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Diskussion über genetische Diagnoseverfahren  
  In Österreich ist die Präimplantationsdiagnostik (PID) verboten. Ob dieses Verbot aufrechterhalten werden kann und soll, ist Gegenstand heftiger Diskussionen, können doch mit Hilfe der PID genetische Erkrankungen am Embryo sehr früh erkannt werden.  
"Die Guten ins Töpfchen...? - Präimplantationsdiagnostik, Selektion und das soziale Modell der Behinderung" - unter diesem etwas provokant formulierten Titel diskutierten am 2.12.2003 im RadioKulturhaus ExpertInnen aus Österreich und Großbritannien über Vorteile und Nachteile genetischer Diagnoseverfahren.
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Definitionen: PID, PGD und PND
Präimplantationsdiagnostik (PID), im englischen "preimplantation genetic diagnosis" (PGD), bedeutet genetische Diagnostik an einem Embryo, der "im Reagenzglas" gezeugt wurde. Nach der Zellteilung, wird dem Embryo eine Zelle entnommen und auf bestimmte genetische Krankheiten untersucht.

Ziel ist es, der Frau nur jene Embryonen einzusetzen, die nicht Träger der untersuchten Krankheit sind. Diese Methode ist in zehn europäischen Ländern erlaubt, in Österreich und Deutschland per Gesetz verboten. PND heißt Pränataldiagnostik und schließt jegliche Untersuchung vor Geburt des Kindes mit ein. Häufig werden darunter Screeningmethoden verstanden wie zum Beispiel Ultraschall.
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Vorteile von PID: Erbkrankheiten umgehen,...
Befürworter meinen, dass für einzelne Paare mit Kinderwunsch und genetischen Erkrankungen in der Vorgeschichte die PID von Vorteil ist. Ein eigenes Kind zu haben, welches nicht von der in der Familie vorkommenden genetischen Erkrankung betroffen ist, wird durch die PID möglich.
...familiäres Leid mindern
Suzi Leather ist Leiterin der Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) in London, einer Behörde, die Krankenhäuser und Zentren ermächtigt und kontrolliert, die PID durchführen.

Zur Zeit haben in Großbritannien acht Zentren eine Lizenz von der HFEA. Leather sieht einen weiteren wichtigen Zweck in der PID. Einem Elternpaar zum Beispiel, das bereits ein "schwer krankes" Kind hat, soll mit Hilfe der PID die Möglichkeit haben, ein weiteres, jedoch gesundes Kind auf die Welt zu bringen.

Für Familien, die den Leidensweg oder sogar den frühen Tod ihres ersten Kindes vor Augen haben, ist die PID bei bestehendem Kinderwunsch eine Hilfe.
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Großbritannien: Embryonen für Transplantationszwecke?
Die Diskussion über genetische Diagnoseverfahren geht in Großbritannien allerdings schon einen Schritt weiter. Obwohl sich alle acht Klinken im Zugang an der Problematik der Ratsuchenden orientieren, wird gleichzeitig öffentlich über die Schaffung von Embryonen zum Zweck der Gewebetransplantation nachgedacht.
->   Human Fertilisation and Embryology Authority
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Bedeutungen von "Auswahl" und "Selektion"
Erhöht also einerseits die PID die Wahlmöglichkeiten bei Kinderwunsch und genetischer Krankheit, bedeutet Auswahl, die nicht von der Natur sondern von Menschen vorgenommen wird, eine Selektion.

Ulrich Körtner vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin an der Universität Wien, forderte mit Begriffen sorgfältig umzugehen und verwies auf die unterschiedliche Konnotation von Wahl, Auswahl und Selektion. Die Wahl haben ist positiv belegt, während im deutschen Sprachgebiet Selektion als negativ betrachtet wird.

Einig waren sich alle Diskussionsteilnehmer darüber, dass eine Auflistung von genetischen Variationen, die mittels PID untersucht werden dürfen, an sich nicht zielführend ist. Zu komplex und zu vielfältig sind individuelle Situationen von Menschen mit genetischen Erkrankungen.
->   Sämtliche Beiträge von Ulrich Körtner auf science.ORF.at
Präimplantationsdiagnostik als Gefahr
Kritiker der PID sehen in der Präimplantationsdiagnostik einen Schritt in Richtung Selektion von ¿lebensunwertem¿ Leben und den Versuch Lebens-Art und Lebens-Weise von verschiedenen Menschen mit genetischen Erkrankungen zu eliminieren.

