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Strategien gegen fehlenden Denkmalschutz in Graz  
  Graz ist in letzter Zeit verstärkt durch den sorglosen Umgang mit historischen Gebäuden in die Schlagzeilen geraten. Der Erhalt der alten Substanz sei nicht zumutbar, lautet vielfach die Rechtfertigung für die Zerstörung. Mit dem Klischee, Denkmalschutz sei nicht rentabel, wollen Experten der Uni Graz jetzt aufräumen. Und sie zeigen Strategien auf, wie die Altstadt, deren Dachlandschaft das Prädikat "UNESCO-Weltkulturerbe" trägt, doch noch zu retten ist.  
Bild: Graz Tourismus
Wo das "Kommod"-Haus - die ursprüngliche Grazer Oper - stand, klafft ein Loch. Das Palais Attems, einer der bedeutendsten Barockbauten der Steiermark, bröckelt vor sich hin, und auch andere denkmalgeschützte Gebäude sind bereits dem Abriss geweiht.

Zusätzlich wird der historischen Bausubstanz in Graz vielfach leise und schleichend zu Leibe gerückt. So glänzt da nach der Renovierung plötzlich das Blech am Dach, dort sind mit dem Baugerüst auch wertvolle Verzierungen oder Gesimse verschwunden.
Grazer Kunstgeschichtler wollen die Altstadt retten
Eine Projektgruppe des Instituts für Kunstgeschichte unter der Federführung von Johann Konrad Eberlein hat nun zum Sturm gegen die Zerstörung geblasen, unter anderem mit einem internationalen Kongress, bei dem Wissenschaftler wie Handwerker referierten.
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Vorbild Bayern: Ensembleschutz und Steuervorteile
Beispiel gebend in Sachen Denkmalpflege sei etwa der Freistaat Bayern, wie Konrad Eberlein betont. Dort wurde der Ensembleschutz eingeführt und wird auch auf die Randbereiche von historischen Zonen übertragen. Weiters bringen denkmalgeschützte Immobilien Steuervorteile und sind somit eine günstige Geldanlage.
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Negativ-Beispiele in Norddeutschland
Wie wichtig der Erhalt alter Bausubstanz ist, zeigten auch Negativ-Beispiele in Norddeutschland, weiß Eberlein:

"Von dort fliehen immer mehr Menschen Richtung Süden, weil die Städte nach dem Krieg nicht mehr aufgebaut wurden." Riesige unvermietbare Wohnsiedlungen und verrottende Industrieanlagen führen drastisch vor Augen, dass Denkmalschutz sehr wohl ökonomisch ist, vom touristischen Interesse ganz abgesehen.
Passivität der Grazer Politik mit Folgen
Die momentane Passivität der Grazer Politik könnte also katastrophale Folgen haben, warnt Eberlein: "Wenn hier der Denkmalschutz weiter derart missachtet wird und Graz damit seine Aura verliert, werden Großinvestoren wie DaimlerChrysler in den Süden abwandern, mit ihnen erhebliche Wirtschaftskraft und Infrastruktur."

Dabei kann der Erhalt historischer Bauwerke ein wesentlicher Ökonomie-Faktor sein: Manche Unternehmen haben die Produktion traditioneller Materialien schon als Marktnische erkannt, vor allem mittelständische Betriebe würden von zusätzlichen Aufträgen profitieren und Arbeitsplätze schaffen, dem Staat wiederum flössen so höhere Steuereinnahmen zu.
Positive Impulse, konkrete Lösungsansätze
Bild: APA
Die Grazer Altstadt
Im Rahmen des Kongresses wurden konkrete Lösungsansätze präsentiert, wie man der Zerstörung wertvoller Bauten Einhalt gebieten könnte: "Die Experten forderten zum Beispiel für Graz einen Ensembleschutz wie in Bayern. Weiters soll die Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission (ASVK) Parteistellung bekommen, wie das etwa in Salzburg der Fall ist. Derzeit kann die Kommission in Graz nur beraten, aber nicht eingreifen", nennt Eberlein einige Vorschläge.

Und adressiert eine Warnung an die Stadtpolitiker: "EU und UNESCO werden in Zukunft verstärkt dafür sorgen, dass das kulturelle Erbe bewahrt wird." Das Beispiel Wien-Mitte habe bereits gezeigt, dass die drohende Aberkennung des Titels "Weltkulturerbe" und der entsprechende Niederschlag in der Presse sehr wohl etwas bewirken.
Fehlende Fertigkeiten als weiteres Problem
Die Experten der Universität Graz wollen allerdings nicht rein die Politik für die Missstände im Denkmalschutz verantwortlich machen. Ein nicht zu unterschätzendes Problem seien auch mangelndes Können und Know-how bei Restaurierungen.

"Angehende Handwerker müssten im Zuge ihrer Ausbildung alte Techniken erlernen, um beispielsweise feine Verzierungen wiederherstellen zu können", schlägt der Kunsthistoriker und Dachdeckermeister Günther Rath vor.
Restaurierung kombiniert mit Kunstgeschichte
Konrad Eberlein denkt weiters an eine Ausbildung für Restaurierung in Kombination mit Kunstgeschichte, die bislang in Österreich nirgends angeboten wird. "Um große Sanierungs-Projekte erfolgreich umsetzen zu können, benötigt man eine Person, die sich kunstgeschichtlich wie technisch auskennt, entscheiden kann, was zu tun ist, und die Aufgaben an die Handwerker delegiert", präzisiert Eberlein das Betätigungsfeld der "Restaurierungsmanager".

In Deutschland bereits erfolgreich, würde ein derartiger Lehrgang auch in Österreich gestürmt werden. Schließlich wäre der Beruf im Hinblick auf die Südost-Erweiterung sehr zukunftsträchtig, da dort in den Kriegen sehr viel zerstört und später nicht mehr aufgebaut wurde.
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Der Kongress "Erbschaft Altstadt. Fassade und Dach in der Kulturhauptstadt Graz. Restaurierung, Denkmalpflege und Kunstgeschichte" fand vom 14.-16. November in der Aula der Universität Graz statt.

Bei dem Artikel handelt es sich um eine Kurzversion einer Geschichte, die in der aktuellen Ausgabe der "Uni-Zeit" am 16.12.2003 erscheint.
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->   Institut für Kunstgeschichte der Universität Graz
->   Außeninstitut der Universität Graz
->   UNESCO
 
 
 
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01.01.2010