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Mit "flexiblen Proteinen" dem Gedächtnis auf der Spur  
  Im menschlichen Gehirn sind Milliarden von Nervenzellen aktiv. Deren Verbindungen untereinander sind alles andere als starr. Denn unser Gehirn zeichnet sich vor allem durch seine "Plastizität" aus - es kann sich fortlaufend verändern, neue Verschaltungen zwischen Neuronen schaffen oder alte abbauen. Für die Weiterleitung von Signalen im Gehirn sind aber auch bestimmte Proteine wichtig, und auch deren Funktion ist offenbar vielfältiger als bislang gedacht: Neurologen haben einige Vertreter entdeckt, die sowohl "Sender" als auch "Empfänger" sein können.  
Wie genau Lernen und Gedächtnis funktioniert, gehört zu den offenen Fragen der Neurowissenschaft. Die so genannte Plastizität des Gehirns ist dabei allerdings ein entscheidender Faktor.

Forscher des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie eröffnen jetzt eine neue Perspektive, diese Flexibilität zu verstehen: Sie entdeckten, dass eine bestimmte Kombination aus Proteinen in ihrer Signalrichtung auch umgekehrt funktionieren kann.
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Der Artikel "Hippocampal plasticity requires postsynaptic ephrinBs" ist als Online-Publikation in "Nature Neuroscience" erschienen (15. Dezember 2003, doi: 10.1038/Nn1164).
->   Abstract des Artikels in "Nature Neuroscience"
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Menschliches Gehirn kontra Computer
Ein moderner Computer mit einer Taktfrequenz von einem Gigahertz ist dem menschlichen Gehirn mit nur einem Kilohertz Taktfrequenz an Schnelligkeit haushoch überlegen.
Dennoch ist unser Gehirn mit seiner komplexen Leistungsfähigkeit unschlagbar. Im Gegensatz zum Computer beruht es nämlich nicht auf den starren Schaltkreisen und Verbindungen eines elektronischen Geräts.

In der menschlichen Schaltzentrale werden die Verbindungen zwischen Nervenzellen vielmehr ständig verändert, neu geschaffen oder auch abgebaut. Und auch die Stärke ihrer Verbindungen über die Synapsen kann sich verändern und an die Stärke der Reize anpassen.
Plastizität als Basis von Lernen und Gedächtnis
Diese Fähigkeit der Veränderlichkeit nennt man Plastizität. Sie gilt als entscheidende Voraussetzung für Lernen und Gedächtnis.

Eine wichtige Rolle spielt dabei - anatomisch betrachtet - der Hippocampus, ein Teil des Großhirns, das durch seine gerollte Form an ein Seepferdchen erinnert. In ihm werden neue Informationen kurzfristig gespeichert und auf die anderen Gehirnbereiche zur Langzeitspeicherung verteilt.
Hippocampus: Besonders flexible Nervenzellen
Seine Eigenschaften verdankt der Hippocampus unter anderem der hohen Plastizität seiner Nervenzellen.

Diese hat das Wissenschaftlerteam nun an Gewebeschnitten von Maushirnen genauer untersucht - und dabei die Kommunikation zwischen Nervenzellen verschiedener Regionen des Hippocampus aufgezeichnet.
Signalübertragung: Wichtige Rolle von Proteinen
Im Gehirn sind beständig Milliarden von Nervenzellen elektrisch aktiv. Bei der Signalübertragung von einer Nervenzelle auf die andere sind auch bestimmte Proteine (Liganden und Rezeptoren) an der Synapse beteiligt.

Sie ergänzen sich an der Membran der ersten Zelle (präsynaptisch) mit denen der zweiten (postsynaptisch) - und ermöglichen auf diese Weise eine Weiterleitung von Informationen.
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Ephrin-Liganden und Eph-Rezeptoren
Ein solcher Kommunikationsapparat besteht unter anderem aus Ephrin-Liganden und Eph-Rezeptoren. Bei diesen Molekülen handelt es sich um zwei große Proteinfamilien, die in Unterklassen A und B unterteilt werden. EphrinA-Liganden interagieren nur mit EphA-Rezeptoren, während EphrinB-Liganden neben EphB-Rezeptoren auch mit EphA4-Rezeptoren wechselwirken.
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Von präsynaptisch zu postsynaptisch
Bisher war bekannt, dass präsynaptische Ephrine als "Sender" an postsynaptische Eph-Rezeptoren als "Empfänger" binden und dadurch weitere intrazelluläre Signale auslösen, wie zum Beispiel den verstärkten Kalziumeinstrom in die Nervenzelle.

Doch die Forscher konnten nun nachweisen, dass Ephrine in bestimmten Nervenzellen des Hippokampus tatsächlich viel häufiger postsynaptisch vorkommen.
Rezeptor als Signalgeber, Ephrin als Übermittler
Die Neurobiologen untersuchten auch die Rolle des zu den Ephrinen gehörenden Rezeptor-Proteins. Dabei stellten sie fest, dass der so genannte EphA4-Rezeptor überraschenderweise auch als Signalgeber fungieren kann, ein Ephrin übernimmt hier dann die Signalübermittlung.
Auch weitere Synapsen-Proteine betroffen?
Die Signalrichtung kann in diesem Fall also auch umgekehrt funktionieren. Für die Max-Planck-Forscher eine weitere Option, wie die Plasitzität des Gehirns zustande kommt, die letztlich Lernen und Gedächtnis erst möglich macht.

Und die Entdeckung könnte schließlich auch weitere Proteine betreffen, spekulieren die Forscher. Die Tatsache, dass ein Protein einmal als Signalgeber und einmal als Signalübermittler fungieren kann, lasse jedenfalls vermuten, dass auch andere Synapsen-Proteine auf diese Weise Ihre Funktionalität erweitern könnten.
->   Max-Planck-Institut für Neurobiologie
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Wenn Mäusen im Alter wieder ein Licht aufgeht (1.8.03)
->   Die molekulare Basis des Gedächtnisses (26.4.03)
->   Im Netzwerk der Erinnerung (30.10.02)
 
 
 
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01.01.2010