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Historiker: Wie SPÖ-Akademiker um "Ehemalige" warben  
  Zahlreiche ehemalige Nationalsozialisten konnten in der Zweiten Republik mit Hilfe der SPÖ und des BSA (heute: "Bund Sozialdemokratischer Akademiker") Karriere machen. Vor zwei Jahren wurde deshalb eine historische Untersuchung dieser Vorgänge in Auftrag gegeben. Laut dem nun vorliegenden Zwischenbericht habe der BSA ab 1947 richtiggehend um die "Ehemaligen" geworben.  
DÖW: Taktische Überlegungen, Konkurrenz mit CV
Erstellt wird der Bericht von Wolfgang Neugebauer und Peter Schwarz vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW). Sie führen den Umgang mit den früheren Nazis auf "taktische Überlegungen" zurück.

In der Kurzfassung des Berichts schreiben sie dazu: "Während die SPÖ-Führung nach 1945 auf eine systematische Rückholung ihrer vertriebenen Parteifunktionäre verzichtete, stellte sie vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlich rückläufigen Entnazifizierung die Weichen in Richtung Öffnung gegenüber den ehemaligen Nationalsozialisten. Diesen Weg beschritt auch der BSA im Ringen um die Postenbesetzungen in Konkurrenz mit dem katholischen Cartell-Verband (CV)."
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Anlass: Der Fall Heinrich Gross
In Auftrag gegeben wurde die Studie vom BSA-Präsidenten Sepp Rieder vor zwei Jahren, Anlass war der Fall des NS-Psychiaters Heinrich Gross, der nach 1945 nachhaltig Karriere machen konnte. Der Endbericht soll im kommenden Jahr vorliegen.
->   Der Zwischenbericht (BSA, doc-Datei)
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BSA-Präsident Einem: "Erschreckend"
Der nunmehrige BSA-Präsident Caspar Einem sagte bei der Präsentation am Mittwoch laut SPÖ-Pressedienst, es sei aus heutiger Sicht "erschreckend", dass gerade die antifaschistisch geprägte Sozialdemokratie Rekrutierungen im Lager ehemaliger Nationalsozialisten vorgenommen und nicht die Rückholung der Vertriebenen forciert hat: "Das ist der eigentliche Hammer."

Im ersten Halbjahr 2004 werde der BSA daher eine Serie von Veranstaltungen organisieren, um eine ausführliche Beschäftigung mit der speziellen österreichischen Vergangenheit zu ermöglichen.
Bis zu 70 Prozent "Ehemalige"
Im Historikerbericht heißt es, dass beim BSA im April 1948 Zwischenbilanz über die NS-Mitgliederwerbung gezogen worden ist: "Demnach waren in der Steiermark 70 Prozent der BSA-Mitglieder registrierungspflichtig, in Zahlen ausgedrückt, waren 405 von 579 steirischen BSA-Mitgliedern Registrierte, in Oberösterreich 124 von 215 (58 Prozent), davon 13 Juristen, 70 Ärzte, 2 Wirtschafter und 4 Mittelschullehrer, in Tirol und Salzburg - hier waren die BSA-Landesorganisationen gerade erst gegründet worden - jeweils 8 von 13 bzw. 26. Allein bei dem Wiener Fachverband der Ärzte schienen nach Angaben von Dr. Rom 126 Registrierte bei einem Mitgliederstand von 365 (April 1948)."
Befürworter der Nazi-Integration v.a. im Westen
Die "massive Integration" der "Ehemaligen" in den BSA sei durchaus aber auch auf Kritik gestoßen, heißt es. So seien die Befürworter der Aufnahme früherer Nazis vor allem in den westlichen Bundesländer Salzburg, Tirol, Oberösterreich, Steiermark und Kärnten beheimatet gewesen.

Es wäre auch falsch, heißt es in dem Bericht, die Funktion des 1946 gegründeten BSA ausschließlich als "Auffangbecken der ehemaligen akademischen NS-Eliten" zu beschreiben.
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->   Buch-Tipp: SPÖ schützte jahrelang NS-Psychiater (20.6.01)
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Teilweise Änderung der Vorgangsweisen 1949
1949 hat sich der Bundesausschuss des BSA nach einer kontroversiellen Diskussion schließlich auf die fünf Anträge zur weiteren Vorgangsweise geeinigt. Ihr Sukkus: Grundsätzlich wurde die Aufnahme früherer Nazis abgelehnt. Unter bestimmten Auflagen waren individuelle Ausnahmen aber möglich, ebenso durften "Belastete" keine BSA-Funktionäre sein.
Ebenfalls belastet: "Fernseharzt" Birkmayer
In dem Zwischenbericht genannt werden aber auch konkrete Namen belasteter Akademiker, die nach 1945 mit Hilfe des BSA Karriere machen konnten. Ein Beispiel ist der Neurologe Walther Birkmayer. Er war bereits seit 1932 Mitglied der NSDAP. 1939 erlebte seine Karriere aber einen Knick, weil er "Mischling zweiten Grades" war. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er laut dem Bericht von Kurt Steyrer für den BSA angeworben, nach dem Beitritt 1953 habe sich die Karriere dann beschleunigt.

"Seine Leistungen auf dem Gebiet der Behandlung der Parkinsonschen Erkrankung ließen seine NS-Vergangenheit bald vergessen und trugen zu seiner relativen Popularität als 'Fernseharzt' bei."

Und Neugebauer und Schwarz weiter: "Die Reihe von 'Minderbelasteten' und 'Belasteten', denen der BSA bei dem Aufbau einer neuen oder der Fortsetzung einer alten Karriere half, ließe sich lange fortsetzen."
->   BSA
->   DÖW
 
 
 
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01.01.2010