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Schulbücher: Antirassismus-Erziehung greift zu kurz  
  Zwar ist "antirassistische Erziehung" als Thema an den Schulen mittlerweile anerkannt. Wie eine Untersuchung deutscher Forscher anhand von Schulbüchern zeigt, greift die Umsetzung aber oft zu kurz.  
Aus "Rasse" wird "Kultur"
Das Fazit von Leif Olav Mönter und Arian Schiffer-Nasserie von der Fakultät für Geowissenschaften der Ruhr-Universität Bochum (RUB) ernüchtert: Die vielfältigen Ansätze der Rassismusforschung kommen im Schulunterricht nicht an.

Man werbe lediglich um das Verständnis des Einzelnen für das Fremde, taufe die "Rasse" um in "Kultur" und beachte den politischen Aspekt des Rassismus kaum. Für ihre Arbeit wurden die beiden Lehramtsanwärter mit einem der Preise an Studierende 2003 der RUB ausgezeichnet.
Rassismus trotz aller Initiativen
Zahlreichen, langjährigen Initiativen - gerade an Schulen - zum Trotz nimmt die Zahl rassistischer Gewalttaten in Deutschland kaum ab. Dieses Missverhältnis war der Anlass für einen genauen Blick auf die theoretische Auseinandersetzung und den pädagogischen Umgang mit dem Rassismus.

"Die Frage war, welche Zielsetzungen gängige Erziehungskonzepte verfolgen und inwiefern sie geeignet sind, gegen Rassismus vorzugehen", so Leif Olav Mönter in einer Aussendung der RUB.
Psychologische, soziokulturelle, politökonomische Ansätze
Im ersten Schritt ihrer Studie identifizierten die beiden Geographen drei verschiedene Ansätze der Rassismusforschung: Psychologische Ansätze suchen individuelle Voraussetzungen für Rassismus im einzelnen Menschen.

Soziologische Ansätze gehen davon aus, dass rassistische Einstellungen Ausdruck der subjektiven Verarbeitung von gesellschaftlichen Verhältnissen sind: Extremistische Positionen könnten eine Möglichkeit sein, sich in der modernen Gesellschaft zu orientieren.

Politökonomische Ansätze fragen nach den Zusammenhängen zwischen Rassismus und wirtschaftlichen und politischen Zwecken in modernen Gesellschaften. Die rassistische Ideologie könnte der Versuch sein, gesellschaftliche Gegensätze zu erklären und Diskriminierung zu legitimieren.
Schule verharmlost das Problem
Von dieser Vielfalt sei in der antirassistischen Erziehung allerdings nichts zu merken, meinen die Forscher. Es gebe in Deutschland anders als z. B. in den Niederlanden und Großbritannien nur eine einzige pädagogische Konzeption, die sich als antirassistisch versteht: die interkulturelle Erziehung.

Sie stütze sich allein auf den psychologischen Ansatz, ziele auf das Einfühlungsvermögen und Verständnis des Einzelnen. "Gesellschaftspolitische Konflikte werden in persönliche Probleme umdefiniert", warnt Arian Schiffer-Nasserie, "das kann zu einer Verharmlosung des Phänomens Rassismus führen."
Antirassistische Erziehung ist gar keine
Bei ihrer Schulbuch-Untersuchung fanden die beiden Autoren zudem heraus, dass altbekannte Stereotypen teils ungewollt reproduziert werden. Auch eine bedenkliche Verzerrung der Darstellung von Migranten findet sich auf ihrer Mängelliste.

Manche Themen fehlen in den Unterrichtsmaterialien völlig, so z.B. Formen des institutionellen Rassismus. "Dabei bieten aktuelle Probleme wie die EU-Außengrenze, illegale Flüchtlinge, Asylpolitik und Abschiebepraxis genug Anlass dafür", wundern sich die Autoren.

Ihre Bilanz: Die antirassistische Erziehung ist eigentlich keine, zielt statt auf Selbstbestimmung und Kritikfähigkeit nur auf ein bequemes Arrangement mit bestehenden Verhältnissen. "Es droht eine Entpolitisierung eines politischen Phänomens."
->   Fakultät für Geowissenschaften, RUB
->   Mehr zum Thema Rassismus in science.ORF.at
 
 
 
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01.01.2010