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Modell des Universums im Taschenformat  
  Die Kosmologie ist eine der aufregendsten Disziplinen der Naturwissenschaften, nur in einem Punkt sind die Kosmophysiker gegenüber ihren mit bodenständigeren Dingen befassten Kollegen im Nachteil: Was gemäß den gängigen Theorien "da draußen" im Universum passiert, kann nicht durch wiederholbare Experimente überprüft werden. Zwei Physiker der Universität Innsbruck haben für dieses Dilemma nun eine Aufsehen erregende Lösung gefunden: Sie schlagen vor, dass ein Bose-Einstein-Kondensat als eine Art Mini-Modell des Universums dienen könnte.  
In ihrer Studie zeigen Petr O. Fedichev und Uwe R. Fischer, dass unter bestimmten Bedingungen ein Effekt nachgewiesen werden kann, der ansonsten im Einflussbereich von Schwarzen Löchern auftritt. Das Ganze ist indes nicht nur graue Theorie: Die für so einen Versuch notwendige Technologie gibt es bereits.
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Die Studie "Gibbons-Hawking Effect in the Sonic de Sitter Space-Time of an Expanding Bose-Einstein-Condensed Gas" von Petr O. Fedichev und Uwe R. Fischer erschien in der Fachzeitschrift Physical Review Letters (Band 91, doi:10.1103/PhysRevLett.91.240407) und ist außerdem am Preprintserver arXiv.org kostenfrei erhältlich.
->   Zum Original-Artikel bei arXiv.org
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Experimentelle Kosmologie? - leider nein
Eine echte experimentelle Kosmologie wird es aus naheliegenden Gründen niemals geben. Zum einen stehen Astrophysiker vor dem selben Problem wie etwa Historiker oder Evolutionsforscher:

Ihre Untersuchungen beziehen sich auf einen einmaligen Gegenstand, der in seiner historischen Gesamtheit nicht wiederholt werden kann.

Zum anderen scheitert der experimentelle Zugang bei kosmologischen Teilproblemen schlichtweg daran, dass die im Universum wirkenden Energien unsere irdischen Möglichkeiten bei weitem übersteigen.
Lösung für Problem vorgeschlagen
Die Innsbrucker Physiker Petr O. Fedichev und Uwe R. Fischer (letzterer nun in Tübingen tätig), haben eine elegante Lösung für dieses Problem vorgeschlagen.

Sie zeigen in einer Arbeit, dass man mit einem vergleichsweise einfachen Versuchsaufbau Phänomene nachweisen kann, die normalerweise in den extremsten Regionen unseres Universums auftreten.
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Der Unruh-Effekt als Ausgangspunkt
Dabei beziehen sich die beiden Forscher zunächst auf den so genannten Unruh-Davies-Effekt: Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage, wie ein Beobachter im Rahmen der Relativitätstheorie das Vakuum wahrnimmt. Ist er nämlich einer konstanten Beschleunigung ausgesetzt, dann "fühlt" er - obwohl das Vakuum definitionsgemäß leer ist - einen Schauer thermischer Strahlung auf sich niedergehen. Der Effekt ist allerdings bei irdischen Geschwindigkeiten vernachlässigbar.
->   Mehr zum Unruh-Effekt (Uni Heidelberg)
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Licht aus dem Nichts: Hawking-Effekt
Ein eng verwandtes Phänomen beschreibt der so genannte Gibbons-Hawking-Effekt, der in stark gekrümmten Raumzeit-Bereichen auftritt. Allerdings handelt es sich in diesem Fall um Lichtteilchen, die von einem hypothetischen Beobachter wahrgenommen werden.

Dieser bislang nur aus der Theorie bekannte Effekt könnte nach einem Vorschlag von Fedichev und Fischer nun auch auf Mutter Erde nachgewiesen werden.

Sie zeigen, dass ein als Bose-Einstein-Kondensat (kurz: BEC) bezeichneter Materiezustand gewissermaßen als Miniatur-Modell gekrümmter Raumzeit-Bereiche verwendbar ist.
->   Mehr zu Bose-Einstein-Kondensaten in science.ORF.at
Das Modell-Prinzip: Schall statt Licht
Konkret bauen sie ihre Rechnungen auf folgendem Analogieschluss auf: Beim Gibbons-Hawking-Effekt treten Photonen auf, im BEC gibt es - theoretisch - den selben Effekt, nur dass hier nicht Licht-, sondern Schallwellen auftreten.

Wie die beiden Physiker in ihrer Arbeit schreiben, könnte ein beschleunigter Beobachter in einem Bose-Einstein-Kondensat so genannte Phononen (d.h. Schallquanten) registrieren.
->   Mehr zu Phononen bei Wikipedia
Vorteil: Geringere Energien, Effekt verstärkt
Der Vorteil an diesem Modell ist, dass sich die Phononen nur mit Schallgeschwindigkeit ausbreiten:

"Das ist um den Faktor 10 hoch 11 langsamer als die Lichtgeschwindigkeit. Mit dem Ergebnis, dass der nachzuweisende Effekt ungeheuer verstärkt wird", erklärt Uwe Fischer, der noch letztes Jahr mit dem heurigen Physik-Nobelpreisträger Anthony Leggett zusammengearbeitet hat.

Anders gesprochen: Für den Nachweis des Gibbons-Hawking-Effekts mit Lichtteilchen hätte es absurd hoher Energien bedurft, die jenseits des technisch Machbaren liegen.
->   Physik-Nobelpreis 2003 verliehen
Im Prinzip schon heute machbar
Die beiden Physiker geben in ihrer Arbeit auch an, mit welcher Art von Detektor man diesen wundersamen Vorgang messen könnte.

Das Ganze wäre nach Ansicht von Uwe Fischer mit der heutigen Technologie umsetzbar: "Das ist sicher kein einfaches Experiment und bräuchte mindestens ein bis zwei Jahre Arbeit. Aber im Prinzip wäre es machbar".
Analogieschluss ist zwingend

Die Analogie zwischen dem Bose-Einstein-Kondensat und gewissen Zuständen des Universums gilt im Übrigen im strengen Sinne. Sie beruht auf einem kosmologischen Modell, das unter dem Namen "de Sitter-Universum" bekannt ist.

Auch das Bose Einstein-Kondensat lässt sich nach Fedichev und Fischer als de Sitter-Universum beschreiben. Zwar als abgespeckte Version mit nur einer Raum- bzw. Zeitdimension, aber das genügt, um als aussagekräftiges Modell für das große Ganze herhalten zu können. Wie ernst zu nehmen diese Kalkulationen sind, zeigt auch folgender Befund:

Ginge ein dereinst umgesetztes Experiment negativ aus, dann käme die allgemein anerkannte Quantenfeldheorie (die Wechselwirkungen von Teilchen und Feldern beschreibt) in ernste Schwierigkeiten, erklärt Fischer im Gespräch mit science.ORF.at.
->   Mehr zum de Sitter-Universum bei Wikipedia
Auch Hawking hätte Freude
Bei einem positiven Ausgang wäre wohl der prominente Namensgeber des besagten Effekts hoch erfreut: Stephen Hawking, dessen kosmologische Theorien bislang vor allem daran krankten, dass sie sich dem direkten experimentellen Nachweis entzogen. Das könnte sich von nun an ändern.

Robert Czepel, science.ORF.at
->   Website von Uwe R. Fischer (Uni Innsbruck)
->   Website von Petr O. Fedichev (Uni Innsbruck)
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01.01.2010