Host-Info
Hazel Rosenstrauch
Kulturwissenschaftlerin und Wissenschaftspublizistin, ehem. Redakteurin der Zeitschrift "Gegenworte - Zeitschrift für den Disput über Wissen"
 
ORF ON Science :  Hazel Rosenstrauch :  Wissen und Bildung 
 
Oper ist mehr als ein gesungenes Konzert  
  In den letzten Jahren ist in Sachen Wissenschaftskommunikation viel passiert. Das Feuilleton hat sich bereits verändert, es gibt Wissenschaftsseiten und Science Fairs, Lange Nächte und Events, Präsentationen, Preise und multimedial simulierte Experimente in Bild und Ton.  
Die Sprache, in der eventisiert und gepusht wird, die Schlagworte, die in Programmen und über Websites weitergereicht und abgeschrieben werden, sind allerdings meist grausig zu lesen.
Sprachliche Plattenbauten und Wortwaffen ...
Natur- oder Geisteswissenschaftler, bürgernahe Initiativen und staatlich beauftragte Agenturen zur Simulation von Bürgernähe wandeln in dieser Hinsicht auf gemeinsamen Wegen - die eingerahmt sind von sprachlichen Plattenbauten. Viele Lösungen sind in den letzten Jahren in Angriff genommen worden.

Die militärische Sprache herrscht vor. Wenn ich die Ohren spitze und nicht nur - im Bewusstsein meiner Unwissenheit - den Kopf einziehe, vernehme ich, wie die Agenten und Agenturen zum Heile der Naturwissenschaften auf breiter Front angreifen.
... der Naturwissenschafts-Vermittler
Ihre Waffen sind Formate und Module, Kernbotschaften und Präsentationstechniken, Schreib- und Rede- und Schauspieltrainings. Schablonen, Fertigteile und Begriffsgehubere haben das Feld erobert.

Die Einladungen an Hörer und Leser klingen wie der Befehl: Nun interessiert euch doch endlich so für Naturwissenschaften, wie sich die meinungsbildenden Eliten in den letzten 300 bis 3.000 Jahren für Philosophie und Literatur und die schönen Künste interessiert haben. Sonst, liebe Bürgerinnen und Bürger, lebt ihr hinter dem Mond.
Akzeptanzbeschaffung oder Verständigung?
Mit den PUSH-Aktionen ist eine Dynamik in Gang gekommen, die fast so vielversprechend und fast so beängstigend ist, wie die Erkenntnisse über das Innenleben unseres Körpers samt Eingriffsmöglichkeiten.

Wie alle Technik, können auch die Präsentationstechniken für dieses und jenes genutzt werden, Top-down oder Bottom-up, für Akzeptanzbeschaffung oder zur Verständigung mit anderen Bereichen der Gesellschaft.
Der Wortboden sprießt
Die Bewegung der (Natur)Wissenschaft hin zur Öffentlichkeit hat sich mittlerweile so weit entwickelt, dass neben den neuen Projekten auch neue Fragen aus dem Boden sprießen: Was wird da angebaut? Wo sind neue Wortsorten zu erwarten? Wird der Boden, auf dem Verständigung passiert, eher gedüngt oder vergiftet?
Heruntergebrochene Artikel
Nehmen wir das preisverdächtig beliebteste Wort des Gewerbes: 'herunterbrechen'. Die komplexen Vorgänge werden auf das Niveau der Laien gestutzt und ein wenig klingt dabei das Erbrochene mit.

Auch wenn im nächsten Satz betont wird, dass ein echter Dialog womöglich sogar auf Augenhöhe stattfinden soll und wir ja alle Laien sind. Der 'heruntergebrochene' Artikel aus Science oder Nature aber ist so etwas wie das gesungene Konzert, man kann auch den Vergleich mit dem verfilmten Roman bemühen.
Dialog als neues Genre?
Wenn der Regisseur keine eigene Bildersprache hat, den rechten Ton nicht findet, dann ist die Verwandlung in das andere Medium bestenfalls gut gemeint, also trivial. Solange man annimmt, dass Wissenschaftler und Journalisten in unterschiedlichen Welten leben, mögen 'Übersetzung' und Marketing angemessen erscheinen.

