Zukunft habe, weil sich letztere noch in einem vergleichsweise ungeordneten Zustand befand.
Dort, wo Unordnung herrscht
Weinberg vertrat damals wie heute die gegenteilige Ansicht: Interessante Forschung sei vor allem dort möglich, wo das größte theoretische Durcheinander herrsche: "That's where the action is", lautet die bündige Empfehlung.
Wie Sackgassen umgehen?
Eng damit verbunden ist auch die Frage, wie sich Manöver in theoretischen Sackgassen vermeiden lassen. Als Beispiel dafür nennt Weinberg die vergeblichen Mühen führender Physiker zur Theorie des Elektrons am Beginn des 20. Jahrhunderts.

Diese scheiterten - zum einen, weil sie der noch nicht existenten Quantenmechanik bedurft hätten. Und zum anderen, weil diese Versuche noch im überkommenen Begriffsrahmen der Äther-Physik stattfanden. Erst Albert Einstein wies mit seinen Arbeiten im Jahr 1905 den Weg aus dem konzeptuellen Dunkel.
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Beispiel Quantenfeldtheorie
Eine gute Illustration einer solchen Suche gibt Weinberg auch in dem Text "What is Quantum Field Theory, and What Did We Think It Is?", den er 1996 an der Boston University vorgetragen hat. Darin beschreibt er das wechselhafte Schicksal der erkenntnisleitenden Motive in der Entwicklung der Quantenfeldtheorie.
->   Zum Artikel bei arXiv.org
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Zeitverschwendung vermeiden
Ein Patentrezept, wie man aus den möglichen Problemstellungen die richtigen auswählt, hat auch Weinberg nicht parat. Aber zumindest ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, dass man jederzeit auf den falsche Dampfer setzen könnte.

Anders ausgedrückt: "Wer kreativ sein möchte, sollte sich an den Gedanken gewöhnen, die meiste Zeit nicht kreativ zu sein", so die dritte Weinberg'sche Karriere-Regel.
Die Wissenschaftsgeschichte studieren
Viertens empfiehlt er allen angehenden Forschern eine möglichst sorgfältige Beschäftigung mit Wissenschaftsgeschichte. Denn diese sei "die beste Medizin gegen Wissenschaftsphilosophie":

Diese kleine Spitze gilt den professionellen Wissenschaftskommentatoren (namentlich: "von Bacon zu Kuhn und Popper"), die seiner Meinung nach ein viel zu vereinfachtes Bild entworfen hätten.
Wozu das alles gut ist
Noch wichtiger aber sei folgendes: "Als Wissenschaftler werden sie vermutlich nicht reich werden. Ihre Freunde und Verwandten werden vermutlich auch nicht verstehen, was sie tun", so Weinberg:

"Und wenn sie in einem Feld wie der Elementarteilchen-Physik arbeiten, dann haben sie nicht einmal die Befriedigung etwas zu tun, das unmittelbar nutzbringend ist. Aber man kann große Befriedigung erfahren durch die Erkenntnis, dass die eigene Arbeit Teil der Geschichte ist."
Was man bei Misserfolg tut
Angesichts von Weinbergs nicht immer ernstem Tonfall schimmert zwischen den Zeilen noch eine fünfte Karriereregel durch: Edles Erkenntnisstreben schadet nicht, aber man sollte die eigene Arbeit wohl auch nicht allzu ernst nehmen. Das immunisiert zumindest im Fall des Misserfolgs.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Wissenschaftliche Veröffentlichungen von S. Weinberg
->   Bücher von Steven Weinberg
 
 
 
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01.01.2010