Martin Ladstätter vom Österreichischen Zentrum für Selbstbestimmtes Leben (BIZEPS), und Mitglied der "Ethikkommission FÜR die Bundesregierung", erinnerte an die 70er Jahre.

Auch damals wurde die Einführung der Pränataldiagnostik mit dem Hinweis, dass nur schwere genetische Erkrankungen gesucht würden, propagiert. "Und heute wird reihenweise pränataldiagnostiziert" so Martin Ladstätter.

Die Frage stellt sich, wer denn garantiere, dass die PID nicht eine ähnliche Entwicklung nimmt und damit Druck auf Menschen mit genetisch bedingter Behinderung oder Einschränkung ausgeübt werde.
->   Ethikkommission FÜR die Bundesregierung
Designerbabys verhindern
Durch die PID soll das Risiko, ein genetisch krankes Kind zu bekommen, minimiert werden. Wichtig sei, so Suzi Leather, immer wieder darauf hinzuweisen, dass keine Designerbabys gezüchtet würden. Es werden also nicht die Zellen des Embryos manipuliert, sondern lediglich jene mit unerwünschtem Erbgut herausselektiert.
Schwangerschaftsabbruch mitunter bedenklicher als PID
Für Tom Shakespeare als Soziologe und Bioethiker der Universität Newcastle, der sich auch in der britischen Behindertenbewegung engagiert, stellt sich kein Problem bei der Frage, ob PID angewendet werden soll oder nicht.

Dass selektierte Embryonen im Zuge der PID nicht implantiert werden, empfindet er moralisch weniger bedenklich als die Möglichkeit des späten Schwangerschaftsabbruches.

Dieser ist in Österreich laut § 97 Strafgesetzbuch bis zur Geburt möglich, insofern ¿eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde¿.
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Situation in Großbritannien
Da die PID in Großbritannien nur bis zum 14. Tag ab der Befruchtung erlaubt ist, der Embryo für Tom Shakespeare bis zu diesem Zeitpunkt nur eine "größere Anzahl von Zellen darstellt", sieht er einen Eingriff für gerechtfertigt an. Das auch deshalb, da ja ebenso auf natürliche Weise zahlreiche Schwangerschaften in diesem Stadium beendet würden, ohne dass die Frau etwas merke.
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Möglichkeiten der PID überschätzt
Shakespeare entkräftigt das Argument, dass PID behindertes Leben gänzlich verhindern könnte, durch Statistiken: Nur etwa ein Prozent aller Behinderungen ist genetisch bedingt. Somit wird es immer behinderte Menschen geben.

Außerdem, so Shakespeare, ist die PID nur einer geringen Zahl von Menschen zugänglich. In Großbritannien sind es im Durchschnitt 100 Tests pro Jahr. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche geht allerdings in die Tausende.
ExpertInnenrunden ohne ExpertInnen
Befremdlich scheint für Tom Shakespeare, dass hierzulande ExpertInnenmeetings im Bundesministerium ohne Menschen mit Behinderung abgehalten werden.

Ein ständiger Dialog ist aus seiner Sicht, gerade bei so heiklen Fragen immens wichtig. Klare Verbesserungen der jetzigen Situation in Bezug auf Wissen und Beratung aber auch in Bezug auf den Abbau von diskriminierenden Einstellungen gegenüber Menschen mit Behinderung sind wichtig und notwendig.

Dass dies aber nicht unbedingt mit dem Thema PID verknüpft ist, darüber war sich die Mehrheit der ExpertInnen einig. Auch Ina Wagner vom Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung an der TU Wien glaubt nicht, dass die Einführung der PID zu einer Diskriminierung von Menschen mit Behinderung führt. "Allerdings ist das soziale Modell der Behinderung sehr ernst zu nehmen."

Hans Hirnsperger und Jasna Puskaric,
Redaktion Sensi_Pool für science.ORF.at
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01.01.2010