Wo sich diese Welten berühren, besteht die Chance, dass der Dialog zwischen verschiedenen Experten innerhalb und außerhalb der Scientific Community ein Genre sein (oder werden) könnte, das eigenen, den Ansprüchen, Bedürfnissen und Fragen entsprechenden Gesetzen gehorcht. Oper ist eben mehr als ein gesungenes Konzert.
Dritter Weg zwischen Fachjargon und Werbetalk
Vielleicht gibt es einen "dritten Weg" zwischen Fachjargon und Werbetalk und die Sprache entsteht mit der Sache? Es geht in diesem Prozess nicht nur um die Vermittlung an den Laien (und keiner weiß, wer damit gemeint ist). Auch die Akademiker werden (langsam) ihre Sprache verändern - selbst wenn der Bürger sie nicht interessiert und das Institut die Kommunikation an eine Öffentlichkeitsarbeiterin delegiert hat.

Die nächste Generation von Forschern und Forscherinnen muss sich ohnehin mit 'Nachbarn' aus der anderen Disziplin, mit Wissenschaftspolitikern oder auch mit Bürgern auseinander und zusammensetzen.

Diese Generation wird neben Englisch und Fachsprache auch das Verständliche erlernen, weil eine Karriere ohne Kommunikation mit Wissenschaftspolitikern und Fachfremden, mit Journalistinnen und Stiftern kaum mehr möglich sein wird.
"Mit der Sache kommt auch die Sprache"
"Mit der Sache kommt auch die Sprache" - im Glücksfall (wir sind immer noch bei Szenarien, die bekanntlich wenig mit der Realität zu tun haben, aber Entwicklungen inspirieren können) wird die "Kulturgemeinschaft über den Gebrauch der Begriffe ihrer Sprache im Dialog entscheiden" (Hubert Markl), und die Wissenschaft sich um die "Herstellung einer kritischen Urteilsfähigkeit gegenüber den Experten und den sie andächtig vermittelnden Medien" selbst kümmern (Dieter Simon), derweil Wissenschaftsjournalisten sich auf ihre journalistischen Pflichten besinnend nicht nur übersetzend, sondern auch kritisch mit ihren forschenden Gesprächspartnern umgehen (Wilfried Göpfert).
Vierte Kultur und Dialog sind möglich
Literaturkritiker mussten keine Romanciers sein, um Romane zu beurteilen, sie haben vielleicht Zusammenhänge hergestellt und neue Ordnungen formuliert. Wissenschaftskritik könnte jenes Scharnier bilden, das einen Dialog "auf Augenhöhe" zwischen verschiedenen - wissenschaftlich und weniger wissenschaftlich ausgebildeten - Gruppen denkbar macht.

In diesem Prozess wird vielleicht endlich eine 'dritte und vierte Kultur' entstehen, in der die Bewohner der festen Burgen (hie Technik, da Naturwissenschaft, da Markt, dort Geist, hie Aufklärung, da Werbung, Grundlagenforschung versus Angewandtes) kreuz und quer über das neue Feld wandern - beobachtend, beschreibend, in Gespräche über den Anbau neuer Wortsorten verwickelt ... und nebenher entsteht ein Dialog, der diesen Namen verdient.

[3.11.04]
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Aus: Wissenschaftskommunikation. Streifzug durch ein 'neues' Feld. Hg. Von Indre Zetzsche, Bonn.
Der Band informiert über Programme und Initiativen, er enthält Links, Literaturhinweise, Interviews und Reflexionen.
->   Mehr über das Buch (Verlag Lemmens)
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