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Melanom: Wiener Dermatologen entdeckten Virus  
  Spezialisten der Universitätsklinik für Dermatologie in Wien haben mit "MERV" das erste endogene Retrovirus entdeckt, das bei der Entstehung von bösartigen Tumoren der Haut eine Rolle spielen könnte.  
Dies erklärten der Vorstand der Klinik, Klaus Wolff, und Virus-Spezialist Thomas Muster gegenüber der APA. Die wissenschaftliche Arbeit dazu wird in der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift "Cancer Research" (15. Dezember) veröffentlicht.
->   "Cancer Research"
Retrovirus mit noch unbekannten Auswirkungen
"Es handelt sich eindeutig um ein Retrovirus. Es ist eng verwandt mit anderen Retroviren, welche im Erbgut des Menschen vorkommen (endogen, Anm.). Es ist das einzige endogene Retrovirus, das bisher bei so genannten soliden Tumoren identifiziert werden konnte. MERV hat alle Eigenschaften, krankheitserregend zu sein. Wir wissen aber noch nicht, wie groß sein Beitrag zur Entstehung eines Melanoms ist", sagte Wolff.
Jahrelange Forschung
Die "Fahndung" nach dem Virus, dessen Erbsubstanz in Melanom-Zellen eingebaut ist, war eine langwierige Angelegenheit. Muster: "Wir haben vor vier Jahren mit dem Projekt begonnen. Bereits in den siebziger Jahren hat ein deutscher Wissenschaftler 'Partikel' in Gewebeproben von Melanomen gesehen. Damals war die Technik aber noch nicht so weit, dass man ihre Natur als Retroviren wirklich nachweisen konnte."
Elektronenmikroskopie, Gen-Sequenzierung
Das hat sich durch die Arbeiten der Spezialisten am Wiener AKH grundlegend geändert. Der Wissenschaftler: "Wir haben Bilder des Virus aus dem Elektronenmikroskop. Wir konnten die Virus-Proteine Gag, Pol und Rec nachweisen, und wir konnten die Erbsubstanz sequenzieren."
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RNA-Retroviren
Das Virus gehört zur Gruppe der RNA-Retroviren. Auch HIV, ein exogenes Retrovirus, fällt - "weitläufig" - in diese Form von Krankheitserregern: Ihre Erbsubstanz besteht aus dem DNA-Gegenstück RNA (Ribonukleinsäure statt Desoxyribonukleinsäure). Die Viren bauen ihre Erbsubstanz in infizierte Zellen ein. Dazu benötigen sie ein Polymerase-Enzym (kodiert im Gen Pol), das die RNA-Erbsubstanz des Virus vor dem Einbau in die infizierte Zelle in eine passende DNA umwandelt.
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Unter UV-Licht "wachsen" Viren
Die Frage ist natürlich, ob das MERV-Virus ursächlich an der Entstehung von Melanomen beteiligt ist. Klaus Wolff: "Wir haben Hinweise dafür. Melanom-Zellen produzieren das Virus jedenfalls. Gesunde, also nicht zur Bösartigkeit transformierte Melanozyten (gutartige Pigmentzellen der Haut, Anm.), tun das nicht."

Der "Schwarze Hautkrebs" entwickelt sich vermutlich als Folge einer ganzen Kaskade von Ereignissen. "Virus-Fahnder" Thomas Muster: "Am Beginn steht wahrscheinlich eine 'Verletzung' des Erbguts. Hinzu kommt dann offenbar das UV-Licht, welches die Erbsubstanz von Melanozyten weiter schädigt. Wir konnten in unseren Arbeiten zeigen, dass Melanomzellen unter UV-Bestrahlung vermehrt reverse Transkriptase, ein Enzym retroviralen Ursprungs, produzieren."
Hautkrebs - Entstehung eines Melanoms
 
Grafik: APA

Melanom: Bösartigste Form des Hautkrebs, entsteht aus Melanozyten (Pigment bildende Hautzellen); auch Viren sind möglicherweise an der Entstehung beteiligt.
Zwei Theorien über endogene RNA-Viren
Offenbar wird MERV- ein endogenes, also im Erbgut des Menschen "verstecktes" RNA-Virus - normalerweise von Schutzmechanismen in Schach gehalten. Wenn diese - so die Hypothese - aber beeinträchtigt sind, kann es offenbar dazu kommen, dass die Virus-Erbsubstanz im Erbgut der Zellen aktiv wird und neue Partikel produziert werden.

Muster: "Es gibt zwei Theorien über solche endogene Viren: Der Mensch oder irgendein Vorfahre kann die Erbsubstanz im Laufe der Evolution aufgenommen haben. Eine andere Theorie besagt, dass diese endogenen Viren selbst ein Mittel der Evolution sind, um durch Mutationen zur Weiterentwicklung des Erbgutes zu sorgen."
Endgültiger Beweis, mögliche Therapien ...
Die Forschungen der Wiener Wissenschaftler auf diesem Gebiet werden weiter geführt: Jetzt geht es darum, den endgültigen Beweis für die ursächliche Rolle von MERV bei der Entstehung von Melanomen zu finden.

Doch die Experten denken noch weiter: Stellt sich nämlich heraus, dass dies der Fall ist, könnte man Protein-Bestandteile des Virus eventuell in therapeutisch wirkenden Melanom-Impfstoffen als Antigene verwenden, welche das Immunsystem der Patienten gegen die bösartigen Zellen "scharf" machen sollen.
... liegen noch vor der Forschung

Antiretroviral wirkende Substanzen könnten aber eventuell auch zur Behandlung von Melanomen entwickelt werden. Immerhin ist durch die moderne Kombinationstherapie gegen Aids (Reverse Transkriptase-Hemmer, Protease-Hemmer) die Immunschwächekrankheit zumindest in den westlichen Industriestaaten zu einem längerfristig beherrschbaren Leiden geworden.

Noch eine andere Anwendungsmöglichkeit der neuen Erkenntnisse wäre möglich. Wolff: "Man könnte eventuell einen Virus-Test entwickeln, um bei fraglich bösartigen Gewebeproben eine objektive Aussage treffen zu können, ob ein Melanom vorliegt oder nicht."
->   Universitätsklinik für Dermatologie
->   Mehr über Melanome in science.ORF.at
->   www.innovatives-oesterreich.at
 
 
 
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01.01.2010