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Künstliches Fieber als Krankheitstherapie  
  Wenn der Körper mit Eindringlingen wie Viren oder Bakterien belastet wird, beginnt unser Organismus zu "kochen": Fieber entsteht. Heimische Experten erklären, warum die große Hitzewelle bei Krankheit heilsam ist und wie man den Körper künstlich zum Fiebern bringt.  
Altbewährtes Wissen
Wurde der Temperaturanstieg des Körpers bis vor wenigen Jahren noch als schädlich angesehen und rigoros mit entsprechenden Medikamenten und ausgeklügelten Kühlmethoden bekämpft, besinnen sich die Wissenschaftler und Ärzte heute wieder altbewährten Wissens.

"Fieber ist eine wertvolle körperliche Reaktion auf einen Krankheitszustand", erläutert Wolfgang Marktl, Umweltphysiologe am Institut für Physiologie der Uni Wien.
Heilende Körpervorgänge werden angekurbelt
Die Hitze kurbelt dabei etliche Prozesse im Körper an, die zur raschen Heilung wichtig sind: Der Stoffwechsel wird gesteigert, die Durchblutung von Organen und Geweben erhöht.

Die Zellen werden besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, Stoffwechselabbauprodukte und Schadstoffe schnelle abtransportiert.

Das Immunsystem wird angeregt und die Muskulatur entspannt. Nach aktuellen Studien scheint Fieber auch Entzündungsprozesse zu aktivieren, um rascher eine Heilung einzuleiten.
Fieber entsteht im Gehirn
Die Schaltzentrale für den Wärmehaushalt der Menschen befindet sich im Gehirn, genauer gesagt im Hypothalamus. Diese Region im Zwischenhirn gilt als das oberste Steuerorgan vieler essenzieller Körpervorgänge.

"Milliarden von Thermorezeptoren auf der Haut ebenso wie im Inneren geben permanent Informationen über den Status quo ab, aus dem sich das so genannte Temperaturregulationszentrum einen durchschnittlichen Ist-Wert berechnet", so der Physiologe.
->   Mehr zur Thermoregulation (Australian Naturopathic Network)
Pyrogene lösen Fieber aus
Für Abwehr- oder Heilungsvorgänge setzt der Organismus von sich aus den Soll-Wert der Körpertemperatur zeitweilig um bis zu drei Grad nach oben: Fieber entsteht.

"Auslöser für die Erhöhung sind so genannte Pyrogene, die sowohl von den Krankheitserregern - das sind beispielsweise die Toxine von Bakterien - erzeugt als auch vom Körper selbst freigesetzt werden", erklärt Marktl.

"Diese Substanzen melden dem Temperaturregulationszentrum, dass sich fremde Mikroorganismen im Inneren befinden. Dieses Zentrum stellt dann den Soll-Wert nach oben und gibt dem Körper damit den Auftrag, die Temperatur anzukurbeln."
->   Mehr zu Pyrogenen (gesundheit.de)
Warum Hitze die Erreger schwächt
Warum ist die Hitze so schädlich für Viren oder Bakterien? "Mikroorganismen mögen diese Wärme nicht. Sie haben keinen geeigneten Thermoschutzmantel", so der Physiologe.

"Die Hitze legt ihren Stoffwechsel lahm, sie können sich nicht mehr so schnell vermehren. Dies erleichtert die Arbeit der Abwehrzellen immens." Fieber frühzeitig zu unterdrücken, bremst hingegen die Wirkung des Immunsystems.
Kühlung kann kontraproduktiv sein
Das konnte beispielsweise der Wiener Mediziner und Anästhesist Rainer Lenhardt zeigen. Der Forscher analysiert derzeit unterstützt vom Wissenschaftsfonds (FWF) an der Universität von Kalifornien in San Francisco verschiedene Auswirkungen einer erhöhten Körperkerntemperatur auf den Zustand von Patienten.

Unter anderem ging der Wissenschaftler der Frage nach, ob man mit den von Notfallmedizinern angewandten Kühlmethoden beispielsweise mit speziellen Folien tatsächlich hohes Fieber senken könnte. "Wir fanden heraus, dass derartige Verfahren bei fiebernden Patienten, deren Temperaturregulation normal funktioniert, kontraproduktiv sind", fasst Lenhardt zusammen.

