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Linguist und Sozialkritiker Noam Chomsky ist 75  
  Noam Chomsky gilt als einer der wichtigsten Sprachwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Zuletzt lieferten die Neurowissenschaften Hinweise auf die Richtigkeit seiner Theorie, wonach allen Menschen eine Grammatik angeboren sei. Zudem ist er seit den Tagen des Vietnamkriegs einer der konsequentesten Vertreter der amerikanischen Linken, der seine politischen Ansichten nicht gerade geheim hält: Am Sonntag, den 7. Dezember, feierte Chomsky seinen 75. Geburtstag.  
Meist zitierter Forscher der Gegenwart
Bild: EPA
Der Sohn eines aus der Ukraine eingewanderten jüdischen Hebräisch-Lehrers ist laut "New York Times" in den Human- und Gesellschaftswissenschaften jener Forscher, der von allen lebenden derzeit am meisten zitiert wird.

Er gilt als Begründer der generativen Transformationsgrammatik, eines grundlegenden Systems der Sprachanalyse, das die Linguistik revolutionierte.
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Mit 32 Jahren Professor am MIT
Chomsky wurde am 7. Dezember 1928 in Philadelphia geboren. Er studierte Sprachwissenschaft, Mathematik und Philosophie in Philadelphia, wechselte danach an die Harvard University und legte 1955 seine Doktorprüfung an der University of Pennsylvania ab. Nach seiner Promotion lehrte er am MIT und bekam dort 1961 im Alter von nur 32 Jahren einen Lehrstuhl für Sprachwissenschaften.
->   Chomsky am MIT (Biographie und Bibliographie)
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Sprache als kreativer Prozess des Gehirns
Chomsky betrachtet die Sprache als kreativen Prozess, bei dem das menschliche Gehirn Gedanken aktiv zu Worten und Sätzen organisiert. Eine endliche Anzahl von Wörtern wird dabei nach bestimmten grammatikalischen Regeln zu einer unendlichen Anzahl von Sätzen verknüpft.

Dem Gehirn ist ihm zufolge eine Universalgrammatik angeboren, die nach der spezifischen Umwelt konkret angewendet wird.
->   Mehr dazu in: Vier Interviews mit Noam Chomsky (BBC)
Links im Hirn: Der Sitz der Universal-Grammatik
Grundlage für diese Universalgrammatik sind komplexe Verschaltungsregeln in den Assoziationsgebieten des menschlichen Gehirns - mit der linken temporalen Großhirnrinde als entscheidendem Gebiet.

Erst im Juni dieses Jahres wollen Neurologen der Uni Hamburg das neuronale Substrat von Chomskys Universal-Grammatik entdeckt haben. Ihnen zufolge sitzt es im so genannten Broca-Areal: Bei ihrer auf bildgebenden Verfahren beruhenden Studie zeigte sich dieses Gehirnareal bei den Probanden als hochaktiv, solange sie sinnvollen grammatischen Regeln folgten.
->   Mehr dazu (30.6.03)
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Linguistische Werke von Chomsky
"Aspects of the Theory of Syntax" (1965, deutsch "Aspekte der Syntax-Theorie", 1969) "Language and Mind" (1968, deutsch "Sprache und Geist", 1972)
"Modular Approaches to the Study of Mind" (1984)
"Generative Grammar: Its Basis, Development and Prospects"(1987)
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Generative Grammatik
Seine Analyse von Satzstrukturen führte Chomsky zum Begriff der "generativen Grammatik". Sie fasst den Satz als eine Einheit auf, die sich zur Zerlegung anbietet. Sätze lassen sich erzeugen oder aufschließen, indem man sie Schritt für Schritt durch immer kleinere Einheiten ersetzt. Der gleiche Inhalt kann demzufolge in unterschiedlicher sprachlicher Form ausgedrückt werden.

Dagegen besitzen äußerlich gleich scheinende Sätze keinesfalls immer die gleiche Struktur (z.B. "Paul fährt ohne Rücksicht über die Kreuzung" bzw. "Paul fährt ohne Maria über die Kreuzung"). Chomsky unterscheidet in diesem Zusammenhang die "Oberflächenstruktur" von der "Tiefenstruktur" von Sätzen.
->   Mehr dazu (FU Berlin)
->   Mehr über generative Grammatik (Uni Mainz)
Streitbarer Intellektueller mit Verantwortung
Einer breiten Öffentlichkeit noch bekannter als der Linguist ist der politisch engagierte Intellektuelle Chomsky.

Er attackierte mit zahlreichen Veröffentlichungen alles, was er für verlogene Vorwände oder unredliche Handlungen hält: "Es ist die Verantwortung der Intellektuellen, die Wahrheit zu sagen und Lügen aufzudecken", hat er seine Grundhaltung einmal beschrieben.
Neue Anklage gegen den "US-Imperialismus"
Zu seinem 75. Geburtstag präsentiert die graue Eminenz der amerikanischen Linken denn auch eine neue, flammende Anklage gegen den "US-Imperialismus" und die Macht der Konzerne.

In seinem jüngsten Buch "Hybris", das in diesen Tagen in die Buchläden kommt, prangert der erbitterte Gegner des Irak-Kriegs mit gewohnter Schärfe die hegemonialen Ansprüche der einzig verbliebenen Supermacht an.
->   "Hybris" (Europa Verlag)
Kühle Sachlichkeit statt laute Rhetorik
Chomsky, der auch im hohen Alter noch unermüdlich schreibt, lehrt, Interviews gibt und Vorträge hält, imponiert nicht mit brillanter oder lauter Rhetorik, sondern mit kühler Sachlichkeit und vernichtender Analyse.

Er will nicht bekehren, sondern informieren. Den Medien steht er höchst skeptisch gegenüber und sieht in ihnen Instrumente des Kapitals und der herrschenden politischen Klasse.
Mehr Anarchist als Marxist
Obwohl vieles an marxistische Analyse erinnert, lehnt Chomsky Marx im Wesentlichen ab. Schon früh fühlte er sich verschiedenen anarchistischen Theoretikern verbunden. Heute propagiert er vage eine Demokratisierung der Wirtschaft und hofft auf die "zweite Supermacht" in der Welt neben den USA, die "öffentliche Weltmeinung".
->   Chomsky for Philosophers
->   The Noam Chomsky Archive
->   Chomskyarchiv.de
->   Chomsky-Hierarchie (wikipedia)
 
 
 
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01.01.2010