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Der Mensch: Gehör und Geruchssinn ausschlaggebend?  
  Trotz Jahrzehnten detaillierter Untersuchungen können Genetiker noch immer nicht genau sagen, was den Menschen letztlich zum Menschen macht. Immerhin teilt er fast 99 Prozent seines Erbgutes mit seinem nächsten Verwandten, dem Schimpansen. Forscher haben sich nun rund 7.000 dieser gemeinsamen Gene genauer angesehen - und dabei festgestellt, dass im Laufe der Evolution sehr unterschiedliche Erbanlagen "besonders aktiv" waren. Beim Menschen haben sich demnach vor allem Gehör und Geruchssinn vergleichsweise rasant verändert.  
Die US-Genetiker um Michele Cargill von Celera Diagnostics im kalifornischen Alameda stellen ihre Ergebnisse in "Science" vor - nur zwei Tage, nachdem die erste Blaupause des gesamten Schimpansen-Genoms veröffentlicht wurde.
->   Forscher veröffentlichten Schimpansen-Erbgut (10.12.03)
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Der Artikel "Inferring Nonneutral Evolution from Human-Chimp-Mouse Orthologous Gene Trios" ist in "Science" (Bd. 302, Seiten 1960-1963, vom 12. Dezember 2003) erschienen .
->   "Science"
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Gene unterscheiden sich in der Expression
Die Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen können nicht in erster Linie in den Genen liegen, bedenkt man das fast vollständig übereinstimmende Erbgut. Wie man heute natürlich weiß, ist vor allem die Regulation bzw. Expression der DNA verschieden:

Denn Gene sind letztlich nur die "Bauanleitung" für Proteine, die fast alle Vorgänge im Körper bestimmen. Unter der Genexpression versteht man das Ablesen und Übersetzen der genetischen Information - dabei wird nach der Information des Gens ein Protein gebildet.

So deuten Studien darauf hin, dass der Mensch beispielsweise im Gehirn einen deutlich größeren Teil seines Erbgutes in Proteine umsetzt, als sein nächster Verwandter unter den Primaten. Beider Wege haben sich vor rund fünf Millionen Jahren getrennt.
Erbgut dennoch ein wichtiger Teil der Evolution
Dennoch stellt das Erbgut einen wichtigen Teil der Geschichte von Mensch und Affe dar, ein "Kapitel" haben nun die Genetiker um Michele Cargill näher untersucht. Das Team konzentrierte sich auf etwa 7.600 gemeinsame Gene - und verglich die menschliche DNA mit der des Affen.
Gehör und Geruchssinn veränderten sich rasch
Dabei zeigte sich, dass im Laufe der Evolution bei Mensch und Tier jeweils unterschiedliche Gene - etwa 1547 beim Menschen und 1534 bei den Schimpansen - besonders häufig mutierten.

Der Mensch hat demnach im Laufe der Evolution vor allem sein Gehör verbessert. Auch das für den menschlichen Geruchssinn verantwortliche Erbgut unterlag laut Studie überraschend vielen Veränderungen.
Schimpanse: Aktive DNA für Skelettstruktur
Dagegen waren bei Schimpansen vor allem die Erbanlagen für die Skelettstruktur "besonders aktiv".

Die Mutationen zeigen, dass Mensch und Schimpanse im Laufe der Jahrmillionen mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert gewesen seien, meinen die Forscher.

Die genetischen Veränderungen hätten ihnen geholfen, ihre Überlebenschancen entsprechend zu verbessern. So könne etwa die Veränderung des menschlichen Geruchssinns die Ernährung und die Partnerwahl beeinflusst haben.
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Genetische Faktoren der Sprachentwicklung
Auch ein genetischer Faktor für die Sprachentwicklung hat der Untersuchung zufolge im Erbgut des Menschen ungewöhnlich viele Veränderungen erfahren. Ebenso häufig mutiert seien die Gene, die dem Menschen ermöglichen, das gesprochene Wort zu verstehen. Eine - spekulative - Schlussfolgerung der Genetiker: Erst die Entwicklung der richtigen Hörschärfe könnte die Sprachentwicklung ermöglicht haben.

Ein "Sprach-Gen" wurde im Übrigen 2001 entdeckt: "FOXP2". Eine Analyse ergab 2002 kaum Unterschiede bei Mensch, Menschenaffen oder der Maus. Das menschliche Genprodukt unterscheidet sich demnach vom Schimpansen-Protein nur durch zwei Aminosäuren. Provokante Schlussfolgerung der Forscher: Diese Aminosäuren-Substitutionen seien dafür verantwortlich, dass aus den Vorläufern des Menschen sprachfähige Wesen entstanden.
->   Mehr dazu: Die molekulare Evolution des "Sprach-Gens" (14.8.02)
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Viel Hoffnung ruht auf Genom-Vergleich
Weitere Aufschlüsse über die Entwicklung des Menschen sind wohl für die Zukunft zu erwarten - denn nun liegt erstmals das komplette Schimpansen-Genom vor, wenn auch derzeit noch in einer ersten Arbeitsversion.

Vor allem aber die Medizin verspricht sich von vergleichenden Funktionsanalysen vieles - schließlich erkranken Schimpansen nur höchst selten an Krebs und bekommen weder Malaria, noch entwickeln sie die für Alzheimer so typischen Hirnveränderungen.
->   Celera Diagnostics
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Erstes Schimpansen-Chromosom entziffert (2.7.03)
->   Der Schimpanse ist ein Mensch - zumindest genetisch (20.5.03)
->   Mensch und Schimpanse: DNA nur zu 95 Prozent gleich (24.9.02)
 
 
 
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01.01.2010