"Das Fieber wird dadurch nicht gesenkt, die äußere Kühlung kurbelt aber den Stoffwechsel und das autonome Nervensystem so stark an, dass dies dem Patienten mehr Stress als Nutzen bereitet."
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Wagner-Jauregg: Nobelpreis für Fiebertherapie
Wenn Fieber so heilsam ist, warum heizt man einem erkrankten Organismus nicht noch zusätzlich von außen ein? Einer der ersten Wissenschaftler, der sich diese Frage gestellt und Fieber künstlich erzeugt hat, war Julius Wagner-Jauregg:

Dem österreichischen Arzt war es 1917 gelungen, mit der Injektion von Malaria-Erregern bei Patienten mit Paralyse einer durch Syphilis verursachten Geisteskrankheit Fieber auszulösen und so deren Erkrankung zu verbessern. Für die Entdeckung der "Fiebertherapie" erhielt Wagner-Jauregg im Jahr 1927 den Nobelpreis für Medizin.
->   Mehr dazu bei nobel.se
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Künstliches Fieber per Infrarot
Ralf Kleef erzeugt ebenfalls künstlich Fieber, allerdings nicht mit Krankheitserregern, sondern durch die Überwärmung des Organismus.

Der Wiener Allgemeinmediziner und Immunologe macht sich die Selbstheilungskräfte des Körpers zunutze, um so die Behandlung von chronischen Entzündungserkrankungen wie Rheuma oder Asthma zu unterstützen.

Ganzkörper-Hyperthermie nennt sich die neue Therapieform, die in Amerika bereits gang und gäbe, in Europa aber erst langsam im Kommen ist.

"Dabei wird die Körperkerntemperatur der Patienten mit Hilfe von Infrarotstrahlung künstlich erhöht", erklärt der Fieberexperte, der seit einigen Jahren das Institut für Hyperthermie in Wien betreibt.
Ganzkörper-Hyperthermie: Körperkern wird warm
"Der Patient liegt dazu bis zu vier Stunden und unter ärztlicher Kontrolle in einem Wärmebett, das mit reflektierenden und wärmestauenden Folien, die eine Art Zelt bilden, ausgekleidet ist und den Körper rundherum gleichmäßig erwärmt", so Kleef.

Der Unterschied zu gängigen Wärmemethoden wie Sauna oder Rotlicht: "Bei diesen Formen wird lediglich die Peripherie erwärmt. Der Körperkern bleibt aber kühl", führt Kleef aus. "Bei der Ganzkörper-Hyperthermie wird die Wärme nach innen transportiert, womit die Physiologie des Fiebers imitiert werden kann."
Mit Hitze gegen Krebszellen
Eines der vielversprechendsten, gleichzeitig aber umstrittensten Anwendungsgebiete der Ganzkörper-Hyperthermie ist die Krebsbehandlung. Kleef stellt dazu klar fest:

"Das Wärmeverfahren ersetzt nicht Standardbehandlungen wie Chemo- oder Strahlentherapie, es kann aber deren Krebszellen-tötende Wirkung verstärken, sogar deren Dosis und Nebenwirkungen deutlich reduzieren."

Die Fieberwirkung dabei ist einfach erklärt: Unter dem Einfluss der Wärme verlassen Immunzellen schneller die Blutbahn und durchkämmen das Gewebe auf der Suche nach Krebszellen. Diese werden auf Grund der Hitze nicht nur träger, sondern verlieren auch ihre Maskierung und werden von den Immunzellen leichter erkannt.
Studien überprüfen Effekt
Die Aktivierung des Immunsystems nach einer Wärmebehandlung ist auch direkt messbar: Die Zahl der Leukozyten, B- und T-Lymphozyten im Blut ist deutlich erhöht. Seit den 80er-Jahren werden dazu besonders in Amerika kontrollierte Studien durchgeführt.

Ein direkter Nachweis der Wirksamkeit steht noch aus. Allerdings konnte bereits gezeigt werden, dass Patienten, die selten fieberhafte Infekte haben, einem erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt sind.

Eva-Maria Gruber, Universum Magazin
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Die Langversion dieses Artikels lesen Sie in der aktuellen
Ausgabe des Universum Magazins, das am 3.12.2003 erscheint.
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->   Institut für Wärme- und Immuntherapien
 
 
 
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01.01.2010